Seit Mitte Juni konnten sowohl die Aktienmärkte als auch die Anleihenmärkte eine gute Performance vorweisen. Angesichts zunehmender Befürchtungen einer nahenden Rezession ist diese Entwicklung bei Anleihen gut erklärbar. Die Aussicht auf nun doch nicht so drastische Zinssteigerungen sorgt für eine positive Kursentwicklung an den Rentenmärkten. Überraschend sind hingegen die Zugewinne bei den Aktien. Was ist passiert?
Sinkende Rohölpreise sorgen für steigende Aktienkurse
Die Entspannung geht mit fallenden Rohölpreisen einher. So verzeichnete die allgemeine Rohöl Benchmark Notierung WTI (Western Texas Intermediate) am 14.6. mit rund 122 USD den letzten Höchststand und notierte am 16.8. bei rund 90 USD. So hoch wie vor dem Kriegsbeginn in der Ukraine. Diese Entwicklung kann nun in zweifacher Weise gedeutet werden. Erstens: als deutliche Entspannung an der Inflationsfront. Gab es doch Befürchtungen, dass der Rohölpreis bis auf 150 USD ansteigen könnte. Zweitens: als Abkühlung der Nachfrage oder der Konjunktur ganz allgemein. Hier ist die Frage, ob wir eine gesunde Abkühlung, eine milde Rezession oder einen Einbruch der Wirtschaft erwarten sollen. Die Aktienmärkte – speziell die US-amerikanischen – beantworten diese Frage recht optimistisch. Über Europa hängt zwar weiterhin das Damoklesschwert eines russischen Gaslieferstopps, dennoch haben sich die Aktienmärkte – an denen in der Earnings Season bisher gute Ergebnisse berichtet werden konnten – im Juli positiv entwickelt. In Europa hat der DAX knapp 5,5%, der Eurostoxx50 knapp 7,5% und der britische FTSE100 etwas über 3,5% zugelegt. In den USA kam der Dow Jones Index auf knapp 7% und der S&P500 auf mehr als 9% Zugewinn. Auch der japanische Nikkei verzeichnete mehr als 5% Plus während in China der Shanghai Composite etwas mehr als 3% und der Hang Seng Index in Hongkong über 7% verloren hat.
Große Erwartungen
Die EZB (0,50%) wie auch die US-Fed (0,75%) haben im Juli die Zinsen angehoben. Die EZB setzte mit 50 BP einen Schritt, der höher war als noch im Juni angekündigt. Sie hat sich damit unter jene Notenbanken eingereiht, die mit dem Vorziehen von Zinsanhebungen eine wirksamere Inflationsbekämpfung einerseits und eine Absicherung gegen eine Rezession andererseits umsetzen.
Die positive Entwicklung an den Aktienmärkten wie auch an den Rentenmärkten nimmt eine milde Rezession oder eine leichte Abschwächung der Konjunktur sowie einen Rückgang der Inflation auf 2% bis 3% bis Sommer 2023 vorweg. Die letzten Daten haben auch in diese Richtung gezeigt und damit dem Optimismus Auftrieb gegeben. Damit bestätigt sich unsere Annahme, dass wir keine Rezession erleben werden und die Aktien ihren Boden gefunden haben. Die Entwicklung bleibt aber weiterhin volatil, da diese Erwartungen nun auch erfüllt werden müssen. Man darf nicht vergessen, neun der zehn großen US-Investmentbanken sind in ihren Prognosen noch immer zurückhaltend.
Das Licht am Ende des Tunnels ist deutlich näher gerückt, aber wir haben ihn noch nicht verlassen.
Harald Holzer, MBA, CFA, Mitglied des Vorstandes / Chief Investment Officer, Kathrein Privatbank