Thomas Romig: Zinswende in der Eurozone?

Die Inflation in der Eurozone erreicht im Januar mit 5,1 Prozent das höchste Niveau seit Einführung des Euros. Gleichzeitig steigen die Renditen auf Staatspapiere im Zuge der Zinswende in den USA auch in Europa an. Die EZB muss Rücksicht auf die hohe Staatsverschuldung in vielen Euroländern nehmen, entsprechend verhalten sind die aktuellen geldpolitischen Entscheidungen. Assenagon Asset Management | 17.02.2022 15:30 Uhr
Thomas Romig, Head of Multi Asset Portfolio Management, Assenagon AM / © Assenagon AM
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Die Inflation in den USA und Europa ist in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres mit voller Wucht zurückgekehrt. So stiegen die Preise in den USA im Januar um 7,5 Prozent, während die In­flation in der Eurozone mit 5,1 Prozent das höchste Niveau seit Einführung der Ge­meinschaftswährung erreichte. Die Federal Reserve hat sich mittlerweile von der Einschätzung ver­abschiedet, es handle sich bei der Infla­tion nur um ein vorü­ber­gehendes Phänomen, das ohne eine straffere Geldpolitik verschwinden würde. Dementsprechend beschlossen die amerikani­schen Währungshüter, ihre (Netto-) Wertpapierkäufe im Frühjahr ein­zustel­len und so den Weg für Zinserhöhungen freizu­machen. Das Um­schwenken der Fed ließ die Zinsen an den Rentenmärkten nicht nur in den USA, sondern auch in Europa ansteigen. So erreichten 10-jährige Bundesanleihen im Januar erstmals seit Mai 2019 wie­der positives Territorium. Risikoaufschläge italienischer und griechischer Staatsanleihen weiteten sich in den letzten sechs Monaten von jeweils 100 Basispunkten auf 160 bzw. 210 Basis­punkte aus.

Für die Europäische Zentralbank wird die Lage damit immer un­gemütlicher: Steigende Renditen und hohe Inflation sind eine riskante Kombina­tion für den Euroraum. Einerseits wachsen die Erwartungen an die EZB es der Fed gleichzutun und die Inflation entschiedener zu bekämp­fen. Andererseits möchten die europäischen Währungshüter keinesfalls den wirtschaftlichen Auf­schwung abwürgen und die teils hochver­schuldeten Länder der Eurozone durch höhere Zinsen belasten. Die EZB muss den schwierigen Spagat schaffen, die Zinsen niedrig zu hal­ten und gleichzeitig glaubwürdig zu kommunizieren, Preisstabilität gemäß ihrem Mandat zu gewährleisten. Entsprechend verhalten fielen die jüngsten geldpolitischen Entscheidungen auf dem Papier aus. So sollen Nettoankäufe im Rahmen des in der Pandemie aufge­leg­ten Notfallpro­gramms PEPP Ende März auslaufen, dafür wur­den die regulären Anleihekäufe aber etwas aufgestockt. Eine Leitzinserhöhung soll zudem erst dann erfolgen, wenn die Net­toankäufe beendet wurden.

Die EZB hat das Tor für eine Zinswende noch in diesem Jahr ein Stück weit aufgestoßen.

Inflationserwartungen nehmen zu

In der Fragerunde nach dem letzten Meeting sendete die EZB aber Signale, die auf eine mögliche Straffung der Geldpolitik hindeu­ten. So bezeichnete Christine Lagarde den hohen Preisanstieg im Dezember und Januar als "überraschend" und räumte ein, dass vor allem kurz­fristig das Risiko einer höheren Inflation bestehe. Zudem schloss sie nicht mehr explizit aus, die Leizinsen noch dieses Jahr anzuheben. Für eine umfassendere Beurteilung der Lage wolle man aber bis März warten, wenn neue Prognosen zu Inflation und Wachstum vorliegen.

Bei den Bürgern sorgt die abwartende Haltung der EZB zuneh­mend für Verunsicherung. Einer Um­frage der Bundesbank zufolge erwarten rund 80 Prozent der Deutschen einen weiteren Anstieg des Preisniveaus in den nächsten zwölf Monaten. Es besteht somit die Gefahr, dass sich hohe Inflationsraten zunehmend in Wahrnehmung der Menschen verankern. Dauerhaft hohe Infla­tionserwartungen können deshalb gefährlich sein, da sie Lohn- und Preissetzung von Arbeitnehmern und Unternehmen beein­flussen. Um ihr Einkommen vor der Entwertung durch Inflation zu schützen, verlangen Arbeitnehmer höhere Löhne, die durch die Unternehmen über Preissteigerungen auf die Kunden umgewälzt werden. Es entsteht eine Lohn-Preis-Spirale, die von der Zentral­bank nur schwer gestoppt werden kann. Zusätzlich können Maß­nahmen im Rahmen der Energiewende wie die CO2-Besteuerung und der Ausstieg aus der Atomkraft, sowie eine mögliche Abwer­tung des Euros gegenüber dem Dollar – Stichwort importierte Inflation – weiter preistreibend wirken. 

Zinsbelastungen steigen

Dass die EZB trotz erheblichen Preisdrucks und hoher Inflations­erwartungen ihre expansive Geldpolitik zunächst fortsetzt, dürfte maßgeb­lich zwei Gründe haben: Zum einen will sie den Wieder­aufschwung nach der Pandemie nicht gefährden, zum anderen sind einige hochver­schuldete Eurostaaten auf niedrige Zinsen angewiesen. Auch ohne ihr Zutun sind die Renditen auf Staatsan­leihen bereits deutlich gestie­gen. Da möchte sie auf keinen Fall weiter Öl ins Feuer gießen. Für Länder wie Italien oder Griechen­land würde es ansonsten deutlich teurer werden, sich zu refinan­zieren.

Der Schuldendienst war in der Vergangenheit in erster Linie des­halb erträglich, weil die EZB durch Stützungskäufe für niedrige Zinsen und geringe Risikoaufschläge gerade für Europeripherie­länder sorgte. Beispielsweise ist der Durchschnittszins, den der italienische Staat auf seine Schulden zahlen muss, im Jahr 2021 auf 2,3 Prozent gesunken. Ein Anstieg auf das Niveau vor der Fi­nanzkrise von 4,5 Prozent würde die Zinslast von derzeit 60 Mil­liarden Euro auf über 120 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen las­sen. Mussten bislang 7 Prozent der italieni­schen Staatseinnahmen für Zinszahlungen aufgewendet werden, wären es dann 15 Pro­zent. Das sind Dimensionen, die für Italien alleine kaum zu stem­men sind. Für Italien, aber auch für die weniger verschuldeten Euroländer, gilt: Höhere Zinsbelastungen können nur über ent­sprechend stärkeres Wirtschaftswachstum, Sparmaßnahmen oder neue Schulden finanziert werden. Da die Wachstumsraten in der Eurozone im letzten Jahrzehnt bestenfalls moderat ausfielen und Sparmaßnahmen unbeliebt sind, hat die EZB einen starken Anreiz, die Renditen weiterhin so niedrig wie möglich zu halten.

Trotzdem hat die Europäische Zentralbank auf ihrem letzten Mee­ting das Tor für eine Zinswende noch in diesem Jahr ein Stück weit auf­gestoßen. Der Druck steigender Zinsen in den USA und die zunehmende Sorge um ihre Reputation als Garant stabiler Preise zwingen sie dazu. Die EZB dürfte allerdings mit deutlich geringe­rem Tempo als die Fed vorgehen. So sind aus aktueller Sicht ein bis zwei Zinsschritte noch in diesem Jahr möglich. Aus Sicht eines Anlegers ist es in einer Phase einer möglichen Zinswende wichtig, die Risiken von auch nur leicht steigenden Zinsen im Auge zu behalten. Denn ein Zinsanstieg einer 10-jährigen deutschen Staats­anleihe von 0 Prozent auf nur 1 Prozent – welcher immer noch ein niedriges Zinsumfeld repräsentiert – bedeutet einen Verlust von ca. 10 Prozent auf dieser Position. Auch die Auswirkungen eines Zinsanstiegs auf Unternehmensanleihen und Aktieninvestments bzw. die Investmentstile Value und Growth können je nach Ausmaß der Entwicklung signifikant ausfallen.

Thomas Romig, Head of Multi Asset Portfolio Management, Assenagon AM

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