Mal angenommen, Sie könnten jederzeit und überall in jede beliebige Person, jeden beliebigen Körper schlüpfen. Diese Möglichkeit bietet das Metaversum, das bei Medien und Anlegern weiterhin auf viel Aufmerksamkeit stößt. Es ist das neueste Schlagwort, das bei vielen Menschen die Frage aufwirft, ob es nur eine Modeerscheinung oder wirklich eine transformative Kraft ist. Aus mehreren Gründen könnte es wichtig sein, die Aufregung um das Metaversum zu verstehen.
Was ist das Metaversum?
Unter Metaversum versteht man eine Konvergenz zwischen Erlebnissen in der realen und der virtuellen Welt. Das jetzige Metaversum lässt sich mit dem Internet in den 1970er- und 1980er-Jahren vergleichen, als es die erste Form der verbesserten digitalen Kommunikation über Desktop-PCs darstellte – das Web 1.0. Mit der Verbreitung von Mobilgeräten hat sich das Internet zum Web 2.0 verwandelt, das sich derzeit in seinem mittleren bis Spätstadium befindet. Wer im Web 1.0 und 2.0 führend ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten herauskristallisiert.
Die Entwicklung zum Metaversum erfordert ganz neue Dimensionen an Rechenleistung, Dezentralisierung und Speicherung von Inhalten für diese Transformation. Die Kraft, durch die sich das Web 3.0 unterscheidet, liegt in der Interkonnektivität, für die keine zentralisierte Vermittlungsinstanz benötigt wird. Das Web 3.0 befindet sich zwar noch in einer sehr frühen Phase, doch wir sehen bereits mehr Teilnahme, da Inhalte an der Schnittstelle von virtuellen 3D- und physischen Erlebnissen zugänglich sind. Nach einer derartigen Transformation kann es in vielen Branchen zu drastischen Veränderungen kommen.
Letzten Endes ist es möglich, dass sich das Metaversum durch diese technologischen Veränderungen ständig weiterentwickelt, dabei vermutlich durch die Blockchain-Technologie gestützt wird und sich über verschiedene derzeit geschlossene Netzwerke erstreckt. Mit anderen Worten: Diese Netzwerke würden eher miteinander als unabhängig agieren. Dieser Weg in die Zukunft wird sicherlich nicht linear verlaufen, um einen „Endzustand“ zu erreichen. Selbst das gegenwärtige Konzept des Metaversums ist noch abstrakt und wird in seiner weiteren Entwicklung voraussichtlich durch viele Definitionen und Visionen Form annehmen. Von daher wird es vermutlich auch weiterhin für Anleger, Unternehmen und Verbraucher von Interesse sein.
Warum reden alle vom Metaversum?
Die Vergangenheit: Als das Coronavirus persönliche Erlebnisse unmöglich machte, nutzten viele Menschen virtuelle Meetingräume und Online-Erlebnisse, und andere schufen sogar ihre eigenen virtuellen Welten. Gleichzeitig ermöglichten Fortschritte bei der Hardware-Technologie die breite Einführung von Augmented- und Virtual-Reality-Systemen. Der Aufbau einer virtuellen Existenz wurde durch diese Innovationen vorangetrieben, denn sie ermöglichten es Menschen, digitale Verbindungen aufzubauen, und dem Metaversum, diese Trends zu beschleunigen.
Die Gegenwart: Mit der Verlagerung der digitalen Wirtschaft in die virtuelle Welt wurde ein mehrjähriger Investitionsschub bei Unternehmen ausgelöst, die sich mit dem Aufbau der notwendigen Infrastruktur als wichtige Player im Metaversum aufstellen wollen. Der Börsengang von Roblox und das Rebranding von Facebook zu Meta Platforms sind nur zwei Beispiele. Neben der virtuellen Realität erforscht Meta auch Non-Fungible Tokens (NFTs) und andere Nutzungsmöglichkeiten für die Blockchain. Diese Investitionen können dazu beitragen, die potenziellen Anwendungsfälle des Metaversums über das Gaming hinaus auf virtuelle Konzerte, Fashion Shows und mehr auszuweiten. Unternehmen in den Branchen Gaming, Augmented Reality und virtuelle Welten sammelten 2021 rund zehn Milliarden USD an Kapital an den privaten Märkten ein.(1) Meta kündigte für die nächsten Jahre Investitionen in Milliardenhöhe in das Metaversum an, und zwar vor allem im Computing-Bereich. Insgesamt könnte das Potenzial für Investitionen in diesem Bereich in den nächsten drei Jahren zwischen 135 Milliarden USD und 1,35 Billionen USD liegen.(2)
Die Zukunft: Laut Schätzungen von Bloomberg kann das Metaversum bis 2024 in verschiedenen Branchen Marktchancen von 800 Milliarden USD über mehrere Einnahmekanäle schaffen.(3) Mit der Verlagerung der digitalen Wirtschaft in die virtuelle Welt könnte sich das Metaversum in den kommenden 20 Jahren in einen acht Billionen USD schweren Markt verwandeln.(4) Führende Unternehmen, die in das Metaversum investieren, könnten in der Lage sein, die Teilnahme an interaktiven virtuellen Welten weiter zu fördern, wodurch neue Investmentchancen entstehen. Die erste Akzeptanz des Metaversums in der Unterhaltungsbranche, dem Einzelhandel und der Konsumgüterbranche konnten wir bereits beobachten.
Beispiele:
• Virtuelle Konzerte (5): Plattformen arbeiten mit Künstlern zusammen, um Avatar-Auftritte anzubieten und virtuelle Welten mit Minispielen und Merchandise zu schaffen. Im November 2020 erzielte ein beliebter Künstler mit seiner virtuellen Welt und einem virtuellen Konzert mehr als 37 Millionen Besuche, 60 Millionen Views in den sozialen Medien und zehn Millionen USD Umsatz an virtueller Merchandise.
• Virtuelles Shopping (6): Ein Luxuseinzelhändler schuf eine virtuelle Version seines berühmten Gartens in Florenz mit Laden, Museum und Restaurant. Spieler konnten Artikel anprobieren und kaufen, um sie im Metaversum zu tragen. Obwohl dieses Event nur zwei Wochen dauerte, wurde es von fast 20 Millionen Menschen besucht.
• Virtuelles Essen (7): Im Oktober 2021 eröffnete eine Fast-Food-Kette ihr erstes virtuelles Restaurant und bot den ersten 30.000 Nutzern, die das virtuelle Restaurant passend gekleidet besuchten, Gutscheine für einen kostenlosen Burrito an. Außerdem wurde ein Labyrinth geschaffen, in dem Besucher exklusive virtuelle Artikel freischalten konnten.
Das Metaversum der Gegenwart bietet technische Fortschritte im Bereich 5G und Edge-Computing, die ganz neue Anwendungsfälle eröffnen können. Das potenzielle Metaversum der Zukunft könnte die Erschließung von Marktchancen in vielen Branchen ermöglichen, wie Grafik 1 zeigt.
Welche Herausforderungen bringt das Metaversum mit sich?
Wie bei allen Trends bestehen Risiken – insbesondere in der Anfangsphase. Einer umfassenden Akzeptanz des Metaversums stehen immer noch viele Herausforderungen entgegen, und nicht alle Ideen werden erfolgreich oder in ihrer aktuellen Form überhaupt umsetzbar sein. Technische Fortschritte sind nötig, um High-Fidelity-Grafiken, niedrige Latenz und ein robustes Volumen zu erschwinglichen Preisen bereitstellen zu können. Aus einer Verhaltensperspektive müsste das Metaversum glaubwürdig bessere und attraktivere Optionen als die bestehende Technologie bieten. Bei Unternehmen müsste die Bereitschaft zur Zusammenarbeit über verschiedene Plattformen bestehen, um an virtuellen Erlebnissen teilhaben zu können.
Zudem könnten dieselben regulatorischen Bedenken wie etwa Datenschutz und -sicherheit, mit denen die Plattformen der großen Technologieunternehmen heute konfrontiert sind, auch das Metaversum betreffen. Gerade bei der Nutzung von Virtual-Reality-Brillen und anderen Geräten werden voraussichtlich große Mengen an Daten gesammelt.(8) Daher muss die Einführung solcher Geräte so erfolgen, dass die Daten und die Privatsphäre der Verbraucher geschützt sind, ohne dass dadurch die Nutzung beeinträchtigt wird. Auch im Bereich der Cybersicherheit dürfte es große Bedenken geben. Bestehende Herausforderungen von Phishing über Malware bis zu Hacking-Angriffen könnten auch die neuen Geräte einschließen, die für das Metaversum von zentraler Bedeutung sind. Die Möglichkeit virtueller Kriminalität und diese allgemeineren Bedenken werden ins Visier von Regulierungsbehörden und generell von anderen Interessengruppen rücken. Das sind nur einige der Risiken, die jetzt bestehen, und mit der weiteren Entwicklung des Metaversums werden neue hinzukommen (siehe Grafik 2).
Anwendungspotenzial des Metaversums
Bis zu einer breiten Umsetzung kann es zwar noch Jahre dauern, doch das Potenzial des Metaversums veranlasst bereits viele Unternehmen, das Metaversum zu unterstützen, virtuelle Welten dafür zu erschaffen und sich daran anzupassen. Von der Entwicklung sozialer Erlebnisse wie Musikkonzerten oder Tanzpartys bis zur Nutzung von Virtual und Augmented Reality, um medizinische Lerninhalte zu vermitteln und mehr Bildungsmöglichkeiten zu schaffen, bietet das Metaversum großes Anwendungspotenzial.
Unternehmen vieler Branchen werden weiter Innovationen entwickeln und Wege finden, wie Virtual Reality und Augmented Reality auf Unternehmen und Verbraucher zugeschnitten werden können. Es ist zwar schwer, die Gewinner von morgen vorauszusagen, aber das Web 3.0 könnte einschneidend verändern, wie wir mit der Welt interagieren. Ein potenzielles Nebenprodukt davon könnte das Metaversum sein. Während wir tiefer in das Metaversum eintauchen, müssen Anleger zwar im Hinblick auf diesen neu entstehenden Bereich Vorsicht und Geduld walten lassen, aber der Enthusiasmus und das Interesse dürften unserer Ansicht nach bald folgen.
Von Brook Dane, Portfolio Manager Fundamental Equity bei Goldman Sachs Asset Management.
(1) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(2) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(3) Quelle: Bloomberg und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 1. Dezember 2021.
(4) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(5) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(6) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(7) Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research und Goldman Sachs Asset Management, SAS. Stand: 10. Dezember 2021.
(8) Quelle: Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments und Goldman Sachs Asset Management. Stand: März 2022.