„Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben“, scherzte der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, nachdem eine Zeitung versehentlich einen Nachruf auf ihn abgedruckt hatte. Das gleiche ließe sich wohl über die Rezessionsprognosen sagen, die aktuell an den Finanzmärkten im Umlauf sind.
Dass das Wachstumsumfeld herausfordernd ist, steht außer Zweifel. Chinas strenge Null-Covid-Politik führt weiterhin zu Problemen in den Lieferketten. Der Russland-Ukraine-Krieg hat die Rohstoff- und Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Angesichts dieser problematischen Entwicklungen wird die Zukunft der Globalisierung, die die Inflation in den letzten Jahrzehnten gedämpft hat, in Frage gestellt. In den USA zwingt die höchste Inflation seit 40 Jahren die Federal Reserve (Fed) zu einer Verschärfung ihrer Geldpolitik durch Zinserhöhungen und eine Schrumpfung ihrer Bilanz. Angesichts der rasant steigenden Teuerung werden die enormen Stimulusmaßnahmen, die das Wachstum im Nachgang der globalen Finanzkrise und Pandemie gestützt haben, zurückgenommen.
In den zwei größten globalen Volkswirtschaften waren einige Konjunkturindikatoren zuletzt ebenfalls nicht sehr ermutigend. Die US-Wirtschaft ist im ersten Quartal unerwartet geschrumpft, während eine Umfrage unter Einkaufsmanagern auf eine Abschwächung der Wirtschaftsaktivität hingedeutet hat. Die US-Einzelhändler Walmart und Target haben pessimistische Prognosen veröffentlicht und Amazon klagt über die Unterauslastung seiner während der Pandemie aufgebauten Lagerkapazitäten. Der chinesische Wachstumsmotor stottert – infolge der Lockdowns zur Eindämmung neuer Covid-Ausbrüche waren die Industrieproduktion und die Einzelhandelsumsätze im April rückläufig.
Dienstleistungen im Fokus
Was die Wachstumsaussichten angeht, sind wir jedoch nicht so pessimistisch wie der Rest des Marktes. Wir halten eine ausgewachsene Rezession für unwahrscheinlich, da die Lage am Arbeitsmarkt weiterhin sehr angespannt ist und die Wiedereröffnung der Weltwirtschaft die Nachfrage ankurbeln dürfte. Viele würden sagen, dass sich Auf- wie Abschwünge erst mit Verzögerung am Arbeitsmarkt zeigen. Ganz im Gegenteil glauben wir, dass die Daten zu offenen Stellen, Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung und Lohnzahlungen aktuell sind und einen zuverlässigen Indikator für den Puls der Wirtschaft darstellen.
Die Verbraucher haben während der Pandemie enorme Ersparnisse angehäuft, und die Regierungen haben weiter viel Geld in die Hand genommen, um der, durch die hohen Lebensmittel- und Energiepreise bedingten, Lebenshaltungskostenkrise zu begegnen. Selbst die Probleme einiger Einzelhändler könnten eher auf zu optimistische Nachfrageprognosen als auf eine mangelnde Kaufkraft zurückzuführen sein.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist das veränderte Verbraucherverhalten im Nachgang der weltweiten Lockdowns. Auf dem Höhepunkt der Pandemie kam es in den USA und vielen anderen Industrieländern zu einem Anstieg der Ausgaben für langlebige Konsumgüter, was die Lieferketten belastete und die Inflation anheizte. Jetzt ist ein Anstieg der Ausgaben für Dienstleistungen zu beobachten. Dieser könnte sich in den Sommermonaten nochmals verstärken, wenn der Reiseverkehr und der Tourismus zunehmen, wovon Fluggesellschaften, Hotels und Restaurants profitieren dürften.
Diese Verlagerung des Verbraucherverhaltens von Waren auf Dienstleistungen kann zu Fehlwahrnehmungen der Nachfrage führen und die politischen Entscheider verwirren. Die aktuell hohen Rohstoff- und Energiepreise könnten sowohl auf die zugrunde liegende Nachfrage als auch auf Knappheit zurückzuführen sein. Insbesondere die Energiepreise könnten weiter steigen, wenn China seine strenge Null-Covid-Politik aufgeben sollte. Das würde der Weltwirtschaft zusätzlichen Auftrieb geben.
Das Rätsel der Inflation
Wir halten die Stimmung in Bezug auf China für zu pessimistisch. Auch wenn das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt in diesem Jahr zweifellos schwach ausfallen wird, muss es nicht zu einer Rezession im Sinne der gängigen westlichen Definition kommen. Der Pessimismus in Bezug auf das chinesische Wachstum könnte aber kaum größer sein. Hauptgrund für die Wachstumsabschwächung wird die Covid-Politik der chinesischen Regierung sein, von der diese unserer Erwartung nach nicht abweichen wird. Es besteht also durchaus eine Chance, dass China am Ende etwas besser dasteht als derzeit erwartet. Das globale Wachstum würde einen großen Schub erhalten, wenn China seine Beschränkungen zurücknehmen, die Finanzierungsbedingungen lockern und seine Wirtschaft öffnen würde.
Wir gehen davon aus, dass die Inflation in der zweiten Jahreshälfte zurückgeht, wenn sich die Zentralbanken mehr auf die Anhebung der realen Zinsen als auf das Wachstum konzentrieren. Der statistische Basiseffekt und das schwächere Wachstum in China und Europa könnten in den kommenden Monaten zu einem Rückgang der Inflationszahlen beitragen. Das wiederum könnte eine Rally von Risikoanlagen auslösen. Wir glauben aber, dass die Inflation hartnäckiger sein wird, als vom Markt allgemein erwartet, und auch zum Jahreswechsel noch deutlich über dem Zielwert liegen könnte. Daher halten wir eine kräftige Anleihenrally vom aktuellen Niveau aus für unwahrscheinlich.
Die Finanzierungsbedingungen in den USA sind restriktiver geworden, da die Inflationssorgen die Renditen in die Höhe getrieben haben und das Wachstum in den meisten Ländern der Welt schwächer ausgefallen ist, was den Dollar gestärkt hat. Die Stärke der wichtigsten Reservewährung der Welt könnte jedoch allmählich nachlassen, wenn das Wachstum auch andernorts anzieht. Insbesondere exportorientierte Schwellenländer könnten höhere Wachstumsraten verzeichnen. Wir gehen nicht davon aus, dass der Zusammenhang zwischen Wachstum, Inflation und Zinsen linear sein wird.
Zinskurve
Viele Anleger betrachten die flache nominale Renditekurve als Vorbote einer Rezession. Die reale Renditekurve ist jedoch weiterhin aufwärtsgerichtet und signalisiert, dass die Zentralbanken die Zinsen noch stärker straffen müssen. Wir behalten die Situation weiter genau im Auge. Angesichts der erhöhten geopolitischen Spannungen und der Gefahr noch höherer Energiepreise werden die nächsten Monate entscheidend sein.
Als Manager einer alternativen Anleihenstrategie ist eine richtige Bewertung des jeweils vorherrschenden Marktumfelds für uns unverzichtbar, um unser Ziel positiver Erträge bei einer geringen Volatilität zu erreichen. In den vergangenen fünf Jahren ist es an den Anleihenmärkten in einem volatilen makroökonomischen Umfeld zu bedeutenden Kursausschlägen in beide Richtungen gekommen. In den letzten Monaten schwankten die Sorgen der Marktteilnehmer zwischen einer steigenden Inflation und einer Rezession, was die Märkte belastete. Wir sind der Ansicht, dass eine reine Makro-Anleihenstrategie mit einem begrenzten Engagement in Kreditanlagen die richtige Strategie ist, um derartige Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen.
Mark Nash, Head of Fixed Income Alternatives & Huw Davies, Assistant Fund Managers, Fixed Income Team bei Jupiter AM