In den USA sah man weltweite Aktienanlagen in den 1970ern kritisch. Man fragte sich, warum man anderswo investieren sollte, wenn doch die besten Unternehmen ihren Sitz im eigenen Land haben.
Heute hört es sich kaum anders an.
In den 1970ern waren weltweite Aktienanlagen für Amerikaner noch nicht so selbstverständlich wie heute. Es gab aber durchaus positive Entwicklungen.
Eine wesentliche Rolle spielten die Bemühungen von Capital International, globale Aktienindizes einzuführen und die dafür nötigen Kennziffern zu berechnen. Capital International, kurz CI, findet sich übrigens noch heute in „MSCI“ wieder. Damals betrachtete man nur drei Kennziffern – das Kurs-Gewinn- Verhältnis, das Kurs-Cashflow-Verhältnis und das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Statistische Analysen sprachen für Investitionen in Europa und Asien, sodass sich US-Investoren allmählich mit Anlagen außerhalb ihres Heimatmarktes anfreundeten. Weil die Kennziffern damals nur zweimal jährlich und mit einem Jahr Verzögerung veröffentlicht wurden, hatten fundamentale Investoren wie Capital Group einen enormen Informationsvorsprung.
Anlagen außerhalb des dominierenden US-Marktes waren also nicht selbstverständlich. Die Langlebigkeit der New Perspective Strategie zeigt aber, dass Investitionen in die besten Unternehmen sinnvoll sind – in welchem Land auch immer sie ihren Sitz haben.
Wenn ich darüber nachdenke, lande ich schnell bei den Veränderungen des Welthandels.
Erklärtes Ziel von New Perspective ist es, Veränderungen des Welthandels zu nutzen. „Veränderungen“ wird hier oft als Wachstum missverstanden. Aber darum geht es nicht. Es geht tatsächlich um Wandel.
Wenn sich die heutige Zeit durch eines auszeichnet, dann ist es Wandel. Viel ist im Fluss: Denken Sie an Schlagworte wie Reshoring oder Nearshoring, also die Repatriierung der Produktion bzw. ihre Verlagerung in Nachbarländer. Hinzu kommt, dass physischer Handel oft durch digitalen Handel ersetzt wird. Das Portfolio investiert in die Unternehmen, die davon vermutlich profitieren – und meidet die voraussichtlichen Verlierer.
Das Portfolio kann zwar weltweit anlegen, doch bevorzugen wir Multinationals und schränken das Anlageuniversum dadurch ein.
Insgesamt haben multinationale Unternehmen den Aktienindex langfristig hinter sich gelassen.1 Unser Ausgangspunkt sind also bereits Qualitätsunternehmen, aus denen wir dann durch Fundamentalanalysen die besonders aussichtsreichen auswählen.
Aufgrund ihrer Struktur können sich multinationale Unternehmen meist leichter an Veränderungen der Weltwirtschaft anpassen. Sie sind in unterschiedlichen Ländern aktiv, werden meist gut geführt und verfügen über umfassende Ressourcen.
Ich glaube, dass ein Portfolio aus diesen Global Champions mit den absehbaren großen Veränderungen gut zurechtkommt, wie schon in der Vergangenheit.
Stichwort Wandel: Das Potenzial der Künstlichen Intelligenz hat einigen der Magnificent Seven2 2023 sehr geholfen. Werden diese Aktien den Markt weiter dominieren?
Heute investiere ich weltweit, aber ich begann als Emerging-Market-Experte. Meine Erfahrung mit hochkonzentrierten Märkten ist daher größer als die mancher meiner US-Kollegen. Beispielsweise dominiert Petrobras den brasilianischen Aktienmarkt. Konzentration ist sehr viel häufiger, als man denkt.
Ich finde es interessant, die Magnificent Seven einmal mit den Nifty Fifty der 1960er zu vergleichen.
Übrigens waren die Nifty Fifty gar nicht genau 50 Aktien, so wie auch die Magnificent Seven noch vor einigen Jahren keine sieben waren. Zunächst waren es vier, und man sprach von den FANGs. Ein fünftes Unternehmen kam hinzu, und aus den FANGs3 wurden die FAANGs4. Heute sollten es meiner Meinung nach acht sein; ich denke, dass eigentlich auch Broadcom dazugehört.
Die Gruppe ist also im Fluss. Wir neigen zu Klassifizierungen, die die Gegenwart erklären, aber nicht unbedingt die Zukunft.
Die zweite Lehre aus der Analyse der Nifty Fifty ist, dass über die Hälfte der Aktien aus dieser Gruppe über den gesamten Marktzyklus erfolgreich waren.
Die Aktien unterschieden sich etwa von Finanzwerten, in die man nach der internationalen Finanzkrise zehn Jahre lang im Grunde nicht investieren konnte – oder von den Dotcoms, den Telekommunikations-, Medien- und Internetaktien, die zehn Jahre lang stagnierten. Die Nifty Fifty waren gute Unternehmen, die allein wegen ihres großen Erfolgs zu einer Gruppe zusammengefasst wurden – das war ihre einzige Gemeinsamkeit.
Bei den Magnificent Seven ist es wahrscheinlich ähnlich. Diese sieben Aktien wurden ebenfalls wegen ihrer hohen Kursgewinne zu einer Gruppe zusammengefasst, aber die Gründe für ihren Erfolg sind höchst unterschiedlich. Bei Tesla sind es ganz andere als bei Microsoft, und bei Meta sind es wieder andere. Es sind völlig verschiedene Geschichten. Wer in die Magnificent Seven investieren will, muss jedes der Unternehmen fundamental analysieren, um dessen Chancen zu verstehen.
Technologieaktien dominieren den Markt jetzt schon seit einiger Zeit. Welche Branche könnte sie in den nächsten zehn Jahrev verdrängen?
Nichts dauert ewig, und eine Trendwende ist jederzeit möglich. Die Portfoliomanager und Analysten von Capital Group wissen das und geben dieses Wissen an jüngere Mitarbeiter weiter. Sie investieren schon seit Jahrzehnten und kennen unterschiedliche Marktzyklen. Sie tun das, weil langfristige Entwicklungen und Erfahrungen wirklich wichtig sind.
Ich glaube, dass Pharma- und Gesundheitswerte in Zukunft interessant werden könnten. Ich bin mir nicht sicher, ob sie Technologieaktien wirklich von der Spitze verdrängen. Sie dürften aber in nächster Zeit sehr von den Ergebnissen ihrer Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen der letzten zehn Jahre profitieren.
Dank des technischen Fortschritts können wir die Wirksamkeit von Medikamenten jetzt schon abschätzen, bevor sie angewendet werden. Viele Pharma- und Biotechnologieunternehmen arbeiten an vielversprechenden Behandlungskonzepten und machen dabei schnelle Fortschritte. Der Gesundheits- und Pharmasektor kann in fünf Jahren völlig anders aussehen als heute.
Wie beurteilen Sie die Aussichten für Technologieaktien?
Der Technologiesektor hat noch immer sehr viel Potenzial, und ich rechne noch mit einer Reihe interessanter Entwicklungen. So könnten Quantencomputer den Status quo völlig verändern. Sie arbeiten grundlegend anders als klassische Computer und benötigen ganz andere Chips. Auch wird die gesamte Verschlüsselungstechnik, wie wir sie heute kennen, obsolet. Das wirft Sicherheitsfragen auf und sorgt für Probleme, aber auch für Chancen.
Ich rechne mit vielen spannenden Veränderungen. Manche Unternehmen werden davon profitieren, andere werden Schwierigkeiten bekommen.
In Branchen, die unter Druck geraten könnten, ist ein Risikoabschlag angebracht. Die Bewertungskennziffern mancher Technologieaktien könnten deshalb in nächster Zeit fallen, wenn das Wachstum nachlässt. Sie gehörten dann nicht mehr zur Spitze, sondern nur noch zum Durchschnitt.
Grundsätzlich investiere ich aber nicht in Trends, sondern in Unternehmen – und ein gut geführtes Unternehmen kommt mit Veränderungen gut zurecht.
Wie könnte sich beispielsweise TSMC neu aufstellen? Vielleicht ist es für einen Halbleiterhersteller wie TSMC gar nicht so schlimm, wenn die Quantencomputer übernehmen. Man produziert dann einfach auch weiterhin die Chips, die die Kunden wollen. Dennoch macht sich das Unternehmen Gedanken über die Zukunft. Es investiert in Deutschland, Japan und den USA und überlegt, wie es auf die neuen Risiken reagieren soll. Dieser strategische Weitblick beeindruckt mich. Er spricht dafür, dass TSMC langfristig erfolgreich sein wird.
Tatsächlich sind Stabilität und Nachhaltigkeit von Unternehmen wichtige Anlagekriterien für die New Perspective Strategie. Wenn sich der Welthandel ändert, haben gerade neue Multinationals oft ein enormes Wachstumspotenzial. Sie können sich gut an globale Veränderungen anpassen. Ich mache mir zwar Gedanken über neue Entwicklungen und absehbare Veränderungen, aber sie bestimmen nicht meinen Anlagestil.
Von Rob Lovelace, Aktienportfoliomanager und Chairman von Capital International, Inc.