Das gegenwärtige Narrativ der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) lautet „höher für einen längeren Zeitraum“. Nun ist es so, dass bereits seit einigen Monaten kein Zinsschritt mehr erfolgt ist. Die Fed hob im Juli den Leitzins auf die aktuelle Bandbreite von 5,25 bis 5,50 Prozent an, die EZB folgte im September und brachte die Einlagefazilität (jenen Zinssatz, der gegenwärtig als Leitzins wahrgenommen wird) auf 4,0 Prozent. Demnach wartet man schon seit einigen Monaten ab und beobachtet mit Argusaugen die Entwicklung der Inflation, wobei insbesondere die Fed mit einem Auge auf die Wirtschaft schielt.
Vonseiten der Teuerung gibt es positive Signale. Sie lag in der Eurozone im Oktober bei 2,9 Prozent p.a., in den Vereinigten Staaten bei 3,2 Prozent im Jahresvergleich. Der Trend geht klar nach unten, die Richtung stimmt somit. Dennoch wollten die Notenbanken weiterhin abwarten, um offenbar nicht vorschnell zu reagieren. Das hat nicht nur aus Perspektive der Notenbank gute Gründe, sondern ist auch aus Investorensicht nicht unbedingt ein Nachteil.
Nachhaltige zwei Prozent
Ein Grund, warum die geldpolitischen Zügel weiterhin eher stramm gehalten werden, ist, dass man abwarten möchte, bis das jeweilige geldpolitische Ziel nachhaltig erreicht ist. Auch wenn die Teuerung möglicherweise bereits in naher Zukunft an die 2-Prozent-Marke herankommt, so ist das für sich genommen noch kein ausreichender Grund, um anzunehmen, dass dies auch auf Sicht mehrerer Monate so bleibt. Aber genau darum geht es den Notenbanken. Als mögliche Risiken für dieses Szenario stehen beispielsweise neuerliche Energiepreisschocks aufgrund der zahlreichen globalen Konfliktherde sowie Zweitrundeneffekte aufgrund höherer Lohnabschlüsse im Raum.
Das geduldige Vorgehen der Notenbanken und das damit einhergehende weitere Warten auf baldige Zinssenkungen wirken somit durchaus nachvollziehbar und sind möglicherweise gar kein Nachteil. Denn die Gründe, weswegen sich eine Notenbank gezwungen sieht, die Wirtschaft durch niedrigere Zinsen zu stimulieren, sind üblicherweise keine wünschenswerten. Sei es die Finanzkrise 2008, die Euro-Krise 2009, die Corona-Krise 2020 oder die Energie-Krise 2022, sie haben nicht nur das unattraktive Wort „Krise“ gemeinsam, in diesen Phasen wurde auch die jeweilige Geldpolitik expansiver ausgerichtet, nach Möglichkeit auch durch Zinssenkungen. Sie haben sogar noch etwas gemeinsam: Es waren schwierige Zeiten für Investoren, insbesondere für jene, die in risikobehafteten Anlageklassen wie beispielsweise Aktien investiert waren.
Somit ist die abwartende Haltung der Notenbanken gerade für Aktien-Investoren kein Nachteil, und der Ruf nach geldpolitischer Lockerung sollte aus deren Sicht noch einige Zeit ungehört verhallen.
Von Andreas Auer, Institutional Business bei Kathrein Privatbank AG