Die Tariflöhne im Euroraum sanken im zweiten Quartal auf 3,6% gegenüber 4,5% im ersten Quartal 2024. Auf den ersten Blick ist dies ein bedeutender Fortschritt auf dem Weg, das Lohnwachstum in einen Bereich zu bringen, der mit dem 2%-Ziel der EZB vereinbar ist. Allerdings sind die Daten nicht so rosig, wie sie scheinen. Schließlich ist dies nicht der einzige Lohnindikator, den die EZB berücksichtigt. Die Lohnerhebung von Indeed hat einen Anstieg verzeichnet. Die EZB hat stets argumentiert, dass die Indeed-Umfrage ein sehr guter Frühindikator für die nächsten 6-9 Monate ist. Da die Arbeitsmärkte mit einem starken Beschäftigungswachstum, aber einem bescheidenen Produktionswachstum weiterhin widerstandsfähig sind, schrumpft die Produktivität im Euroraum weiter. Schrumpfende Produktivität bedeutet, dass ein Lohnwachstum von unter 2% erforderlich ist, damit die Kosten um 2% steigen. Selbst die heutigen Lohndaten sind noch recht weit von diesem Lohnwachstum entfernt. Schließlich ist der heute Morgen veröffentlichte PMI-Preisindex für den Dienstleistungssektor erneut angestiegen. Dies ist besorgniserregend. Aus Untersuchungen der EZB geht hervor, dass dieser Index in den letzten Jahren ein guter Frühindikator für die künftige Dienstleistungsinflation im Euroraum war. Dies macht eine starke HVPI-Inflation im Dienstleistungssektor in den kommenden Monaten wahrscheinlicher.
Insgesamt bin ich weiterhin der Meinung, dass die EZB die Zinssätze nur allmählich senken wird. Normalerweise würde die EZB stärker auf schwächere Umfragen im verarbeitenden Gewerbe reagieren. Diese waren jedoch in den letzten Jahren weniger stark mit der Realwirtschaft korreliert. Außerdem scheint der Inflationsdruck immer noch zu hartnäckig zu sein. Dies macht es schwierig, bei jeder Sitzung die Zinssätze zu senken. Eine Zinssenkung einmal pro Quartal ist jedoch weiterhin möglich. Dies ist ein wesentlich restriktiverer geldpolitischer Kurs, als die Märkte heute einpreisen.
Von Tomasz Wieladek, Chief European Economist bei T. Rowe Price