Der Anteil Chinas am MSCI Emerging Markets (EM) Index hat in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen, von nur sieben Prozent im Jahr 2000 auf heute etwa ein Drittel. Dieser Anteil wird im Laufe der Zeit weiter steigen, da die schrittweise Einbeziehung von A-Aktien, die derzeit bei 20 Prozent liegt, weiter fortgesetzt wird.(1) Bei einer hundertprozentigen Einbeziehung von A-Aktien könnte China 45 Prozent des MSCI EM Index ausmachen. Zudem ist China der zweitgrößte Aktienmarkt der Welt mit einem Börsenwert von fast 18 Billionen USD und knapp 5.900 gelisteten Aktien. Für die meisten Anleger, die in Schwellenländeraktien investieren, korrelierte die Marktperformance der Schwellenländer insgesamt bislang eng mit Chinas Binnenmarkt. Wie die Abbildung zeigt, hat sich die Verbindung in den letzten beiden Jahren jedoch in gewissem Maße entkoppelt. Chinesische Aktien entwickelten sich 2020 inmitten der Coronavirus-Pandemie weitaus besser als der Rest der Schwellenländer, hinkten ihnen ein Jahr später aufgrund strengerer Regulierung und einer strikten Null-Covid-Politik aber deutlich hinterher. Viele Anleger fragen sich daher, ob es an der Zeit ist, China als eigenständige Allokation zu betrachten. Die Frage mag vielleicht durch die jüngsten Unterschiede in der Marktperformance aufgeworfen worden sein, doch wir halten die einschneidenden strukturellen Veränderungen in China für einen überzeugenden Grund, das Land allein zu betrachten.
Performance von Schwellenmarktaktien im Zeitverlauf
Was wir von Japan gelernt haben
Im Januar 2001 legte MSCI seinen Asia ex-Japan Index auf. Damals machte Japan etwa 70 Prozent des All Country Asia Index aus und viele Anleger wollten einen Index, der nicht von einem einzelnen Land dominiert wurde. Die ausländischen Portfolioflüsse nach der Einführung des Asia ex-Japan Index 2001 zeigen, dass sowohl Japan als auch die Region (ohne Japan) weiter kumulative Nettozuflüsse mit einem recht beständigen Anteil von etwa 60 zu 40 Prozent (2) verzeichneten. Darüber hinaus ging die Korrelation (3) zwischen den Portfolioflüssen in den japanischen Markt und den asiatischen Markt ohne Japan allmählich zurück – von einem Hoch von 0,70 Anfang der 2000er-Jahre auf eine Spanne von zuletzt 0,10 bis 0,20 – bis der weitverbreitete Schock durch den Coronavirus-Ausbruch die Korrelationen wieder auf einen Stand von 40 Prozent nach oben trieb.
Unser Schluss daraus: Sowohl China als auch die Schwellenländer ohne China stellen brauchbare Indizes dar und können Investmentzuflüsse anziehen.
Chinas Einzigartigkeit
Bei Goldman Sachs Asset Management weisen wir generell auf die Bedeutung impliziter Sektor- und Stilausrichtungen hin, die entstehen können, wenn Top-down-Einschätzungen bei Allokationen zu geografischen Abweichungen vom MSCI World Index als traditionellem Vergleichsindex führen. Bei der Betrachtung von China und den Schwellenländern ohne China sind uns deutliche Unterschiede aufgefallen. Die Sektoren Technologiehardware und Halbleiter sind mit rund 29 Prozent (4) der größte Sektor im EM ex-China, während sie nur etwa fünf Prozent (5) im MSCI China ausmachen. Andererseits stellen die Kategorien Internet und Verbrauchereinzelhandel/-technologie (die zu den Sektoren Nichtbasiskonsumgüter und Kommunikationsdienstleistungen gehören) zusammen rund 43 Prozent im MSCI China, aber nur sechs Prozent im EM ex-China.
China weist die niedrigste Korrelation unter den Industrieländern und den Schwellenländern ohne China auf, und die Korrelation zwischen China und den Schwellenländern ohne China ist weitaus geringer als die Korrelation unter den Industrieländern.
Unserer Auffassung nach bietet China unter den großen Aktienmärkten das höchste Diversifikationspotenzial und weist eine ungewöhnliche Sektorzusammensetzung auf. Zwei Gründe mehr, die dafür sprechen, China als eigenständige Anlageklasse in Betracht zu ziehen.
Eine bessere Umsetzung taktischer Makroansichten ermöglichen
Während der MSCI China Index wie erwartet am empfindlichsten auf das chinesische Wachstum reagiert, weist der EM ex-China eine vergleichsweise höhere negative Sensitivität gegenüber den US-Zinsen auf als China. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Märkte der ASEAN-Staaten und bestimmter lateinamerikanischer Länder (wie Brasilien) in der Vergangenheit eine Sensitivität gegenüber höheren Zinsen in den USA gezeigt haben. Ebenso weisen Aktien aus den Schwellenländern ohne China eine vergleichsweise höhere positive Sensitivität gegenüber Rohstoffen auf als chinesische Aktien und der Gesamtindex der Schwellenländer. Angesichts des hohen Anteils Chinas an der globalen Nachfrage nach Metallen mag das auf den ersten Blick überraschen, doch erdölexportierende Schwellenländer wie Brasilien, Mexiko und die Nahostregion sind im EM ex-China hoch gewichtet. Die Sektorzusammensetzung bestätigt zudem, dass Rohstoffsektoren im MSCI EM ex-China Index stärker vertreten sind: Im MSCI EM ex-China haben Rohstoffsektoren ein Gewicht von etwa 20 Prozent, während es für China nur fünf Prozent sind.
Angesichts des aktuellen Umfelds eines sich abschwächenden Wachstums, hoher Inflation, steigender US-Zinsen und höherer Rohstoffpreise scheint jetzt ein günstiger Zeitpunkt zu sein, Implementierungsmöglichkeiten für makroökonomische Einschätzungen zu beurteilen. Eine Möglichkeit besteht darin, China von den restlichen Schwellenländern zu trennen, da die Schwellenländer ohne China eine höhere Sensitivität gegenüber diesen Faktoren aufweisen.
Fazit
Chinas Aufstieg im MSCI EM Index hat unserer Ansicht nach ein Niveau erreicht, das nicht mehr ignoriert werden kann, und wird sich voraussichtlich in Zukunft fortsetzen. Die Größe allein ist zwar noch kein ausreichender Grund, um eine Abspaltung Chinas vom Gesamtindex der Schwellenländer zu rechtfertigen, Chinas Einzigartigkeit unseres Erachtens aber schon. Bei den Renditen weist China in der Tat die niedrigsten Korrelationen mit Mainstream-Aktienkategorien auf und hat zudem eine ungewöhnliche Sektorzusammensetzung. Darüber hinaus weicht Chinas Aktienmarktperformance aufgrund idiosynkratischer Faktoren (wie Geopolitik, Regulierungspolitik) deutlich ab, was es Anlegern in manchen Fällen erschwert hat, Auffassungen in Bezug auf China und/oder Segmente ohne China zu entwickeln. Auch die Lektionen, die uns der japanische Markt gelehrt hat, sind beruhigend, denn sie zeigen, dass 1. dies in der Vergangenheit schon passiert ist und 2. Investitionen anfänglich ziemlich beständig in beide Kategorien fließen, bis eine reifere Phase eintritt. Ist es also an der Zeit, China für sich zu betrachten? Unserer Meinung nach ja.
Von Romain Duvergé, Senior Market and Portfolio Strategist, Strategic Advisory Solutions, und Julia Rees, CFA Head of Portfolio Strategy, Strategic Advisory Solutions
Quellen:
(1) MSCI. Stand: 30. Juni 2022.
(2) Goldman Sachs Global Investment Research. Beitrag: EM ex-China as a separate equity asset class (Schwellenländer ohne China als eigene Aktienanlageklasse) (Oktober 2021).
(3) Goldman Sachs Global Investment Research. Beitrag: EM ex-China as a separate equity asset class (Schwellenländer ohne China als eigene Aktienanlageklasse) (Oktober 2021).
(4) FactSet, MSCI, Goldman Sachs Global Investment Research. Stand: 8. Oktober 2021.
(5) Goldman Sachs Global Investment Research. Beitrag: EM ex-China as a separate equity asset class (Schwellenländer ohne China als eigene Aktienanlageklasse) (Oktober 2021).