- Niedrige Lagerbestände und ein großer Bedarf an Chips haben zu einem historischen Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage geführt.
- Angesichts der immer wichtigeren wirtschaftlichen Rolle der Halbleiter werden die Auswirkungen weitreichende Folgen haben.
- Wie die Managementteams in verschiedenen Branchen mit der Chipknappheit umgehen, wird wahrscheinlich Auswirkungen auf den Gewinn haben.
Die Corona-Pandemie hat zu zahlreichen wirtschaftlichen Verwerfungen geführt. Eine davon, die viel Aufmerksamkeit erregt hat, ist der weltweite Mangel an Halbleiterchips. Diese Entwicklung wird oft im Zusammenhang mit der Automobilindustrie sowie den Auswirkungen der stillgelegten Produktionsstraßen und den in die Höhe geschossenen Gebrauchtwagenpreise gesehen. Die Chip-Knappheit und die dadurch verursachten Probleme sind jedoch viel weitreichender und betreffen alle Industriesektoren, Regionen und wahrscheinlich einen beträchtlichen Teil der privaten Haushalte weltweit.
Wirklich schlechtes Timing
Die Halbleiterindustrie ist berüchtigt für anhaltende Ungleichgewichte, bei denen Chiphersteller und Verbraucher versuchen, ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu finden. Eine traditionell fragmentierte Branchenstruktur hat das Problem noch verschärft. Das derzeitig historische Ungleichgewicht ist das Ergebnis des Zusammentreffens von zwei Kräften, die beide direkt mit der Pandemie zusammenhängen: Die Lieferketten-Probleme, die durch die Lockdowns verursacht wurden, traten zur gleichen Zeit auf, wie der weltweit explodierende Bedarf an Chips und die durch die Pandemie beschleunigte Digitalisierung der Weltwirtschaft.
In einem typischen Zyklus erhöht die Halbleiterindustrie ihre Kapazitäten, um ihre Auftragsbücher zu füllen, wenn die Nachfrage wieder steigt. Die Herausforderung, mit der die Hersteller derzeit konfrontiert sind, besteht darin, dass die Nachfragekurve während der Pandemie steiler geworden ist. Das bedeutet, dass die Chiphersteller versuchen müssen ein immens höheres Produktionsziel zu erreichen. Zu Beginn des Engpasses rechneten die Führungskräfte damit, dass die Lagerbestände bis Ende dieses Jahres wieder aufgefüllt wären. Seit das Ausmaß des Ungleichgewichts deutlicher geworden ist, gehen optimistische Schätzungen von Mitte 2022 aus. Vorsichtigere Stimmen befürchten jedoch, dass dieses Ungleichgewicht erst Anfang 2023 vollständig abgebaut sein wird.
Angesichts der Komplexität der Halbleiterherstellung können zusätzliche Kapazitäten nicht einfach aus dem Boden gestampft werden. Da die Nachfrage weiterhin das Angebot übersteigt, und bis Ende 2022 keine größeren neuen Greenfield-Anlagen in Betrieb genommen werden, befürchten wir, dass der Markt für Chips in den kommenden Monaten noch angespannter wird. In der Zwischenzeit müssen Managementteams in vielen Branchen schwierige Entscheidungen über die Priorisierung der Produktion treffen, die sich auf ihre Umsatzströme und Rentabilität auswirken werden.
Halbleiter – Tage des Lagerbestands
Dieses Mal ist es anders
Das Zusammentreffen mehrerer Faktoren hat unserer Meinung nach dazu geführt, dass das derzeitige Ungleichgewicht bei Chips nicht so leicht zu beheben sein wird wie in früheren Zyklen. Vor allem hat die Nachfrage nach Halbleitern einen Wendepunkt erreicht. Es gibt kein Zurück mehr, da ein zunehmender Anteil der weltweiten Wirtschaftstätigkeit digital erfolgt. Remote Work hat zu einer unglaublichen Nachfrage nach komplexen Chips geführt, die Cloud Computing, künstliche Intelligenz (KI) und die Entwicklungen in der weltweiten Automobilbranche – einschließlich fortschrittlicher Fahrerassistenzsysteme und der Elektrifizierung von Fahrzeugen – antreiben. Ein Beispiel: Ein Elektrofahrzeug kann bis zu fünfmal mehr Halbleiter enthalten als ein Auto mit Verbrennungsmotor.
Während sich die Halbleiterindustrie bemüht, die steigende Nachfrage zu befriedigen, muss sie auch tektonische Verschiebungen im geopolitischen und globalen Handelsumfeld bewältigen. Die Chip-Lieferkette ist eine der am stärksten globalisierten. Der Trend zur Lokalisierung und der Wunsch der Länder die End-to-End-Produktion zu kontrollieren, wird wahrscheinlich weitreichende Auswirkungen haben, wenn sich die Chiphersteller auf einen möglicherweise stärker fragmentierten und isolierten Markt einstellen.
Die Perspektive eines Investors
Die Chip-Knappheit ist weder ein Ärgernis noch ein Nebenschauplatz. Anleger aller Anlageklassen und Sektoren müssen erkennen, dass eine Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ohne Halbleiter nicht funktionieren kann. Auf der Angebotsseite glauben wir, dass das derzeitige Ungleichgewicht den Halbleiter-Hersteller, die die Chipproduktion ermöglichen, noch mehr Auftrieb verschaffen wird. Sollten sich die Märkte stärker lokalisieren, wird die Zahl der Käufer für diese komplexen Maschinen wahrscheinlich ansteigen.
Wir sind uns zwar des kurzfristigen Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage bewusst, glauben aber, dass der Bedarf an analogen Chips weiter wachsen wird, da die Digitalisierung zu einem immer höheren Halbleiteranteil in einer breiten Palette von Anwendungen führt. Nicht zuletzt glauben wir, dass die säkulare Nachfrage nach Prozessoren, Beschleunigern und Netzwerkchips, die KI- und Cloud-Computing-Dienste ermöglichen, in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die Welt entwickelt sich nämlich zu einer digitalen Wirtschaft.
Auch Managemententscheidungen müssen überdacht werden, da die Praxis der „Just-in-Time“-Bestände seitens der Chipkäufer die derzeitige Knappheit noch verschärft hat. Folglich müssen Unternehmen, die in ihren Endprodukten oder Produktionsprozessen besonders auf Chips angewiesen sind, den Übergang zu einer „Just-in-Case“-Lagerhaltung in Betracht ziehen. Um dem Risiko einer vier- oder fünffachen Überbestellung von Chips entgegenzuwirken – in der Hoffnung, die Lieferungen stornieren zu können, wenn die Nachfrage nicht eintritt – verlangen die Chiphersteller zunehmend, dass die Bestellungen nicht stornierbar sind.
Die Halbleiterknappheit hat sich für die Weltwirtschaft als äußerst belastend erwiesen. Es gibt kaum Anzeichen dafür, dass sie nachlässt. Die Nuancen der Branchenstruktur und des Halbleiterzyklus sind typischerweise die Domäne von Tech-Investoren. Angesichts der zunehmenden Abhängigkeit der Weltwirtschaft von komplexen Cloud- und KI-fähigen Chips sowie von prozessorientierten Analogchips, sollte jedoch die weitere Branchenentwicklungen die Aufmerksamkeit aller Finanzmarktteilnehmer auf sich ziehen.
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Die Automobilindustrie ist in hohem Maße zyklisch und kann durch Arbeitsbeziehungen und schwankende Komponentenpreise erheblich beeinträchtigt werden.
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