Chinesische Aktien gehörten in diesem Jahr verglichen mit den Papieren anderer großer Märkte zu jenen mit der schlechtesten Performance. Die Indizes Hang Seng und CSI300 sind auf US-Dollar-Basis bis zum 21. November um fast ein Drittel eingebrochen. Seit Jahresbeginn haben sich chinesische Aktien nicht nur schlechter entwickelt als der breitere MSCI Emerging Market Index, sondern erstaunlicherweise sogar schlechter als der russische MOEX-Index. Die Ursachen für diese Underperformance sind bestens bekannt. Die Auswirkungen der Zero Covid-Politik auf die Wirtschaft, ein wackeliger Immobiliensektor und eine Eskalation der von den USA angeführten Sanktionen gegen chinesische Technologie haben die Wirtschaftsleistung belastet. Die Märkte haben fast kapituliert. Die negative Reaktion des Marktes nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Volkspartei ist ein klarer Beweis dafür. Obwohl nicht viel Unerwartetes geschah, verzeichneten sowohl der Hang Seng- als auch der CSI300-Index allein am Montag danach negative Renditen im mittleren einstelligen Bereich. Kurz gesagt, sind die Anleger äußerst pessimistisch in Bezug auf Chinas Ausblick. Wir sind da anderer Meinung. Während chinesische Aktien mit Herausforderungen konfrontiert sind, halten wir die Aussichten für das Land vom jetzigen Zeitpunkt aus für sehr positiv, jedoch wird wie in vielen Märkten eine sorgfältige Aktienauswahl der Schlüssel zum Erfolg der Anleger sein.
Die extrem negative Stimmung wurde von drei Dingen angetrieben: dem Ukraine-Krieg, den Auswirkungen der dynamischen Entwicklung von Zero-Covid auf die Wirtschaftsleistung und den sich verschlechternden chinesisch-amerikanischen Beziehungen. Aufgrund dieser drei Faktoren ist in den Aktienkursen sehr viel negative Stimmung enthalten, und globale Anleger sind in chinesischen Aktien insgesamt deutlich untergewichtet. Die Reaktion des Marktes auf die vor Kurzem erfolgte Wahl eines neuen ständigen Ausschusses des Politbüros der Kommunistischen Partei war ein Beweis dafür. Investoren, die verzweifelt nach Anzeichen dafür suchten, dass die wachstumsfördernde Agenda wieder auf den Tisch gelegt wird, wurden vom Status quo erschüttert. Aus der Neubesetzung des Gremiums scheint klar hervorzugehen, dass nun die nationale Sicherheit neben dem Wirtschaftswachstum gleich gewichtet wird. Wirtschaftswachstum bleibt eine Schlüsselpriorität, um sich diese Bemühungen leisten zu können, und die Märkte scheinen dies übersehen zu haben.
Vor diesem Hintergrund ist es einfach, sich auf das Negative zu konzentrieren. Wir sehen jedoch einige Hoffnungsschimmer und denken, dass positive Überraschungen zu einer Erholung führen sollten. Es gibt vier Dinge, die wir diesbezüglich im Auge behalten.
- Liquidität. Der Rückzug ausländischer Investitionen in China hat die Liquidität auf den chinesischen Märkten ausgedünnt. Dies hat zur Volatilität und einigen der unberechenbaren Preisbewegungen beigetragen. Infolgedessen musste die Chinesische Volksbank eingreifen, um das Vertrauen zu stärken. Wir glauben, dass wir die Talsohle dieses Trends erreicht haben und sehen ermutigende Anzeichen seitens der Zentralbank.
- Politische Veränderungen. Jeder Hinweis darauf, dass die Regierung eine wachstumsfördernde Agenda verfolgt oder die Wachstumspolitik in realwirtschaftliche Veränderungen umsetzt, wird vom Markt wahrscheinlich sehr positiv bewertet werden. Die Umsetzung der Politik in der realen Welt befand sich den größten Teil dieses Jahres in Erwartung des 20. Parteitags in einer Warteschleife. Nachdem dieses Ereignis hinter uns liegt, wird die Wirtschaftsarbeitskonferenz im Dezember der erste echte Meilenstein sein, bis zu dem wir einige Veränderungen beobachten könnten. Dies wird jedoch wahrscheinlich schrittweise erfolgen, wobeieine sinnvolle Änderung bis zum Treffen der beiden Sitzungen im März unwahrscheinlich ist. Zu diesem Zeitpunkt wird das neue Führungsteam offiziell im Amt und wahrscheinlich daran interessiert sein, seine politische Agenda voranzutreiben. Es liegt auf der Hand, dass ein Politikwechsel immer Gewinner und Verlierer hervorbringen wird. Eine disziplinierte Aktienauswahl ist in diesem Umfeld von entscheidender Bedeutung, und wir sind für die nächsten sechs Monate weitgehend positiv eingestellt.
- Die Einnahmen. Die Einnahmen wurden eindeutig durch die vom dynamischen Null-Covid-Prozess angestoßenen Unterbrechungen beeinträchtigt, und es sieht nicht so aus, als hätten wir schon die Talsohle erreicht. Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze im Jahresvergleich sank im September auf anämische 2,5%, verglichen mit dem langjährigen Durchschnitt vor der Pandemie von 7%. Da der Einkaufsmanagerindex (PMI) für September jedoch bei 50,1 leicht expansiv ist, glauben wir, dass die Talsohle nahe ist. Der Punkt ist noch nicht ganz erreicht, aber wir denken, dass die Wiederaufnahme des Gewinnwachstums nicht mehr weit entfernt ist.
- Bewertungen. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis des Hang Seng Index beträgt weniger als 6x. Dies steht in krassem Gegensatz zu den bereits niedrigen Bewertungen in den Schwellen- und Industrieländern von 9,5x bzw. 16,5x. Chinesische Aktien waren noch nie so billig und dies bietet eine einmalige Gelegenheit, Unternehmen auf einem Allzeittief zu kaufen. Wir glauben nicht, dass es Spielraum für Aktien gibt, viel tiefer zu fallen als jetzt, insbesondere wenn sich die Gewinne stabilisieren.
Mit diesen vier potenziellen Katalysatoren im Hinterkopf ist uns klar, dass chinesische Aktien im vergangenen Jahr zwar eindeutig Prügel eingesteckt haben, wir uns aber wahrscheinlich am oder nahe dem Tiefpunkt befinden. Wir glauben, dass China bereit ist, sich von hier aus stark zu erholen. Positive Überraschungen, die sich auf die Liquidität, den Politikwechsel, die Erträge und die Bewertungen auswirken, dürften für die Anleger von Vorteil sein. Innerhalb jeder Erholung wird es jedoch immer Gewinner und Verlierer geben. Wir glauben, dass eine aktive Aktienauswahl in China absolut entscheidend ist, um sicherzustellen, dass Anleger das Beste aus diesen Erholungen herausholen können.
Von Vincent Che, Investment Manager, Chinese Equities bei Jupiter Asset Management