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Aufgrund hoher Inflationszahlen legen westliche Zentralbanken eine geldpolitische Vollbremsung hin.
Bei der gegenwärtigen Angebotsknappheit haben die Notenbanker kurzfristig nur geringen Einfluss auf Preisdynamiken.
Um einen inflationssenkenden Effekt zu erzielen, müssten die Zinserhöhungen viel höher ausfallen.
Für mehr als eine Dekade haben die westlichen Zentralbanken die Wirtschaft mit günstigem Geld versorgt. Mittels niedriger Leitzinsen und unkonventioneller Geldpolitik in Form von Anleihekäufen ermöglichten die Währungshüter günstige Kredite für Staaten, Unternehmen und Haushalte. Die Logik dahinter: Die Nachfrage ankurbeln, um so Inflationsraten nahe 2 Prozent, dem offiziellen Ziel der Zentralbanken, zu erreichen. Für Anleger gab es in dieser Zeit wenig zu verlieren. Kaum Inflationsrisiken, Zinsen nahe Null und sollte es doch einmal ernster werden – Stichwort Eurokrise oder Corona-Pandemie – standen die Zentralbanken bereit, um jedwede Krise durch noch mehr Liquidität abzuwehren. Aktien und Immobilien waren die einzigen Anlagen, mit denen dauerhaft Rendite erzielt werden konnten. Dementsprechend eilten Aktienmärkte jenseits und diesseits des Atlantiks von Rekord zu Rekord, während Immobilienpreise explodierten. Wenig profitable Tech-Firmen, die Gewinne in ferner Zukunft versprachen, wurden mit Geld überhäuft und Kryptowährungen boomten.
Um einen inflationssenkenden Effekt durch die Geldpolitik zu erzielen, müssten die Leitzinsen gegenwärtig in Europa und den USA bei mindestens 6 Prozent liegen. Thomas Romig, Head of Multi Asset Portfolio Management
Geldpolitische Kehrtwende
Diese goldene Ära ist erst einmal vorbei. Nach langem Zögern haben sich die Zentralbanken dazu entschieden eine geldpolitische Vollbremsung hinzulegen, in den USA mehr noch als in Europa. Angesichts einer Inflationsrate im Mai von 8,6 Prozent erhöhte die Federal Reserve die Leitzinsen Mitte Juni um 75 Basispunkte, der stärkste Anstiegt seit 1994. Ihre Botschaft könnte klarer nicht sein: Sie möchte die Inflation um jeden Preis eindämmen. Die Europäische Zentralbank geht im Moment trotz Preissteigerungen von über 8 Prozent langsamer vor. Die europäischen Währungshüter haben angekündigt, die Nettoanleihekäufe von Staatsanleihen im Juli einzustellen und so den Weg für eine erste Leitzinserhöhung zu bereiten. Im Gegensatz zur Fed muss die EZB – zumindest inoffiziell – auf die Befindlichkeiten der Mitgliedsländer der Eurozone Rücksicht nehmen. So könnte beispielsweise die Staatsverschuldung Italiens in Höhe von 150 Prozent des BIPs ohne zusätzliches Auffangnetz untragbar werden – und damit die gesamte Währungsunion gefährden. Dementsprechend vorsichtig geht sie jetzt vor und plant weitere Maßnahmen, um gegen die zunehmende Fragmentierung der Märkte vorzugehen.
Die Wende in der Geldpolitik kommt für die westlichen Volkswirtschaften zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Viele Länder in Europa wie Deutschland, Frankreich oder Italien waren gerade erst dabei, sich von zwei Corona-Jahren zu erholen und das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung zu erreichen. Statt Wiederaufschwung droht jetzt Stagflation oder gar eine Rezession. Schuld daran sind der Angriff Russlands auf die Ukraine in Kombination mit den umfangreichen Sanktionen des Westens, sowie die Zero-Covid-Strategie Chinas im Kampf gegen die hochansteckende Omikron-Variante. Beide Faktoren haben das globale Warenangebot noch einmal stark verknappt. Zusätzlich führt die hohe Inflation zu realen Einkommensverlusten, welche die Kaufkraft sinken lassen. Die Zinserhöhungen durch die Notenbanken schränken die Nachfrage noch weiter ein. Denn zum einen erhöhen sich die Kreditkosten für Unternehmen und Haushalte, Investitionen und Konsum gehen in Folge zurück. Zum anderen wird Sparen wieder attraktiver, wenn sichere Anlageformen wieder mehr Zinsen abwerfen.
Keine Handhabe bei Angebotsschocks
Das ist das eigentlich Tragische an der aktuellen Situation. Die Zentralbanken haben bei der aktuellen Angebotsknappheit praktisch keine Handhabe, ihre Geldpolitik wirkt sich in erster Linie auf die Nachfrageseite aus. Wenn die Preissteigerungen durch externe Faktoren wie den Ukraine-Krieg oder Unterbrechungen in den globalen Lieferketten hervorgerufen werden, helfen Zinserhöhungen wenig. Knappheit bei Energie oder Lebensmitteln lässt sich so nicht beheben. Ganz im Gegenteil: Höhere Refinanzierungskosten verteuern Investitionen und erschweren die effiziente Reallokation von Ressourcen innerhalb der Wirtschaftssektoren. Für Unternehmen wird es schwieriger, sich auf die neuen Herausforderungen des aktuellen Wirtschaftsumfeldes einzustellen. So müssten Firmen beispielsweise die Produktion an die stark gestiegenen Energiepreise anpassen oder nach alternativen Lieferanten für ihre Vorprodukte suchen, um Lieferketten robuster gegen externe Einflüsse zu machen.
Dass die Notenbanken dennoch die Zügel anziehen, dürfte vor allem an der Sorge vor einer Lohn-Preisspirale liegen. Die hohen Inflationsraten verankern sich zunehmend in der Wahrnehmung der Bürger. Um ihr Einkommen vor der Entwertung durch Inflation zu schützen, verlangen Arbeitnehmer und Gewerkschaften höhere Löhne, die durch die Unternehmen über Preissteigerungen auf die Kunden umgewälzt werden. Diese Zweitrundeneffekte können eine Dynamik entfalten, die selbst bei wieder steigendem Warenangebot zu einer dauerhaft hohen Inflation führt und von den Währungshütern nicht mehr gestoppt werden kann. Daher scheint die aktuelle Strategie darauf abzuzielen, durch verspätete, signifikante Leitzinserhöhungen die Nachfrage einzudämmen und Lohnerhöhungsrunden teilweise im Keim zu ersticken.
Weit hinter der Kurve: Inflation in der Eurozone und EZB-Einlagenzins
Quelle: Europäische Zentralbank
Trotz der zunehmend restriktiveren Geldpolitik laufen die Fed und die EZB aufgrund der zögerlichen Haltung im vergangenen Jahr den Inflationsentwicklungen weit hinterher. Daran ändern die geplanten Zinserhöhungen kaum etwas. Um einen inflationssenkenden Effekt durch die Geldpolitik zu erzielen, wären viel höhere Leitzinsen nötig. Laut Taylor-Regel, einer nützlichen Faustregel zur Bestimmung der Leitzinsen, müssten diese gegenwärtig in Europa und den USA bei mindestens 6 Prozent liegen. Eine Zinserhöhung in diesem Umfang wäre eine neue geldpolitische Bazooka, dieses Mal im wahrsten Sinne des Wortes: Das Wirtschaftswachstum würde komplett abgewürgt werden und eine massive Rezession wäre unausweichlich.
Thomas Romig, Head of Multi Asset Portfolio Management bei Assenagon AM
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