Künstliche Intelligenz: Es gilt den Hype von den tatsächlichen Chancen zu unterscheiden
Bedeutende Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) haben im Jahr 2023 Aufsehen erregt und die Aktienkurse einer Handvoll großer Tech-Unternehmen in die Höhe getrieben. Ohne Zweifel wird KI eines der wichtigsten Anlagethemen unserer Generation sein. Aber es ist wichtig, den kurzfristigen Hype von den langfristigen Anlagechancen zu unterscheiden. Dies erfordert gründliches fundamentales Research, Selektivität und Geduld.
Ein möglicher Rahmen für Investitionen in KI besteht aus Investitionen in Unternehmen, die die Rechenleistung bereitstellen, wie z. B. ausgewählte Halbleiter- und Halbleiterausrüstungshersteller. In diesem Zusammenhang kommen Unternehmen wie Nvidia und Broadcom in den Sinn. Der andere Bereich, in dem wir Chancen sehen, ist das, was wir Infrastruktur nennen. Dabei handelt es sich um die öffentlichen Cloud-Hyperscaler, die die Infrastruktur bereitstellen, auf der die meisten KI-Workloads laufen werden. Unternehmen wie Microsoft Azure und Amazon Web Services fallen in diese Kategorie. Diese Unternehmen könnten sich kurz- und mittelfristig als interessante Investitionen erweisen. Ein weiterer Bereich, der von der Infrastruktur profitiert, sind so genannte Netzwerkausrüster oder Hersteller wie Arista Networks, die Switches und Router herstellen, die für die Zuverlässigkeit und den Hochgeschwindigkeitsbetrieb von Computerservern in der Cloud sehr wichtig sind.
Im Moment sehen wir nur sehr wenige Anlagegelegenheiten bei den Entwicklern von KI. Längerfristig dürften die meisten KI-Modelle zur Massenware werden. In Zukunft wird es wahrscheinlich eine kleinere Anzahl großer Gewinner geben, und diese Gewinner dürften diejenigen sein, die Zugang zu den großen, personenbezogenen, schwer zu replizierenden und fragmentierten Datensätzen haben. Hier haben aktuell die großen etablierten Technologieunternehmen im Startvorteil.
Es ist schwer vorstellbar, dass es einen Sektor oder einen Teil der Wirtschaft gibt, der von der KI in Zukunft nicht positiv beeinflusst werden wird. Wie jedoch die vielen möglichen Anwendungen am Ende aussehen und wer die realen Nutznießer der KI sein werden, ist derzeit nur schwer absehbar. Die weithin gepriesenen Vorzüge der KI werden sich wahrscheinlich erst über Jahrzehnte und Generationen hinweg entfalten. Was jetzt schon sicher ist, das sind die Unternehmen, die die Rechenleistung und Infrastruktur bereitstellen.
Unbeliebte Dividendentitel versprechen Diversifizierung und Erträge
Während viele Anleger zuletzt vom KI-Boom mitgerissen wurden, sind die Bewertungen von Dividendentiteln im Vergleich zum Gesamtmarkt auf das niedrigste Niveau seit Jahrzehnten gesunken. Da für den weiteren Jahresverlauf eine Abschwächung des Wachstums erwartet wird und die Gefahr einer globalen Rezession noch nicht vollständig gebannt ist, könnten Dividenden dennoch eine wichtige Rolle für die Gesamtrendite spielen.
Da es schwierig ist vorauszusagen, wann die Wende im Zyklus eintreten wird, sollten Anleger aus unserer Sicht nicht nur nach Unternehmen mit Wachstumspotenzial Ausschau halten, sondern auch nach solchen, die Dividenden zahlen. Denn letztere können die Marktvolatilität abmildern. Dabei sind die Bewertungen wichtig, aber auch die weiteren Geschäftsaussichten der dividendenzahlenden Unternehmen.
In verschiedenen Branchen sehen wir ausgewählte Dividendentitel, die gezielt Strategien verfolgen, um die Nachfrage nach ihren Angeboten zu steigern. So hat beispielsweise der Apotheken-Einzelhändler CVS Health zuletzt eine neue Abteilung eingeführt, die mit Arzneimittelherstellern zusammenarbeiten wird. Das Ziel dabei ist, Biosimilar-Versionen führender Medikamente herzustellen, wodurch diese erschwinglicher würden.
Für Anleger, die sich über die Risiken einer Konzentration ihres Portfolios auf eine Handvoll Tech-Giganten mit ähnlichen Geschäftsfeldern Sorgen machen, können Dividendenaktien also eine Alternative darstellen, die sowohl Diversifikation als auch Einkommen verspricht.
Made in America: Staatliche Kapitalspritzen könnten die US-Produktion wiederbeleben
In dem Bestreben, lokale Lieferketten zu unterstützen, saubere Energien auszubauen und die US-Halbleiterindustrie anzukurbeln, hat die US-Regierung für die nächsten sieben Jahre 1,4 Billionen US-Dollar für Investitionsprojekte bereitgestellt. Damit steht der US-Industrie in den kommenden Jahren eine regelrechte Kapitalflut bevor, die aus unserer Sicht das Potenzial hat, den Investitionszyklus in Gang zu setzen und das verarbeitende Gewerbe und die Energiebranche in den USA neu zu gestalten.
Diese Mittelzuflüsse führen zu einem potentiellen Umsatz- und Ertragswachstum für Unternehmen, die über die nötigen Kapazitäten und die Flexibilität verfügen, um solch umfangreiche Projekte durchzuführen wie beispielsweise die Modernisierung des US-Stromnetzes und den Bau von Produktionsanlagen. Nachdem sich viele Industrieunternehmen in den letzten Jahren in einer Investitionswüste befanden, könnten die kommenden Kapitalzuflüsse sie von verschlafenen Zyklikern zu Wachstumsunternehmen machen.
Die finanziellen Impulse dürften zudem einen Multiplikatoreffekt für die gesamte Wirtschaft haben, da neue Anlagen Arbeitsplätze und andere positive Effekte mit sich bringen. Ein Großteil der Gelder muss zwar erst noch ausgegeben werden, aber der Trend zur Energieeffizienz, zur Lokalisierung von Lieferketten und zur Verbesserung der Infrastruktur eröffnet bereits heute Chancen. Der Klimaanlagenhersteller Carrier Global beispielsweise verzeichnete im Jahr 2023 einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach seinen energieeffizienten Systemen, nachdem viele Länder Phasen mit rekordverdächtigen Temperaturen erlebt hatten.
Schwellenländer: Neue Märkte rücken in den Blick
2024 könnte zudem die Zeit gekommen sein, in der andere Schwellenländer als China ins Rampenlicht rücken. Das Umfeld dafür sieht attraktiv aus, und Anlagegelegenheiten in Ländern wie Indien, Indonesien und Mexiko nehmen zu. Gründe dafür sind, dass das Wachstum der dortigen Infrastruktur sich beschleunigt hat und die Staatshaushalte vieler Emerging Markets solider geworden sind. Zudem kurbelt die Umstellung der Lieferketten die regionalen Volkswirtschaften an.
In Indien beispielsweise haben neue Straßen, Wohnungsbauprojekte und Industrieparks dazu geführt, dass Teile des Landes im Vergleich zu vor ein paar Jahren kaum wiederzuerkennen sind. Indonesien zieht wiederum ausländische Investoren an, die ihre Lieferketten für Elektrofahrzeuge ausbauen wollen. Und Mexiko entwickelt sich zu einem Zentrum für Reshoring.
Trotz der sich verlangsamenden Wirtschaft Chinas sind wir der Meinung, dass dauerhafte Trends wie die Umstrukturierung der Lieferketten, der demografische Wandel und die Energiewende den Schwellenländern mehr Tiefe verleihen könnten, als das in der Vergangenheit der Fall war.
Die Anlagemöglichkeiten in den Emerging Markets ohne China reichen von Banken über Flugzeugkomponentenhersteller und Immobilienentwickler bis hin zu Bergbau- und Konsumgüterunternehmen. Die rasche Ausbreitung mobiler Technologieplattformen kommt der Nachfrage nach Verbraucherdienstleistungen entgegen.
Dennoch sollten Anleger China nicht vorschnell abschreiben. Der starke Ausverkauf chinesischer Aktien hat ausgewählte Chancen eröffnet, in innovative Unternehmen zu investieren, die in ihrem Heimatland einen dominanten Marktanteil haben, umfangreiche Cashflows generieren und zu attraktiven Bewertungen gehandelt werden.
Aktienanleger dürfen sich also auf vielfältige Anlagechancen freuen, die das Jahr 2024 für sie bereithält.
Von Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group