Die indischen Aktienmärkte erlebten in den letzten 48 Stunden eine Achterbahnfahrt. Während Modi und die Bharatiya Janata Party (BJP) wahrscheinlich an der Macht bleiben werden - ein Umstand, der kaum angezweifelt wurde - wird eine knappere Mehrheit Auswirkungen auf ihr Reformprogramm haben.
In diesem Fall wurde das Gerücht geglaubt und die indischen Märkte stiegen am Montag um vier Prozent, nachdem die notorisch ungenauen Umfragen eine erdrutschartige Mehrheit anzeigten. Die Nutznießer der „Modi-nomics“ - staatlich kontrollierte Banken und Ölgesellschaften sowie die Adani-Gruppe - führten den Ansturm an, während höherwertige Unternehmen und der IT-Dienstleistungssektor zurückblieben. Als am Dienstag die offiziellen Ergebnisse eintrudelten, verkauften die Märkte jedoch die Realität: Die erhoffte Mehrheit für die BJP kam nicht zustande. Die endgültige Zahl von 290 Sitzen, die von der breiteren Nationalen Demokratischen Allianz (NDA) der BJP errungen wurde, liegt zwar unter den Erwartungen, dürfte aber dennoch die Rückkehr der von Modi geführten Koalitionsregierung an die Macht ermöglichen. Die Ergebnisse sind natürlich enttäuschend, aber langfristig dürften die Auswirkungen auf die Aussichten für Indien minimal sein.
Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass diese dramatische Kehrtwende von ärmeren und ruralen Wählern vorangetrieben wurde, die von der indischen Wachstumsstory ausgeschlossen wurden und deren Erfahrungen mit dem indischen Wachstum deutlich weniger rosig sind. Die wahrscheinliche Folge davon ist, dass Modis ehrgeizige Reformagenda zurückgeschraubt werden wird: Hindu-nationalistische Maßnahmen und tiefgreifende Reformen des Boden- und Arbeitsrechts könnten vom Tisch sein. In den Mittelpunkt rücken eher unmittelbare Maßnahmen, die das Los der indischen Landbevölkerung verbessern: Subventionen für die Landwirtschaft, Lebensmittel und mehr Konsum sind mögliche Kandidaten. Obwohl die längerfristigen Reformen fortgesetzt werden, glauben wir, dass sie nun zwangsläufig in einem langsameren Tempo vorankommen müssen.
Ein Großteil der wirkungsvollsten Reformen in Indien hat bereits stattgefunden. Einige der in der ersten Amtszeit beschlossenen Änderungen beginnen erst jetzt Früchte zu tragen, z.B. die Steuer auf Waren und Dienstleistungen. Auch wenn eine Koalitionsregierung den Ehrgeiz der BJP schmälern könnte, wird die anhaltende Stabilität einer BJP-geführten Regierung das Land doch befähigen, sein bereits starkes Fundament weiter auszubauen. Wir sind der Meinung, dass das Ausmaß und der Erfolg der historischen Reformen sowie die Fähigkeit, den Fokus und die Richtung für die Zukunft beizubehalten, Indiens Wachstum auch in Zukunft antreiben werden. Wie als Beweis dafür, wurde das indische BIP im Wahlkampfgetöse vom Freitag auf 8,2 Prozent nach oben korrigiert - ein beeindruckender Anstieg, der durch die erfolgreiche Umsetzung der in früheren Legislaturperioden beschlossenen Reformen unterstützt wurde.
Indien hat eine lange Geschichte von koalitionsgeführten Regierungen. Ungeachtet der beiden vorangegangenen BJP-Regierungen, hatte Indien seit der Regierung Rajiv Gandhi im Jahr 1984 keine absolute Mehrheit mehr. Indiens Politiker sind geschickt darin, sich in der Koalitionspolitik zurechtzufinden, was für die Vier-Parteien-Koalition der NDA wesentlich einfacher sein wird als für die 18-Parteien-Koalition des Oppositionsbündnisses INDIA. Es besteht immer die Möglichkeit, dass es der NDA nicht gelingt, eine Regierung zu bilden, aber wir halten dies für sehr unwahrscheinlich.
Wir rechnen kurzfristig mit einer anhaltenden Volatilität, während der Markt diese Veränderungen verdaut. Die Aktienrotation, die die Rallye der indischen Märkte in den letzten 18 Monaten verzögert hat, könnte kurzfristig noch anhalten. Dennoch glauben wir, dass die Auswirkungen längerfristig minimal sein werden. Die letzten beiden Wirtschaftsreformen haben das Land gut gerüstet, um seinen derzeitigen Wachstumskurs fortzusetzen. Die Kontinuität der Regierungspartei dürfte auch zu einer Kontinuität der Reformagenda und der staatlichen Investitionsausgaben führen, wenn auch mit einer Ausrichtung auf eine unmittelbarere Unterstützung der indischen Landbevölkerung. Wir investieren in qualitativ hochwertige Unternehmen mit einer starken Wettbewerbsposition und langen Wachstumsperspektiven, die von den immensen Chancen in Indien profitieren können. Eine langfristige Chance, die heute nicht weniger groß ist als gestern.
Von Nick Payne, Investment Manager Global Emerging Market Equities bei Jupiter AM