Der Ölmarkt steht Kopf: Während Saudi-Arabien das Angebot erhöht und die Preise auf ein Vierjahrestief drückt, geraten Russland und Iran unter massiven Druck. Seit der OPEC+-Videokonferenz am 31. Mai ist klar: Riad setzt den Preisdruck fort, denn gemeinsam mit den Partnern wird die Förderung ab Juli um täglich 411.000 Barrel erhöht. Doch warum hat Saudi-Arabien Interesse an einer gesteigerten Produktion, und wie wirkt sich diese auf Wirtschaft und Kapitalmärkte aus?
Erinnern Sie sich noch an den April 2020? Mitten in der ersten Pandemiewelle rutschte der Terminkontrakt für US-Rohöl (WTI – West Texas Intermediate) sogar kurzzeitig ins Negative – ein Schockmoment, der vielen von uns bis heute nachhallt und zeigt, dass an den Rohstoffmärkten bisweilen genauso viel Adrenalin fließt wie an der Wall Street. Wer jetzt einen Blick auf die Ölpreiskurve wirft, wird ähnlich schockiert sein – denn sie erzählt gerade wieder eine überraschende Geschichte.
Pein für Iran und Russland
Brent, die wichtigste in Europa verwendete Rohölsorte, notiert inzwischen auf einem Vierjahrestief von rund 63 US-Dollar je Barrel, WTI knapp unter 61 US-Dollar (Bloomberg, 30. 5. 2025). Der Rutsch begann Anfang April, unmittelbar nachdem die OPEC+ zwei weitere Produktionsausweitungen à 411.000 Barrel pro Tag verkündet hatte. Seitdem scheint jeder kleine Rebound sofort wieder verkauft zu werden – eine Erinnerung daran, dass an den Terminbörsen derzeit mehr Skepsis als Hoffnung gehandelt wird.
Wenn Sie sich fragen, wer hinter dieser Angebotsflut steckt, lohnt sich der Blick nach Riad. Saudi-Arabien hat klar signalisiert, dass es im Zweifelsfall noch mehr Rohöl in die Leitungen drücken wird. Die Botschaft ist deutlich: Wer innerhalb des Kartells die Förderquote nicht erfüllt, soll die Marktpeitsche spüren. Gleichzeitig will das Königreich verlorene Anteile gegenüber US-Schieferöl und anderen Nicht-OPEC-Produzenten zurückholen. Dass man dafür kurzfristig eigene Einnahmeausfälle akzeptiert, verrät viel über die Dringlichkeit: Die saudischen Öleinnahmen sind im ersten Quartal um satte 18 % eingebrochen, das Budgetdefizit schnellte auf 15,6 Milliarden US-Dollar.
Schmerzhaft wird dieser Preiskrieg vor allem für Russland und Iran. In Moskau liegt der in Rubel gerechnete Barrelpreis deutlich unter der Haushaltsplanung, was die Defizitprognose für 2025 bereits verdreifacht hat. Teheran wiederum spürt die Daumenschrauben an beiden Händen: Verschärfte US-Sanktionen drosseln die Exportkanäle, während der Preisdruck den Wert der verbliebenen Lieferungen schrumpfen lässt – kein Wunder, dass wieder lauter über neue Nuklearverhandlungen gemunkelt wird.
Und was ist mit dem vielzitierten „Drill, baby, drill“ in den USA? Die Zahl aktiver Bohrtürme ist zwar leicht gesunken, doch bei rund 13 Millionen Barrel Tagesförderung bleibt das Niveau bemerkenswert hoch. Solange WTI oberhalb von 55 US-Dollar pendelt, können viele Schieferproduzenten ihre Kapitalkosten stemmen. Noch sehen wir also kein Massensterben im Perm-Becken – der rohstoffreichen Region im Süden der USA an der Grenze zu Mexiko –, sondern eher eine vorsichtige Gangart, die aber jederzeit in neues Wachstum umschlagen könnte, wenn die Preise anziehen.
Grafik: Ölpreis der Sorte WTI in US-Dollar
Quelle: Bloomberg, 30. 5. 2025
Nachfrage mit Fragezeichen
Auf der Nachfrageseite bremst dagegen ein Mix aus schwächerer Weltkonjunktur und wachsender Elektromobilität. Die Internationale Energieagentur hat ihre Prognose für das globale Ölverbrauchswachstum 2025 deutlich nach unten revidiert, und selbst die Weltbank rechnet inzwischen nur noch mit einem Brent-Durchschnittspreis von 64 US-Dollar. Kurz gesagt: Selbst wenn das Angebot zurückgehen sollte, bleiben auf der Nachfrageseite einige Fragezeichen.
Könnten geopolitische Risiken den Preis nicht doch sprunghaft nach oben treiben? Die eingeschränkte US-Lizenz in Venezuela, neue Sanktionsdrohungen gegen Russland oder die Dauerkrise im Nahen Osten liefern theoretisch genug Zunder. Praktisch reicht der Funke bislang jedoch nicht aus, um das Überangebot nachhaltig zu verbrennen – zumindest nicht, solange Saudi-Arabien den Hahn weit geöffnet hält.
Für Verbraucher und Notenbanker klingt das beinahe wie Musik: Sinkende Energiepreise wirken wie eine globale Steuersenkung – ein sanfter Rückenwind, der manche Konjunktursorgen übertönt.
Nachdem der Ölpreis nun nachhaltig die Marke von 70 US-Dollar unterboten hat, sehen wir die Möglichkeit eines Tests der 60-US-Dollar-Marke und potenziell eine Rückkehr in die Preisspanne vor der Pandemie (40 bis 70 US-Dollar). Dies ist aus unserer Sicht keine positive Entwicklung für den Ölsektor, weshalb wir diesen Bereich in unseren Aktienportfolios bereits seit Längerem untergewichtet haben. Für die globale Wirtschaft erwarten wir jedoch weiterhin einen positiven Impuls durch niedrigere Energiepreise, was die Aktienmärkte tendenziell stützen sollte. Der übergeordnete Trend bei den Ölpreisen zeigt unserer Einschätzung nach klar nach unten. Dennoch bleiben kurzfristige Preisausschläge aufgrund geopolitischer Ereignisse jederzeit möglich.
Zusammenfassung:
- Saudi-Arabien verschärft den Preiskrieg bei Rohöl durch Steigerung der Förderung, um Marktanteile zu gewinnen; Ölpreise fallen auf den tiefsten Stand seit vier Jahren.
- Der Trend beim Ölpreis zeigt aus unserer Sicht langfristig nach unten, kurzfristige Preissprünge durch geopolitische Risiken bleiben möglich.
- Niedrige Energiepreise wirken als Konjunkturstütze; Aktienmärkte profitieren tendenziell von niedrigen Ölpreisen, die wie eine Steuersenkung wirken.
Von Harald Besser, Leiter Portfolio Management bei der Kathrein Privatbank
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