Die geopolitischen Entwicklungen im Osten Europas und die daraus resultierenden Effekte für die Energiepreise haben die Finanzmärkte weltweit unter Druck gesetzt. Anleger stehen vor neuen Herausforderungen, da zugleich die Inflationsbekämpfung für die Notenbanken als zentrale Aufgabe zurück in das Blickfeld gerückt ist. Im Interview mit dem Finanzjournalisten Christoph Scherbaum erklärt Thomas Romig, wie Investoren auf steigende Zinsen reagieren sollen und welche Auswirkungen steigende Energiepreise für die Entwicklung der Märkte haben.
- Die Energiekrise muss in der Politik mehr Beachtung finden.
- Die Inflationsbekämpfung sollte die unterschiedlichen Auslöser berücksichtigen.
- Langfristig ist es weiterhin wichtig das Portfolio breit zu streuen.
Herr Romig, wird die Energiekrise an den europäischen Finanzmärkten derzeit unterschätzt?
Thomas Romig: Ich denke, die Finanzmärkte und die Energiemärkte geben klare Warnsignale. Man muss feststellen, dass diese noch nicht in allen Bereichen, besonders auch von Seite der Politik, erfasst worden sind. Aus politischer Sicht wäre jetzt eine Angebotserweiterung notwendig.
An den Finanzmärkten wird die Energiekrise aus meiner Sicht nicht unterschätzt. Je länger sie jedoch von der Seite der Politik aus unterschätzt wird, desto schwieriger wird es für die Wirtschaft. Dies wird nicht ohne Folgen für die Finanzmärkte bleiben.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei der Inflation, etwa auch im Hinblick auf die Preissteigerungen bei Lebensmitteln?
Thomas Romig: Wir haben mehrere Treiber der Inflation. Bisher lag der Fokus hauptsächlich auf der Energieseite. Weitere Bereiche kommen nun hinzu. Dazu gehört auch die Nahrungsmittelinflation, aber auch die Schwäche des Euros. Die Nahrungsmittelinflation hängt natürlich auch mit den steigenden Energiepreisen zusammen. Die Düngemittelherstellung kann sehr energieintensiv sein und wird damit teurer. Zudem spielt der gestiegene Ölpreis in US-Dollar eine wichtige Rolle. Erschwerend kommt hinzu, dass der Euro 10 bis 15 Prozent gegenüber dem US-Dollar verloren hat.
Daher sollten diese beiden Komponenten, die Nahrungsmittelinflation und die Stärke bzw. die Schwäche des Euros, stärker in den Vordergrund rücken. Besonders auch bei der EZB, da diese beiden Punkte Indikatoren sind, wie weltweit die Geldpolitik und die Wettbewerbsposition der Eurozone gesehen wird.
Wichtig ist eine regelmäßige Anlage und einen gewissen Anteil des Vermögens in der Hinterhand zu haben, um bei stärkeren Schwankungen in der ein oder anderen Asset-Klasse investieren zu können. - Thomas Romig, Head of Multi Asset Portfolio Management
Welche Folgen erwarten Sie aus der fokussierten Inflationsbekämpfung in den USA für die Geldanlage?
Thomas Romig: Die Fed hat die Zinsen schon signifikant erhöht, entsprechend den Erwartungen der Marktteilnehmer. Nach der Rede von Jerome Powell bei der Jackson Hole-Tagung ist nun klar, die Inflation wird erstmal länger bleiben. Sprich: In erhöhten Raten über 2 Prozent. Bisher wurde dies eher als temporäres (Energie)Phänomen gesehen.
Die Fed ist aus zwei Gründen besser positioniert: Erstens hat sie früher angefangen, zweitens kann sie mit ihren Maßnahmen besser eingreifen im Vergleich zur EZB in Europa. Dadurch kann sich für die USA ein langfristiger Vorteil entwickeln.
Wird sich die EZB dem Zinskurs der Fed anschließen, oder verbietet sich das aufgrund der heterogenen Lage innerhalb der Eurozone?
Thomas Romig: Ich gehe davon aus, dass die EZB zusätzlich zu den eigentlichen Zielen die verdeckte Staatsfinanzierung mit in ihrem Handeln berücksichtigt. Aktuell ist dies an den geldmarktpolitischen Operationen recht eindeutig zu sehen. Ein Beispiel ist der Versuch die Zinsdifferenz zwischen deutschen und italienischen 10-jährigen Staatsanleihen nicht über ca. 2 Prozent steigen zu lassen.
Das ist ein dauerhafter Nachteil gegenüber der Fed. Die eigentlichen Ziele, Geldwertstabilität beziehungsweise die Bekämpfung der Inflation sowie die Förderung des Wirtschaftskreislaufes sind in Hintergrund geraten. Generell wird eine Zinsanhebung im Euroraum auf 1,75 Prozent für Dezember und eine Inflationsrate von 8 bis 9 Prozent, bzw. etwas abgemildert auf ca. 4 bis 6 Prozent im nächsten Jahr erwartet.
Ich denke die EZB dehnt ihr Mandat nicht nur aus, sondern überdehnt es.
Sehen sie aufgrund der neuen (US-)Zinspolitik eine nachhaltige Renaissance der Staatsanleihen?
Thomas Romig: Definitiv ja. Wenn Staatsanleihen wieder signifikante Zinsen zahlen, rücken diese wieder in Vordergrund. Aktuell stehen kurzlaufende US-Anleihen bei 3,5 Prozent, zehnjährige sind bei 3,3 Prozent. Nominal werden Staatsanleihen damit wieder ein Thema im Portfolio. Es kommt zu einem "Crowding out" gegenüber Unternehmensanleihen, wo Investoren vor einem Jahr signifikant höhere Risiken akzeptieren mussten, um eine entsprechende Rendite von derzeit 3 Prozent zu bekommen.
Dass bedeutet: Die Rolle in den Portfolios wird stärker, im Moment jedoch noch nicht in Europa. Allerdings ist immer die Differenz zwischen Inflation und aktueller Rendite in den verschiedenen Laufzeiten noch sehr breit. Staatsanleihen sind attraktiver geworden und verdrängen das private Kapitalaufnahme von Unternehmen am Kapitalmarkt.
Wie sieht denn der richtige Asset-Mix im Umfeld von steigenden Zinsen und geopolitischen Unsicherheiten aus?
Thomas Romig: Langfristig ist es weiterhin wichtig das Portfolio breit zu streuen. Es gibt so viele verschiedene Faktoren, die Veränderungen unterliegen können, egal ob im Aktien- oder Staatsanleihen-Bereich, ebenso bei entsprechenden Unternehmensanleihen, sowie im Gold-Bereich. Wichtig ist eine regelmäßige Anlage und einen gewissen Anteil des Vermögens in der Hinterhand zu haben, um bei stärkeren Schwankungen in der ein oder anderen Asset-Klasse investieren zu können.
Sollten sich Anleger jetzt irgendwo neu positionieren?
Thomas Romig: Es ist wieder attraktiver in Anleihen zu investieren. Zudem werden für Internationale Anleger Staatsanleihen wieder interessanter.
Ob man sich Staatsanleihen aus Deutschland mit 1,5 Prozent auf 10 Jahre gesehen ins Portfolio holen muss, bei einer Inflation von im Moment knapp 9 Prozent ist für mich aktuell sehr fraglich.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei Kryptowährungen wie Bitcoin?
Thomas Romig: Bitcoins sind für mich ein reines Spekulationsobjekt. Trotzdem schauen wir auch auf die Entwicklung des Bitcoins bei unserer Portfolio-Betrachtung. Für uns ist es ein Liquidität-Indikator. Der Bitcoin war über USD 60.000 und ist jetzt gerade noch bei ca. USD 20.000. Für uns bleibt Bitcoin eine reine Spekulation und ich würde dabei auch nicht von einer Währung sprechen.