Die britischen Inflationsdaten fallen aktuell höher aus, als viele erwartet hatten. Die langfristigen Konsensprognosen für die Inflation in der Eurozone und in Großbritannien könnten damit für den Rest des Jahres auseinanderklaffen. Der Hauptgrund dafür? Ein schwaches Arbeitskräfteangebot und geringe Investitionen nach dem Brexit.
Der theoretische Hintergrund
Da die Gaspreise stark sinken, werden sowohl der Euroraum als auch Großbritannien zusätzlich zu den starken Basiseffekten des vergangenen Jahres zu einer Disinflation bei der Energie kommen. Es gibt jedoch mehr Inflationsfaktoren als nur die Gaspreise. Die Inflation, insbesondere im Dienstleistungssektor, wird ebenfalls durch das lokale Lohnwachstum bestimmt. Das lokale Lohnwachstum hängt von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt ab.
Diese Arbeitskosten werden letztendlich an die Verbraucher weitergegeben. Die Kosten dieser Arbeit hängen von der Differenz zwischen dem Wachstum der Löhne und dem Wachstum der Arbeitsproduktivität ab. Das heißt, wie viel die Arbeitnehmer im Verhältnis zu ihrer Leistung bezahlt werden. Damit die Bank of England und die EZB ihre Ziele erreichen können, sollte diese Differenz nicht mehr als 2% betragen.
Das Arbeitsangebot in Großbritannien und im Euroraum als wichtigster Inflationstreiber
Die Ökonomen beginnen zu verstehen, dass das Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt für die Bestimmung der Lohninflation wichtiger ist als die Arbeitslosenlücke. Es gibt Anzeichen dafür, dass der Arbeitskräftemangel in Großbritannien ausgeprägter als in der Eurozone ist, insbesondere im Dienstleistungssektor. Dies zeigt sich auch darin, dass ein größerer Anteil der britischen Unternehmen über einen Arbeitskräftemangel klagt als in der Eurozone. Auch hier ist der Dienstleistungssektor betroffen. Daraus hat sich ein stärkeres Lohnwachstum in Großbritannien (6-7%) gegenüber der Eurozone (4-5%) ergeben.
Großbritannien – höhere Ausgaben als die Nachbarländer, aber weniger Einnahmen
Obwohl die Arbeitnehmer in Großbritannien pro Arbeitseinheit mehr verdienen als in den Nachbarländern der Eurozone, ist die Produktivität der britischen Arbeitnehmer im Durchschnitt geringer. Nach unserer Einschätzung ist dies vermutlich eine Folge des deutlich schwächeren Investitionswachstums in Großbritannien seit dem Brexit – eine Einschätzung, die auch von vielen britischen Unternehmen geteilt wird.
Die Ökonomen sind sich einig, dass sich die Inflation sowohl in Großbritannien als auch in der Eurozone bis 2025 wieder in der Größenordnung von 2% einpendeln wird. Dies wird vom Markt für fünfjährige Staatsanleihen und Bundesanleihen eingepreist. Doch angesichts der langfristigen Beschäftigungs- und Investitionsprobleme, die der Brexit mit sich bringt, halten wir es für viel wahrscheinlicher, dass die Inflation in Großbritannien im Vergleich zur Eurozone höher ausfallen wird.
Von Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa bei T. Rowe Price