So problematisch der Ausblick für die europäische Wirtschaft auch sein mag – was die Aussichten für die europäischen Unternehmen angeht, gibt es einige Gründe für Optimismus. Schließlich ist die Nacht bekanntlich vor der Dämmerung am dunkelsten.
Momentan braucht es einiges an Mut, um in Europa zu investieren. Ein Krieg vor der Haustür, eine Energieinfrastruktur mit grundlegenden Konstruktionsfehlern, eine rekordhohe Inflation, eine Lebenshaltungskostenkrise der Verbraucher und steigende Zinsen. Zum Glück für uns ist eine Investition in europäische Aktien nicht das gleiche wie eine Investition in Europa.
Die Kurzsichtigkeit der Märkte glich schon immer einem Hund, der seinem Schwanz hinterherjagt. Als die Coronapandemie im Jahr 2020 ausbrach, machten sich die Marktteilnehmer Sorgen über ihre Folgen für den Konsum. An ihre Stelle traten die Sorgen über Lieferkettenstörungen, als Covid-19 im Jahr 2021 zunehmend in den Hintergrund rückte. Im Jahr 2022 wurden diese wiederum durch die Sorgen über die rekordhohe Inflation und die Lebenshaltungskostenkrise verdrängt. Was die Anleger im Jahr 2023 umtreiben wird, werden wir in diesem Ausblick sicherlich nicht im Detail bestimmen können. Einiges wissen wir aber doch.
1) Die weltweiten pandemiebedingten Störungen und Beschränkungen haben deutlich nachgelassen. China mag hier eine Ausnahme darstellen, aber auch dort gibt es Hinweise auf eine zunehmende Mobilität, unter anderem durch eine Verkürzung der Quarantänezeit.
2) Kommentare von Unternehmen deuten zunehmend darauf hin, dass sich die Lieferketten in allen Branchen entspannen und die Fracht- und Versandraten dementsprechend sinken.
3) Inflation und Zinsen haben sich in der Vergangenheit in Zyklen bewegt. Neue Paradigmen gibt es nur sehr wenige und sehr selten. Auf steigende Zinsen folgen unweigerlich sinkende Zinsen, so wie der Tag auf die Nacht folgt. Unterschiedliche Anlagestile sind zu unterschiedlichen Zeiten erfolgreich und der Abgesang auf den „Growth“-Stil (Fokussierung auf Unternehmen, die schneller wachsen als der Markt) ist genauso verfrüht wie die Vorhersagen der letzten Jahre, dass der „Value“-Stil (Anlagen in Unternehmen, die unterbewertet erscheinen) keine Zukunft hat.
4) Bewertung - Die Aktienkurse sind überall auf der Welt eingebrochen und in Europa war der Einbruch dramatischer als in anderen Regionen. Europäische Aktien notieren zu einem deutlichen Bewertungsabschlag gegenüber US-Aktien – von rund 50 Prozent gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (ein Bewertungsmaßstab, für den der Aktienkurs eines Unternehmens durch seinen Gewinn je Aktie geteilt wird). Dieser Bewertungsabschlag für europäische Aktien gegenüber US-Aktien ist so hoch wie zuletzt vor fünf Jahren und unserer Ansicht nach extrem.
5) Einige Wachstumsquellen sind struktureller Natur, also Ausdruck großer, langfristiger Veränderungen. Beispielsweise ist die Menge der weltweit erzeugten, verbrauchten und gespeicherten Daten von 2010 bis 2020 um etwa 3.000% gestiegen. Prognosen deuten darauf hin, dass sich dieser Trend in absehbarer Zeit weder umkehren noch verlangsamen wird.
6) Klimaschutzmaßnahmen erfordern erhebliche Investitionen, um Gebäude nachhaltiger und energieeffizienter zu machen, zum Beispiel durch eine gute Dämmung – Schätzungen zufolge sind Gebäude für mehr als 40% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Neue Regulierungsstandards und staatliche Investitionsprogramme in Europa und den USA spiegeln bereits die Notwendigkeit wider, den Gebäudebestand zu verbessern und höhere Effizienzstandards für neue Gebäude durchzusetzen. Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen zur Verbesserung der Gebäudeeffizienz bereitstellen, sollten gut aufgestellt sein, um von dieser Entwicklung zu profitieren.
7) Im Jahr 2016 waren mehr als 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig. Davon waren über 650 Millionen fettleibig. Mit dem weltweit zunehmenden Wohlstand steigen diese Zahlen leider weiter an. Das führt zu zunehmenden gesundheitlichen Problemen wie der sich am schnellsten ausbreitenden chronischen Erkrankung – Diabetes – und größeren Belastungen für die weltweiten Gesundheitssysteme. Unternehmen, die diesem Trend entgegenwirken können, werden dringend gebraucht.
Die Konsensprognosen für die europäische Wirtschaft sind sehr verhalten – der Ausblick für Europas Unternehmen und den europäischen Aktienmarkt ist unserer Ansicht nach aber positiver. Wenn der Markt seinen Blick erst einmal von der makroökonomischen Schwarzmalerei abwendet und die unternehmensspezifischen Entwicklungen wieder stärker in den Fokus rücken, dürften Qualitätsunternehmen, die von langfristigen Wachstumstrends profitieren, eine überdurchschnittliche Performance erzielen. Auf genau diese Unternehmen setzen wir, um langfristige Renditen zu erzielen.
Mark Nichols und Mark Heslop, Investment Manager im European Equities Team von Jupiter Asset Management