„Die Wirtschaft des Euro-Raums ist sehr gut in das Jahr gestartet. Wichtige Stimmungsindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes deuten eindeutig auf eine Ausweitung der Wirtschaftstätigkeit im ersten Quartal hin, nachdem sie im vorangegangenen Quartal stagniert hatte.
Auf längere Sicht werden jedoch die verzögerten Auswirkungen der geldpolitischen Straffung ihre Spuren hinterlassen. Eine große Unsicherheit betrifft die Auswirkungen der jüngsten Bankenkrise. Wir glauben zwar nicht, dass eine Krise wie die der globalen Finanzkrise 2007 bis 2009 bevorsteht, doch werden die Banken letztlich ihre Kreditvergabestandards erheblich verschärfen müssen. Daher rechnen wir mit einer Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit im zweiten Halbjahr 2023, während die unterstützenden Faktoren den Euro-Raum wahrscheinlich vor einer Rezession bewahren. Alles in allem haben wir unsere Wachstumserwartungen etwas zurückgeschraubt, sehen aber immer noch ein Produktionswachstum von 0,7 Prozent im Jahr 2023 (Konsens.: 0,4 Prozent), was vor allem auf ein starkes erstes Quartal zurückzuführen ist.
Der Schmerz der drastischen geldpolitischen Straffung ist noch zu spüren
Die westlichen Volkswirtschaften werden mit den Folgen der geldpolitischen Straffung noch zu kämpfen haben, da die US-Zinsen in nur einem Jahr um fast 500 Basispunkte und die EZB-Zinsen um 350 Basispunkte gestiegen sind. Die daraus resultierenden verzögerten Effekte werden bis zum zweiten Halbjahr 2023 für erheblichen Gegenwind sorgen. Die rasche Straffung hat auch die Risse im Finanzsystem offengelegt, als zwei mittelgroße Banken in den USA (Silicon Valley Bank und Signature) in Konkurs gingen. Wie der Dominoeffekt in dem Zusammenbruch der Credit Suisse in Europa gezeigt hat, leidet der Bankensektor insgesamt unter der verschärften Marktkontrolle, den höheren Refinanzierungskosten und der Abwanderung von Einlagen, insbesondere bei schwächeren Instituten. Dies wird die Kreditvergabe der Banken in den kommenden Quartalen stark einschränken. Dies ergänzt die Inflationsbekämpfung der Zentralbanken und ist ein Ersatz für weitere Zinserhöhungen, die wir vor der jüngsten Krise in Aussicht gestellt hatten. Diese Form der Straffung ist jedoch viel riskanter und weniger vorhersehbar, da die Zentralbanken einen heiklen Balanceakt zwischen Inflationsbekämpfung und Wahrung der Finanzstabilität vollziehen müssen.
Die Mitglieder des EZB-Rates machten deutlich, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht abgeschlossen ist und sie diese als ‚zu hoch und zu lange‘ ansehen. Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass der Druck aus der Inflationspipeline nachlässt und die Energieinflation desinflationär wird. Eine große Unsicherheit geht von den Auswirkungen auf den Bankensektor aus. Wir halten es für wahrscheinlich, dass eine Verschärfung der Kreditvergabestandards an die Stelle von Zinserhöhungen treten wird. Nach einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte auf 3,0 Prozent (Einlagensatz) im März erwarten wir keine weiteren Erhöhungen. In Anbetracht der hohen Unsicherheiten sind die Risiken für eine weitere Straffung jedoch eher gering.
USA: Verlangsamung wird zu Zinssenkungen im 4. Quartal führen
Der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank wird zu einer zusätzlichen Verschärfung der Kreditvergabestandards führen. Diese wird das Wachstum rapide verlangsamen, das überraschenderweise noch bei 2 Prozent auf Jahresbasis im ersten Quartal lag. Die Abschwächung wird durch einen regelrechten Einbruch im dritten und vierten Quartal erfolgen, gefolgt von einem deutlich unterdurchschnittlichen Wachstum im ersten Halbjahr 2024. Deshalb haben wir unsere US-Wachstumsprognose für 2023 von 1,1 Prozent auf unter dem Konsens liegende 0,4 Prozent gesenkt.
Die Probleme im Bankensektor erschweren die Aufgabe der Fed zusätzlich und machen eine sanfte Landung zu einer „Mission impossible". Auf der März-Sitzung der Fed wurde nach der aggressiven Kommunikation im Februar eine deutliche Verschiebung der Forward Guidance vorgenommen. Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank (FOMC) hält es nun für angemessen, den Leitzins um lediglich weitere 25 Basispunkte auf einen Höchststand zwischen 5 Prozent und 5,25 Prozent anzuheben, und – was besonders wichtig ist - er sieht keine Zinssenkung in diesem Jahr vor. Dies steht in krassem Gegensatz zu den Erwartungen der Märkte, die bereits im Sommer mit Zinssenkungen rechnen, weil sie von einem schnelleren Rückgang der Inflation ausgehen. Unseren Prognosen zufolge wird die Verschlechterung der Konjunktur im zweiten Quartal eine weitere Zinserhöhung verhindern, doch die Zinssenkungen werden erst gegen Ende des Jahres beginnen (-50 Basispunkte im vierten Quartal).“
Von Thomas Hempell, Head of Macro & Market Research bei Generali Investments.
Lesen Sie hier den vollständigen Generali Investments Ausblick.