Stagflation: Ein Gespenst geht um – müssen wir uns fürchten?

Kathrein Privatbank | 13.11.2023 11:09 Uhr
Thomas Odehnal, Fondsmanager bei Kathrein Capital Management / © e-fundresearch.com / Kathrein Capital Management
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In den letzten Wochen kommt vermehrt das Wort „Stagflation“ in den Medien vor und ist zumeist negativ konnotiert. Stagflation ist ein Kofferwort aus STAGnation und InFLATION und beschreibt somit ein stagnierendes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig erhöhter Inflation. In Europa befinden wir uns bereits in einem Stagflationsszenario und dieses wird noch eine Zeit lang andauern. Die USA weisen noch robustes Wirtschaftswachstum auf, aber auch jenseits des Atlantiks könnte es zu einer wirtschaftlichen Stagnation kommen.

Hier unsere Einordnung dazu:

Europa weist für das abgelaufene Quartal einen Wirtschaftsrückgang von 0,1% auf, während in den USA ein überraschend positiver Wert von annualisiert 4,9% (entspricht etwa 1,2% in der europäischen Berechnungslogik) vermeldet werden konnte. Bei der Gesamtinflation liegen beide Regionen noch jenseits der Zielmarke von zwei Prozent und bei der weniger volatilen Rate der Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) sogar über vier Prozent.

Die Stagflation ist deshalb so negativ behaftet, weil die am meisten präsente Vergleichsperiode jene Mitte der 70er Jahre ist, in der, ausgelöst durch den Ölpreisschock im Zuge des Jom-Kippur Krieges 1973, die Inflation rasch und stark anstieg und die Notenbanken mit massiven Zinserhöhungen reagieren mussten. Dies führte zu einem tiefen Wirtschaftseinbruch gefolgt von hoher Arbeitslosigkeit. Wenn sich Europa nun aber bereits in der Stagflation befindet – sollten wir uns dann nicht auch fürchten? Wir denken nein, denn es gibt fundamentale Unterschiede zu den 70er-Jahren.

Fünf Gründe, warum wir uns nicht fürchten müssen

Erstens war die Entwicklung langsamer – die Corona-Pandemie und der russische Überfall auf die Ukraine verknappten das Angebot – in geringerem Ausmaß auch die Nachfrage – und störten die Produktion und Lieferketten nachhaltig.

Zweitens und sehr bedeutsam war das Zinsniveau ein anderes: Die Leitzinsen in den USA standen in den 70ern vorab bei rund acht Prozent. Diesmal kamen sie von der historisch niedrigen Null. Somit haben die Anhebungen der Notenbanken nicht zu einem erhöhten, wie es gerne heißt, sondern eigentlich zu einem normalen Zinsniveau geführt.

Drittens kann die Wirtschaft die Entwicklungen besser verdauen, weil sie nicht mehr derart ölabhängig ist (andere Aufteilung der Wirtschaftszweige) und der Konsum (auch durch staatliche Stützungsmaßnahmen) in vielen Sektoren keinen Einbruch erlitten hat.

Viertens der Arbeitsmarkt ist viel resilienter. Dies ist auch durch die Demographie bedingt, da in den 70er Jahren eine große Anzahl an neuen Arbeitskräften hinzu kam, während heute mehr Personen ausscheiden als neu eintreten.

Und fünftens kommt der Rückgang der Wirtschaftsentwicklung erst zeitverzögert nach dem Höhepunkt der Inflation vor etwa einem Jahr und fällt nicht mit diesem zusammen.

Somit stimmt es, dass wir erhöhte Inflation haben, eine längere Phase der Stagnation erleben werden und somit ad definitionem in einer Stagflation sind, aber es ist kein Ebenbild der 70er Jahre.

Deshalb: Lassen sie das Gespenst ruhig herumwandern, aber fürchten sie sich nicht davor – es hat nicht den Mantel der Wirtschaftsdepression an.

Von Thomas Odehnal, Fondsmanager bei Kathrein Capital Management

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