Von Javier Rodriguez-Alarcon, Leiter Portfolio Management/Quantitative Investment Strategies bei Goldman Sachs Asset Management.
Das Handelsvolumen privater Anlagegeschäfte hat sich seit 2016 verdoppelt und macht nun etwa 20 % des durchschnittlichen Volumens der täglich in den USA gehandelten Aktien aus. Mit dem Angebot provisionsfreier Handelsgeschäfte haben neue Anbieter den öffentlichen Zugang zum Aktienmarkt erweitert und dabei Millionen neuer Marktteilnehmer angelockt.(1)
Doch was bedeutet der Anstieg der Privatanlagetätigkeiten? Und welche Auswirkungen könnte das auf die Aktienbewertungen für aktive Manager und ihre Fähigkeit, Alpha zu generieren und Risiken zu steuern, haben? Schauen wir uns dazu die Marktdynamik privater Anlagetätigkeiten genauer an.
Dynamik von Privatanlagetätigkeiten für die Alphagenerierung
Bevor wir erörtern, wie Manager sich auf das höhere Handelsvolumen von Kleinanlegern einstellen können, müssen wir zunächst die zur Verfügung stehenden Tools und Daten zur Erstellung von Markteinschätzungen betrachten. Bisher können Manager auf kein Angebot von konsolidierten Daten zugreifen, um einen schnellen Überblick über die täglichen Handelsaktivitäten von privaten Anlegern in Bezug auf eine Aktie bei verschiedenen Börsen und Brokern zu erhalten. Sich einen derartigen Überblick zu verschaffen, ist keine leichte Aufgabe. Es erfordert in der Regel hochentwickelte technische Möglichkeiten und gute Marktkenntnisse, um zeitnah eine zutreffende Gesamtbeurteilung der Privatanlegeraktivitäten zu entwickeln. Erst dann können Manager beginnen, effektiver über Signale für die Alphagenerierung oder Risikomanagementinitiativen in Bezug auf die Handelsaktivitäten von Kleinanlegern nachzudenken.
Aufmerksamkeits- und Stimmungsanalysen um Hypes vorherzusagen
Das Equity Alpha Team hat mehrere, auf den Mikrostrukturen des Marktes basierende hauseigene Methoden entwickelt, um abzuleiten, welche Geschäfte eventuell von Kleinanlegern ausgingen – und ob es sich dabei um Käufe oder Verkäufe gehandelt hat. Die Handelsgeschäfte von Privatanlegern haben bestimmte identifizierbare Merkmale, wie Transaktionsgrößen und Ausführungsmethoden. Untersuchen wir diese gezielt, können wir Schätzungen über das Handelsvolumen privater Anleger an einem bestimmten Tag ableiten.
Wir berücksichtigen dabei auch unsere eigens entwickelten Indikatoren, die speziell darauf ausgerichtet sind, die neuesten Aufmerksamkeits- und Stimmungstrends bei Kleinanlegern zu erfassen. Dafür suchen wir nach Datensätzen, die eng mit den Handelsflüssen von Kleinanlegern korrelieren. Diese können sogar voraussagen, worauf sich die zukünftigen Handelsaktivitäten und die Aufmerksamkeit von Kleinanlegern konzentrieren werden. Zu diesen Datensätzen gehört das Interesse an bestimmten Tickersymbolen bei Suchvorgängen auf den gängigsten Suchmaschinen. Auch andere Daten, wie Kommentare in Onlineforen oder Beiträge in sozialen Medien, können uns dabei helfen, Aktien zu identifizieren, denen der nächste Hype seitens Kleinanlegern gelten könnte.
In jedem Fall: Anlageentscheidungen sollten auf der Grundlage einer ganzheitlicheren Perspektive getroffen werden, die mehr berücksichtigt als nur die Stimmung bei den Kleinanlegern.
Auswirkungen auf das Risikomanagement
Die jüngsten Verschiebungen in der Zusammensetzung der Marktteilnehmer stellen Chancen für die Alphagenerierung dar. Doch: Wir konzentrieren uns insbesondere auch auf die Auswirkungen dieser Dynamikveränderungen auf das Risikomanagement. Mit unserem Ansatz möchten wir sowohl aktienspezifische idiosynkratische Risiken erfassen als auch verstehen, wie diese „Meme-Aktien“-Bewegungen in unseren Faktoren zum Ausdruck kommen.
Die Positionen in unseren Portfolios werden von uns laufend überwacht. So können Aktien erkannt werden, die eine extrem große Aufmerksamkeit von Kleinanlegern auf sich ziehen könnten. Unser Hauptaugenmerk gilt dabei Hinweisen auf übermäßigen Optimismus. Denn aufgrund der Kosten von Leerverkäufen haben Kleinanleger nur begrenzte Möglichkeiten, negative Einschätzungen einer Aktie zum Ausdruck zu bringen. Wir analysieren zudem marktbasierte Kennzahlen, wie die Short-Interest-Quote. Diese misst, wie viele – meist institutionelle – Anleger eine Short-Position in einer bestimmten Aktie halten. Bei Aktien mit hoher Short-Interest-Quote oder hoher Kreditaufnahme ist die Gefahr höher, dass es zu einem Short Squeeze kommt. Diese Kombination aus verschiedenen Einschätzungen und Auffassungen berücksichtigen wir bei der Bestimmung, wie viel Risiko wir einer Aktie zuordnen möchten.
Kleinanleger bevorzugen Aktien mit hoher Volatilität
Was Faktorrisiken angeht, konnten wir gleichbleibende Muster bei den Gesamtrisiken beobachten, die Kleinanleger eingehen – etwa bei Aktien mit höherer Volatilität. Da Privatanleger meist auf der Suche nach der Aktie sind, die der nächste „Hauptgewinn“ sein könnte, bevorzugen sie häufig Aktien, deren Kurse stark schwanken, weil sie dadurch auf höhere Gewinne hoffen.
Grundsätzlich möchten wir mit unserem Prozess abwägen, wie wir die potenziellen Chancen, die sich durch die gestiegene Aktivität von Kleinanlegern bieten, nutzen und gleichzeitig an unseren gründlichen Risikomanagementpraktiken festhalten können.
Javier Rodriguez-Alarcon, Leiter Portfolio Management/Quantitative Investment Strategies bei Goldman Sachs Asset Management
(1) Quelle: Goldman Sachs Global Markets Division. Stand: Juni 2021.