Gestern lag die CDU in den Umfragen zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg unter 20 %. Das ist ein ziemlicher Schock. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass der SPD-Kandidat Scholz weitgehend ähnlich wahrgenommen wird wie die Bundeskanzlerin Merkel. Und zwar so sehr, dass sich sogar Angela Merkel kürzlich zu einer höchst ungewöhnlichen Wahlkampfaussage gezwungen sah und darauf hinwies, dass sie in der Tat große Unterschiede zwischen sich und ihrem derzeitigen Finanzminister und Vizekanzler Scholz sieht.
Angesichts der schwachen Umfragewerte der Grünen scheint es, dass die sich ergebene Regierung tatsächlich entweder eine erneute Große Koalition zwischen SPD und CDU oder eine sogenannte Ampelkoalition mit SPD, Grünen und Liberalen sein könnte. In beiden Fällen sind die Unterschiede in den politischen Zielen groß und die Umfragewerte schwach genug, um nicht zu einem bedeutenden generellen deutschen Politikwechsel zu führen. Ich würde eher eine Veränderung erwarten, die sich nur in Nuancen und in bestimmten Bereichen vollzieht.
Es scheint eindeutig, dass der Mietmarkt noch strengeren Auflagen unterworfen werden könnte, um den Anstieg der Mietpreise zu begrenzen. In der Energiepolitik scheint ein früherer Kohleausstieg sehr wahrscheinlich. Die Aktienkurse von Vonovia bzw. RWE deuten bereits darauf hin. Für die Aktienmärkte zwar weniger relevant, scheint Einigkeit über bestimmte Elemente der Einwanderungspolitik und die Pflege enger Beziehungen zur EU zu bestehen. Hier enden die Gemeinsamkeiten, vor allem zwischen den Liberalen und den Grünen. Steuern und Steuerausgaben sind ein höchst umstrittenes Thema zwischen diesen beiden Parteien, wobei die SPD irgendwo dazwischen liegt. Jeder Jahreshaushaltsplan würde zu einem großen Streit führen. Es sei darauf hingewiesen, dass die strenge Haushaltsdisziplin der frühen 2000er Jahre ohnehin schon lange nicht mehr gilt. Es wurden viele Kompromisse geschlossen, um die EU zusammenzuhalten. Außerdem wurde die Aussetzung der Maastrichter Schuldenobergrenze für Deutschland erneut verlängert („Schuldenbremse“).
Insgesamt würde ich keine bedeutsamen, radikalen Änderungen in der Politik erwarten – weder in der Steuerpolitik, den EU-Beziehungen, den Russland/China/Nato/ Beziehungen, den erneuerbaren Energien, den Elektroautos und der CO2-Besteuerung, noch bei der Besteuerung von Privatpersonen oder Unternehmen. Unabhängig davon, welche Koalitionsregierung am Ende zustande kommt, würde ich erwarten, dass sie weit weniger folgenreich sein wird als der Wechsel von Präsident Trump zu Präsident Biden. Zumindest könnte sich eine Ampelkoalition als recht unbeständig erweisen.
Wenn Armin Laschet jetzt nicht schnell das Ruder rumreißt, ist seine politische Karriere wahrscheinlich beendet. Damit wäre der Weg für einen Neuanfang der CDU und einen radikaleren Bruch mit der Politik von Bundeskanzlerin Merkel frei. Das Thema wäre vor allem für die Wahlen nach 2021 relevant. Dies könnte letztlich eine Verschiebung von der verwässerten CDU hin zur leichtlinken Mitte markieren: wirtschaftsfreundlicher, liberaler, weniger bürokratisch und niedrigerer Besteuerung. Die erfolglose Kandidatur von Friedrich Merz im Jahr 2020 kommt mir in den Sinn. Er ist wahrscheinlich nicht die richtige Persönlichkeit, um eine Mehrheit innerhalb der Partei zu erlangen, aber jemand Jüngeres mit ähnlichen Ansichten könnte es dann vielleicht schaffen.
Robert Schramm-Fuchs, Portfolio Manager bei Janus Henderson Investors