Die wichtigsten Aussagen im Überblick:
Die tiefgreifenden Umwälzungen im Wirtschafts- und Marktumfeld haben das Potenzial zur Alpha-Generierung erhöht. Zugleich erfordern sie aber auch einen neuen Ansatz beim Portfolioaufbau, der Public und Private Assets gleichermaßen beinhaltet.
Das Angebot an den Anlagemärkten ist heute vielfältiger und umfassender als früher: Mit einer Vielzahl von Strategien und Wert-papieren können Anleger ihr Chancenspektrum erweitern und sich gegen diverse Risiken absichern.
- Abgesehen von einer geringeren Fremdkapitalaufnahme erfordert das dynamische Marktumfeld mehr Aufmerksamkeit für die Faktoren „Liquidität“ und „Management von Abwärtsrisiken“. Neben einer dynamischen Asset Allokation gewinnen aktives Management und unkorrelierte Alpha-Strategien an Bedeutung.
Einer der wichtigsten Anlagegrundsätze ist die Diversifizierung. Deren Vorzüge gerieten nach der Weltfinanzkrise in den Jahren 2007 bis 2008 fast in Vergessenheit, da eine Phase niedriger Inflation und allgemeiner makroökonomischer Stabilität die Vermögenspreise im gesamten Anlagespektrum beflügelte. In diesem boomenden Umfeld genügte ein einfaches Beta-Engagement, um solide Renditen zu erzielen. Strategien mit aktivem Management hatten in den Jahren zwischen der Weltfinanzkrise und der Pandemie gegenüber traditionellen 60/40-Portfolios (60 Prozent Aktien, 40 Prozent Anleihen) einen schweren Stand, denn letztere profitierten von Rekordkursen bei Aktien und historisch niedrigen Zinssätzen.
Bekanntlich änderte sich dies im Jahr 2022 dramatisch, als der Inflationsschub und die energische geldpolitische Straffung durch die Notenbanken weltweit zu einem gleichzeitigen Ausverkauf von Aktien und Anleihen führten. Die Performance von 60/40-Portfolios brach drastisch ein, und Experten sahen bereits das Ende der Strategie nahen. Wir dagegen sind überzeugt: Ein schwieriges Jahr mit kritischen Kommentaren bedeutet nicht, dass ein Portfolio mit Aktien und Anleihen für alle Zeiten ausgedient hat. Früher oder später werden die Zinsen ihren Zenit überschreiten und die Notenbanken ihre Geldpolitik stabilisieren – und später gegebenenfalls lockern. Schon in diesem Jahr fiel die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen größtenteils negativ aus. Anleihen konnten wieder einen gewissen Schutz vor Phasen des Ausverkaufs am Aktienmarkt bieten.
Problematisch bleibt allerdings, dass wir in einer hochgradig ungewissen, dynamischen Welt leben, in der Volatilität, Korrelationen und Risikoprämien massiv schwanken können. Das 60/40-Portfolio stellt eine rudimentäre Form der Portfoliodiversifizierung dar. Sie war für eine Zeit mit konstanter Volatilität und vergleichsweise stetigen Märkten geeignet, in der die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen überwiegend negativ ausfiel. Doch das ist Vergangenheit und dürfte sich so schnell nicht wiederholen. Nach unserer Einschätzung müssen Anleger das 60/40-Konzept hinter sich lassen und neben Anleihen andere Lösungen finden, um Portfoliorisiken auszugleichen und sich vor Abwärtsrisiken zu schützen. Wer ein breiteres Spektrum von Vermögenswerten in den Portfolioaufbau einbeziehen will, kommt an aktivem Management nicht vorbei.
Gesucht: Eine dynamischere Anlagephilosophie
Die von dem Ökonomen und Nobelpreisträger Eugene Fama vor mehr als 50 Jahren entwickelte Markteffizienz-Hypothese besagt, dass einzelne Anleger in effizienten Märkten, in denen alle relevanten Informationen in die Vermögens-preise eingeflossen sind, keine Outperformance erzielen können. Diese Theorie trug zur Beliebtheit passiver Indexfonds bei, die sich in der Zeit nach der Weltfinanzkrise zumeist überdurchschnittlich gut entwickelten. In dieser Phase waren die Märkte und das Makroumfeld geprägt von geringer Inflation, Zinsen größtenteils nahe null, quantitativer Lockerung, niedriger Volatilität und weitgehend stabilen Korrelationen. Dieses für passive Strategien günstige Umfeld machte es aktiven Managern besonders schwer, Alpha zu generieren, was viele in der Meinung bestärkte, passiven Anlagestrategien gehöre die Zukunft.
Wir sehen eine gewisse Ironie darin, dass die überwältigende Dominanz passiver Strategien in den letzten zwölf Jahren gelegentlich zu größeren Abweichungen von den Fundamentaldaten beigetragen haben könnte. Werden große Geldsummen passiv und unter komplettem Verzicht auf das aktive Eingehen von Risiken investiert, kann es mitunter länger dauern, bis maßgebliche Informationen in die Preise eingeflossen sind. Der Markteffizienz-Hypothese zufolge reicht es für eine Effizienz der Märkte aus, wenn der Grenzinvestor aktiv investiert. Es ist jedoch nicht klar, wer der Grenzinvestor ist und ob er stets in einem ausreichenden Maße investiert, um die Märkte jederzeit effizient zu machen und Abweichungen von den Fundamentaldaten zu vermeiden. Gleichzeitig führte die Verbreitung des Retail- und Day-Tradings gelegentlich zu erhöhter Volatilität im Tagesverlauf und verstärkte so die Abweichungen von den Fundamentaldaten. Externe Schocks und die rasante Veränderung der Konjunktur- und Marktbedingungen verschärften die Volatilität in den letzten Jahren zusätzlich. Zugleich verbreiten sich der algorithmische Handel sowie Handelsempfehlungen auf Grundlage der Verarbeitung natürlicher Sprache. Beide können entweder dazu führen, dass neue Informationen in den Preisen beschleunigt berücksichtigt werden, oder sie können vorübergehend starke Abweichungen von den Fundamentaldaten verursachen – besonders angesichts wegweisender Reden und Ankündigungen oder bei Veröffentlichung wichtiger Daten.
Positiv ist das in historischer Perspektive vielfältigere Angebot an den Anlagemärkten zu vermerken. Mit anderen Worten: Die Märkte bieten ein breiteres Spektrum an Wertpapieren und Instrumenten. Mit diesen können sich Anleger nicht nur vielfältigere Chancen erschließen, sondern auch gegen mehr Risiken absichern. Von privaten Vermögenswerten bis hin zu maßgeschneiderten Derivaten, Wertpapieren und Strategien können Anleger nun Renditeströme in ihre Portfolios aufnehmen, die sich durch geringere Korrelationen zu traditionellen Anlageklassen auszeichnen. Damit haben sie die Möglichkeit, ihre risikobereinigten Renditen zu optimieren und auf potenziell einmalige Anlagechancen zuzugreifen. Zugleich wirken Strategien, die den Schwerpunkt auf die Ränder der Renditeverteilung legen, möglicherweise als Schutz vor Abwärtsrisiken, während andere vielleicht auf den Aufbau asymmetrischer Auszahlungsstrukturen zugeschnitten sind, die positiv zur Gesamtperformance beitragen können. Wer die entsprechenden Wertpapiere und Strategien in sein Portfolio einbezieht, verbessert mit hoher Wahrscheinlichkeit sein Risiko-Rendite-Profil gegenüber einem eher traditionellen Portfolioaufbau. Eine dynamische Asset Allokation und aktives Management stehen ebenso im Zentrum dieser modernen Anlagestrategie. Sie sind auch wegen der Veränderungen des makroökonomischen und geopolitischen Umfelds unabdingbar. Diese gehen auf langfristige strukturelle Trends zurück, die wir an anderer Stelle als die 5 Ds bezeichnet haben – Deglobalisierung, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Destabilisierung und Demografie. Dieses neue Anlageumfeld spricht nach unserer Überzeugung eher für einen ganzheitlichen Ansatz beim Portfolioaufbau, der private und öffentliche Vermögenswerte so berücksichtigt, dass die erwarteten risikobereinigten Renditen maximiert werden.
Portfolioaufbau: Darauf sollten Anleger achten
Wir sind der Auffassung, dass Anleger im heutigen Marktumfeld bei ihren Entscheidungen zum Portfolioaufbau fünf Leitsätze befolgen sollten:
Fokus auf das Risikomanagement legen: Angesichts einer immer größeren Dynamik bei Volatilität, Korrelationen und Risikoprämien rückt das Risikomanagement unweigerlich in den Mittelpunkt. Nach unserer Überzeugung werden Abwärtsrisiken, Extremereignisse und externe Schocks in Zukunft häufiger eintreten als vor der Pandemie. Effektiv arbeitende Manager sollten im heutigen Marktumfeld stets den nächsten potenziellen externen Schock einkalkulieren. Es ist naturgemäß nicht leicht, sich auf unerwartete Ereignisse vorzubereiten. Nie war die Kunst so wertvoll, Portfolios aufzubauen, die widrigen Umständen trotzen und gleichzeitig nach oben hin asymmetrische Auszahlungsprofile bieten.
Annahmen häufig überprüfen: Die Zeit niedriger Volatilität und stabiler Korrelationen ist vorbei und dürfte so schnell auch nicht wiederkommen. Manager sollten ihre Modelle häufiger als bisher Stresstests unterziehen und ihre Annahmen und Variablen regelmäßiger überprüfen, damit sie angesichts des im Wandel befindlichen Markt- und Makroumfelds relevant bleiben.
Leverage reduzieren: Im aktuellen Umfeld höherer Zinsen sind Anleger weniger auf Leverage angewiesen, um ihre Zielrenditen zu erreichen. Das ist eine gute Nachricht, denn die Fremdkapitalaufnahme kann nicht nur die erwarteten Renditen, sondern auch die Risiken vergrößern – in einem Abwärtsszenario kann dies katastrophale Auswirkungen haben. Im aktuellen Umfeld, in dem die Zinsen die höchsten Stände seit Jahrzehnten erreichen, ist Cash wieder King und ein wertvoller Portfoliobestandteil.
Liquidität im Auge behalten: In unsicheren Zeiten gewinnt Liquidität an Bedeutung. Weltweit straffen Notenbanken die geldpolitischen Zügel. Hierdurch ist die Liquidität an den Märkten gesunken und neue Informationen können erhebliche Verschiebungen der Vermögenspreise auslösen. Wer sicherstellen will, dass sein Portfolio unerwartete Marktschocks angemessen abfedern kann, muss sowohl Leverage reduzieren als auch für ausreichend Liquidität im Portfolio sorgen. Diese Kombination verhilft Anlegern auch zu ausreichenden verfügbaren Mitteln, um neu auftretende Chancen zu ergreifen. Dies ist meist nach großen externen Schocks und unerwarteten Nachrichten der Fall, die zu erheblichen Marktverwerfungen führen.
Engagement in öffentlichen und privaten Vermögenswerten gleichzeitig optimieren: Public und Private Assets ergänzen einander in erheblichem Maße. Daher lassen sich die erwarteten Risiko-Rendite-Ergebnisse verbessern, wenn das jeweilige Engagement im Portfolio gleichzeitig optimiert wird – immer unter der Voraussetzung, dass etwaige Überschneidungen der Risikofaktoren berücksichtigt werden, denen sowohl private als auch öffentliche Vermögenswerte ausgesetzt sind. Darüber hinaus kann dieser ganzheitliche Ansatz für Optimierung und Portfolioaufbau einen Rahmen für das Liquiditätsmanagement auf Portfolioebene bilden und zugleich für kontinuierlich optimale Liquidität sorgen.
Die Konjunktur- und Marktbedingungen ändern sich rasant. Daher ist es unverzichtbar, unseren Ansatz beim Portfolioaufbau an die neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Die Ordnung der Weltwirtschaft ist in Bewegung geraten, politische und wirtschaftliche Allianzen verändern sich und es herrscht Ungewissheit. Die Gütermärkte sind zersplittert, die Geopolitik ist destabilisiert. Handelsstrukturen ändern sich. Das kann bestehende Allianzen verändern und dazu beitragen, neue Bündnisse zu schließen. Dynamisch und beweglich zu bleiben – dies ist der Weg in die Zukunft.
Von Maria Vassalou, Co-Chief Investment Officer, Multi-Asset Solutions bei Goldman Sachs Asset Management