Zentrale Erkenntnisse
- Der Gesundheitssektor hat sich während der Coronavirus-Krise besser entwickelt als der breite Aktienmarkt, da Anleger Unternehmen belohnen, die versuchen, mit Technologie oder modernster Forschung COVID-19 in den Griff zu bekommen.
- Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der weltweiten Bemühungen, eine Therapie oder einen Impfstoff für das neuartige Coronavirus zu finden, sind beispiellos.
- Obwohl wir die Kursrallye einiger Biotechnologieunternehmen, die in Sachen Coronavirus für Schlagzeilen sorgen, skeptisch sehen, werden Anleger die Spitzentechnologie des Sektors vermutlich noch lange nach Ende der Pandemie im Auge behalten.
Tempo und Umfang des Ausverkaufs am Aktienmarkt im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Coronavirus COVID-19 waren bemerkenswert. Davon blieb kein Sektor verschont. Genau wie in früheren Phasen von Kursverlusten tendierte der Gesundheitssektor recht robust. In den USA gab der S&P 500-Index beispielsweise um 32% gegenüber seinem Februar-Höchststand nach. Der S&P 500-Health Care Sektor verlor dagegen per 20. März 2020 nur 24%.*
Der herkömmlichen Theorie zufolge wirken Gesundheitsaktien während einer wirtschaftlichen Kontraktion eher defensiv, da Menschen weiter medizinische Versorgung suchen und/oder benötigen. Diesmal werden Gesundheitswerte nicht durch einen kontinuierlichen Strom von Operationen oder Arztbesuchen unterstützt. Im Gegenteil, Social Distancing und die Vorbereitung auf einen steilen Anstieg der Coronavirus-Patienten haben viele dieser Routinetätigkeiten in den Hintergrund gedrängt.
Vielmehr belohnen Anleger jene Unternehmen, die Innovationen nutzen, um aggressiv Impfstoffe oder Behandlungen für COVID-19 zu entwickeln. Firmen, die die medizinische Versorgung aus der Ferne erleichtern, werden ebenfalls zunehmend beliebter. Der Fokus der Anleger auf diese Trends hat sich aufgrund der Krise verstärkt, und könnte unserer Ansicht zufolge bis weit nach Ende der Pandemie anhalten.
Performance von Gesundheitsaktien während der Krise
Quelle: Bloomberg, S&P 500 Index und S&P 500 Teilsektor-Indizes, tägliche Daten vom 19. Februar 2020 bis 20. März 2020. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die zukünftige Wertentwicklung.
Einsatz neuer Technologie, um alte Medikamente umzunutzen
Die eiligen Bemühungen um die Entwicklung von Therapien für die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöste Atemwegserkrankung COVID-19 sind sowohl mit Blick auf die Geschwindigkeit wie auch das globale Ausmaß bemerkenswert. Bislang haben Dutzende von Unternehmen, wissenschaftlichen Gruppen und Einrichtungen in den USA, Europa, China und Japan Initiativen mit Blick auf das neuartige Coronavirus angekündigt.
Ein Ansatz besteht darin, festzustellen, ob vorhandene Medikamente gegen COVID-19 wirksam sein könnten. Ein Kandidat erregt dabei große Aufmerksamkeit: das Generikum Hydroxychloroquin (HCQ), das seit den 1940er Jahren als Malariamittel verwendet wird. In einer kleinen klinischen Studie in Frankreich verkürzte HCQ den Krankheitsverlauf bei Coronavirus-Patienten, die das Medikament erhielten, signifikant. China und Südkorea haben HCQ ebenfalls in ihre Richtlinien zur Behandlung von COVID-19 aufgenommen. Derzeit laufen klinische Studien, um festzustellen, ob das Medikament konsistente und sichere Ergebnisse liefern kann. Wenn die Daten dies bestätigen, könnte HCQ enorme Auswirkungen haben und dazu beitragen, die Sterblichkeitsrate bei Patienten mit schwerem Verlauf zu senken, das Virus schneller zu eliminieren (und seine Ausbreitung einzudämmen) und möglicherweise als Prophylaxe für Populationen mit besonders hohem Risiko wirken, etwa für betroffene Ärzte.
Daneben laufen auch klinische Prüfungen ausgewählter antiviraler Medikamente. Eins davon ist Remdesivir, das vom US-Biotechnologiekonzern Gilead Sciences ursprünglich zur Behandlung von Ebola entwickelt wurde. Bis dato wurden beim Einsatz in einer Handvoll Härtefällen vielversprechende Ergebnisse erzielt. Die Daten aus umfangreicheren klinischen Prüfungen werden für April erwartet. Favipiravir, ein von FUJIFILM Toyama Chemical in Japan entwickeltes Influenza-Medikament, zeigte in klinischen Studien eine Verbesserung der Virus-Clearance. Obwohl die besten Ergebnisse bei Verabreichung kurz nach Auftreten der Symptome erzielt wurden (Daten aus Studien mit einer gängigen HIV-Therapie, die bei schwerkranken Coronavirus-Patienten keine wesentliche Verbesserung bewirkte, deuten ebenfalls darauf hin, dass der Zeitpunkt entscheidend sein könnte).
Entwicklung von Impfstoffen beschleunigt sich
Die fieberhafte Suche nach einem Impfstoff schreitet in rasantem Tempo voran. Im Februar gab die US-Biotechnologie-Firma Moderna bekannt, dass ihr potenzieller Impfstoff mRNA-1273 in die Testphase geht. Der Wirkstoff wurde in einer Rekordzeit von sechs Wochen mit Hilfe der firmeneigenen Boten-Ribonukleinsäure (mRNA)-Technologieplattform entwickelt. Diese regt die mRNA einer Zelle an, Proteine zur Krankheitsbekämpfung zu produzieren. Das deutsche Unternehmen BioNTech verfolgt in Partnerschaft mit Pfizer eine ähnliche mRNA-basierte Strategie. Inzwischen treiben mehrere andere Biopharmazeutika die Impfstoff-Forschung rasch voran und/oder stoßen klinische Studien an.
Quelle: Unternehmensberichte, Janus Henderson Investors. Daten vom 20. März 2020.
Anleger sollten unbedingt beachten, dass im Falle einer Zulassung eines Medikaments oder Impfstoffs die Auswirkungen auf den Gewinn eines Unternehmens von mehreren Faktoren abhängen, unter anderem vom Fortbestehen von COVID-19. Wird das Virus wie SARS wieder verschwinden oder wird es sich wie die Grippe jedes Jahr zurückmelden? Das Influenzavirus hat zwei Schlüsselproteine auf seiner Zelloberfläche, die sich tendenziell jedes Jahr neu anordnen. Das macht es für unser Immunsystem schwierig, sie vollständig zu erkennen und führt somit dazu, dass Influenza jedes Jahr wieder ausbricht. Das Coronavirus hat dagegen ein wichtiges Oberflächenprotein und ist bisher nicht nennenswert mutiert. Aus diesem Grund denken wir, dass das Coronavirus wahrscheinlich nur einmal auftreten wird.
Daher beobachten wir den raschen Anstieg, den einige Biotechnologieaktien in letzter Zeit aufgrund der Nachricht verzeichnet haben, dass sie dem Virus auf den Fersen sind, skeptisch. Längerfristig könnte die COVID-19-Krise jedoch dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf Plattformen für innovative Arzneimittel zu lenken. Das könnte unserer Ansicht nach das Interesse der Anleger an diesen Bereichen verstärken.
Telemedizin glänzt
Telemedizinische Dienste boomen. Sowohl die Regierung als auch Versicherer fördern den Einsatz von Technologie als effizientes und sicheres Mittel zur Behandlung von Influenza und potenziellen COVID-19-Infektionen, durch den das Gesundheitssystem entlastet wird. Die Trump-Administration kündigte dementsprechend kürzlich an, dass Medicare die Kosten für telemedizinische Dienstleistungen für die Dauer des nationalen Notstands angesichts von COVID-19 übernehmen wird. Ebenso bieten Krankenversicherungen kostenlose Zuschüsse für telemedizinische Beratung an, wobei die Begünstigten keine Vorabkosten für die Behandlung zahlen müssen. Diese Schritte sollten dazu beitragen, dass mehr Menschen die Telemedizin nutzen. Langfristig könnten sie die Haltung von Verbrauchern und Versicherern gegenüber Telemedizin verändern.
Gegenwinde bleiben
So ermutigend diese Fortschritte auch sind, es ist wichtig, das richtige Augenmaß zu behalten. Obwohl die Forschung schnell voranschreitet, dürfen die klinischen Tests am Menschen nicht überstürzt werden. Ein Impfstoff muss an Tausenden von Patienten getestet werden, um zu beweisen, dass er für Millionen potenzielle Patienten sicher und wirksam ist. Daher wird es für die allgemeine Bevölkerung voraussichtlich mindestens in den nächsten 12 bis 18 Monaten keinen Impfstoff geben.
Unterdessen steigt die Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle rapide, wobei strenge Regeln zur Vermeidung von Sozialkontakten und aggressives Testen die besten kurzfristigen Lösungen sind, um die Ausbreitung der Infektion zu verlangsamen. In den USA wurden knapp 290.000 Tests zur Diagnose durchgeführt. Wir halten das jedoch nicht für ausreichend.** Wir finden, dass die Bevölkerung umfassend zur Überwachung getestet werden muss (nicht nur Patienten mit starken Symptomen) und wir brauchen schnellere Antwortzeiten. Die meisten Patienten müssen tagelang auf ihr Ergebnis werden. Hier könnte ein Schnelltest Abhilfe schaffen, der von der Danaher-Tochter Cepheid entwickelt wurde und am Ort der Behandlung in 45 Minuten ein Ergebnis liefern kann. Die Zulassung des Tests wurde vor Kurzem erteilt.
Die Vermeidung von Sozialkontakten hat unterdessen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Wir rechnen in den kommenden Monaten mit einer starken wirtschaftlichen Kontraktion. Gesundheitsunternehmen sind zwar recht robust, werden aber nicht ganz verschont bleiben. So werden elektive Leistungen zunehmend gestrichen, mit entsprechenden Negativauswirkungen auf den Gewinn von Kliniken und Anbietern von Medizintechnik. Bei biopharmazeutischen Unternehmen verlangsamt sich die Einführung neuer Medikamente, da die Referenten keine direkten Termine mit Ärzten vereinbaren können. Schließlich könnten sich Schritte zur Eindämmung der Virus-Ausbreitung kurzfristig auf die Anmeldung von klinischen Studien auswirken und die Zulassung bei einigen Arzneimitteln verzögern.
Kurzum werden Anleger in den kommenden Monaten wohl mit anhaltender Volatilität rechnen müssen. Wir glauben jedoch, dass der rasante Kursverfall bei Aktien attraktive Chancen geschaffen hat. Längerfristig dürften die beispiellosen Innovationen des Sektors zur Erfüllung unbefriedigter medizinischer Bedürfnisse attraktives Wachstum bescheren. Dies dürfte angesichts des weltweiten Wettlaufs um ein wirksames Mittel gegen das Coronavirus inzwischen sicher sein.
*Quelle: Bloomberg, Daten vom 19. Februar 2020 bis 20. März 2020. Die Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die zukünftige Wertentwicklung.
**Quelle: The COVID Tracking Project, Stand: 24. März 2020