In Europa allein hat sich die Zahl der Abstimmungen über Klimafragen („Say-on-Climate-Abstimmungen“), bei denen Aktionäre gebeten werden, grünes Licht für die Klimapläne der Unternehmen zu geben, in den letzten beiden Hauptversammlungsperioden mehr als verdreifacht. Dieser Trend dürfte anhalten, da immer mehr Unternehmen beabsichtigen, Pläne zur Bekämpfung des Klimawandels zu verabschieden. Doch stellt dies womöglich lediglich eine Pflichtaufgabe oder gar Greenwashing dar? Wie sollten Anleger derartige Vorschläge beurteilen? Wir haben uns mit unserer internen Active-Ownership-Expertin Julia Wittenburg zu einem Gespräch getroffen, um Einblick in ihre Sicht der Dinge zu erhalten.
Worum genau handelt es sich bei diesen Say-on-Climate-Vorschlägen und warum ist gerade jetzt eine so starke Zunahme bei diesen Abstimmungen zu beobachten?
Klimabezogene Vorschläge erscheinen bereits seit ein paar Jahren zur Tagesordnung von Jahreshauptversammlungen. Meistens handelt es sich dabei aber um von Aktionären eingebrachte Anträge, mit denen CO2-intensive Unternehmen dazu bewegt werden sollen, ihre Emissionen besser zu steuern, beispielsweise indem sie sich Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen setzen. Die Entwicklung in den letzten beiden Jahren unterscheidet sich insofern davon, als die Zunahme der eingereichten Vorschläge vonseiten der Unternehmensleitung ausgeht, welche die Aktionäre um Unterstützung in Bezug auf die Klimastrategie des Unternehmens bittet – sogenannte „Say-on-Climate-Abstimmungen“.
Die obligatorische Offenlegung klimabezogener Finanzinformationen hat an zahlreichen Märkten zugenommen, oftmals im Zuge der Einführung des von der Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) empfohlenen Berichtsrahmens – wie z.B. jetzt auch in der Schweiz. Auch Investorenverbände wie die Net Zero Asset Management (NZAM) Initiative, der auch die Bank J. Safra Sarasin angehört, haben dazu beigetragen, dass Klimabelange einen immer höheren Stellenwert auf der ESG-Agenda der Anleger einnehmen. Die Unternehmen haben auf die Anliegen der Investoren, sowie auf die zunehmenden Forderungen nach Transparenz seitens anderer Stakeholder reagiert, indem sie ihre Klimaansätze freiwillig auf ihren Jahreshauptversammlungen zu einer unverbindlichen Abstimmung stellen.
Stimmrechtsberater, die zahlreichen institutionellen Investoren Orientierungshilfe im Hinblick auf das Abstimmverhalten bieten, können wesentlichen Einfluss auf den Ausgang derartiger Abstimmungen nehmen. Wie äußern sich Stimmrechtsberater zum Thema „Say-on-Climate“?
Die beiden einflussreichsten Stimmrechtsberater1 Institutional Shareholder Services Ltd (ISS) und Glass Lewis beurteilen diese Vorschläge recht unterschiedlich. ISS unterstützte beinahe 95% der Say-on-Climate-Beschlüsse, die an den europäischen Märkten im Jahr 2022 eingebracht wurden. Dagegen hat Glass Lewis seinen Kunden bei über 40% der Vorschläge empfohlen, dagegen zu stimmen oder sich zu enthalten. Einer der Hauptgründe für die unterschiedlichen Abstimmungsempfehlungen dieser beiden Berater ist die Überzeugung, dass die Unternehmensleitungen die endgültige Verantwortung über die Klimastrategie eines Unternehmens tragen und diese nicht an die Aktionäre übertragen sollte.
Beide Stimmrechtsberater tendieren zu einer kritischeren Haltung in Bezug auf „Say-on-Climate-Abstimmungen“, worin zum Teil die Komplexität bei der Analyse dieser Vorschläge zum Ausdruck kommt – seien es transparente Angaben zu den CO2-Emissionen, langfristige Verpflichtungen oder glaubwürdige Zielvorgaben. Die „Say-on-Climate“-Thematik steckt noch in den Kinderschuhen, und die Meinungen darüber gehen auseinander. Während die Verfechter davon überzeugt sind, dass dadurch die Offenlegung von CO2-Emissionen verbessert und das Aktionärsengagement gefördert wird, stehen andere dieser Entwicklung skeptischer gegenüber. Vanguard hat beispielsweise zu Vorsicht in Bezug auf die Bedeutung von „Say-on-Climate-Abstimmungen“ gemahnt und Sorgen über „potenzielle Beeinträchtigungen und unbeabsichtigte Konsequenzen im Hinblick auf Governance und Verantwortung“ geäußert.2
Bislang waren in der Tat viele unterschiedliche Meinungen zum Thema „Say-on-Climate“ zu vernehmen. Was sind einige der positiven Aspekte dieser Vorschläge?
Ein „Say-on-Climate-Vorschlag“ fördert das Bewusstsein für die Klimathematik und ermöglicht den Aktionären, ihre Meinung im Hinblick auf den von einem Unternehmen vorgeschlagenen Plan für die Klimawende zu äußern. Aus Unternehmenssicht ist dies insofern von Bedeutung, als sich das Unternehmen dadurch die Unterstützung der Aktionäre bei der Festlegung und der Umsetzung seiner Klimastrategie sichern kann, selbst wenn die Abstimmung nicht rechtsverbindlich ist. In Europa bringen wir dadurch auch ökologische Belange in die Jahreshauptversammlungen ein, was positiv zu werten ist.
Worin bestehen einige der Bedenken? Was ist mit den Bedenken vor Greenwashing?
Die Abstimmungen sind rein konsultativer Natur, und den Vorschlägen mangelt es mitunter an Klarheit und Ambition. Beispielweise äußern sich die Unternehmen in der Regel nur vage in Bezug auf die langfristige Umsetzung ihrer Strategie. Daher sollten wir zweifelsohne ein Auge auf potenzielles Greenwashing haben. Derzeit besteht auch keine rechtliche Grundlage für Repressalien für den Fall, dass ein Unternehmen nicht in der Lage sein sollte, sich die mehrheitliche Unterstützung für einen „Say-on-Climate-Vorschlag“ zu sichern. Und bislang haben die Unternehmen “Say-on-Climate“ Vorschläge den Aktionären in den Folgejahren nicht erneut zur Abstimmung vorgelegt. Es handelt sich dabei stets um einmalige Ereignisse. Darüber hinaus besteht ein wahrgenommenes Risiko darin, dass das Unternehmen die Verantwortung für die Strategie in Bezug auf die Klimawende auf die Aktionäre abwälzen könnte.
Wie könnten einige dieser Sorgenpunkte ausgeräumt werden?
Die Sensibilisierung für die Klimathematik, die Festlegung einer Strategie, das Mitspracherecht der Aktionäre in Bezug auf das Thema und die allgemein bessere Transparenz stellen in meinen Augen allesamt positive Entwicklungen dar, da dies die Rechenschaftspflicht gegenüber den Aktionären erhöht. Doch oftmals steckt der Teufel im Detail. So wichtig eine Klimastrategie auch sein mag, so ist deren erfolgreiche Umsetzung im Laufe der Zeit doch von entscheidender Bedeutung. Zu diesem Zweck wünschen wir uns, dass an Meilensteinen gearbeitet wird, dass kurz- und mittelfristige Ziele und Vorgaben offengelegt werden usw. Es reicht unseres Erachtens nicht aus, einfach nur ein weit in der Zukunft liegendes Ziel für die Reduzierung von CO2-Emissionen zu formulieren.
Gleichwohl befinden wir uns noch am Anfang dieser Entwicklung. Unternehmen abzustrafen, die sich die „Say-on-Climate-Bewegung“ frühzeitig zunutze machen, wäre daher kontraproduktiv. Engagiert zu bleiben und die Entwicklungen im Laufe der Zeit zu beobachten, wäre indes eine wesentlich probatere Möglichkeit, um für positivere Ergebnisse für alle zu sorgen.
Wie steht J. Safra Sarasin Sustainable Asset Management zum Thema "say-on-climate"?
Bei J. Safra Sarasin Sustainable Asset Management beurteilen wir „Say-on-Climate-Vorschläge“ auf Einzelfallbasis, und unser erster Schritt besteht stets darin, die Managementteams über mehrere Kanäle dazu zu ermutigen, ihre Klimastrategien transparent offenzulegen. Wir orientieren uns im Hinblick auf die emissionsstärksten Unternehmen in unserem Anlageuniversum an unserer Stimmrechtspolitik für Klimabelange und treten mit den Unternehmen entweder selbst oder gemeinsam, beispielsweise im Rahmen der jährlichen Offenlegungskampagne des Carbon Disclosure Project (CDP), in einen Dialog über Klimabelange.
1 Stimmrechtsberater stellen institutionellen Investoren und anderen Anlegern Analysen und Abstimmungsempfehlungen für die Aktionärsversammlungen börsennotierter Unternehmen zur Verfügung.
2 Vanguard
Weitere Quellen:
ISS Governance Insights, 2022 European Voting Results Report
Say on Climate in the 2022 Proxy Season, Georgeson