„In vielen Schwellenländern schwächt sich die Inflation momentan ab, was die jeweiligen Zentralbanken zu Zinssenkungen bewegen könnte“, erläutert der Experte. Unter anderem Brasilien, Chile, Ungarn und China hätten damit bereits begonnen und dürften ihren Volkswirtschaften damit Auftrieb verleihen. Das sollte sich auch positiv auf die jeweiligen Aktienmärkte auswirken.
Im Vergleich zu früheren Zeiten stünden viele Schwellenländer außerdem wirtschaftlich deutlich solider da. Zwischen 2019 und 2021 habe sich die Summe der Bilanzüberschüsse aller Schwellenländer mehr als verdreifacht. „Reformen haben die Geschäftstätigkeit in Ländern wie Indien erleichtert. Die indische Regierung hat unternehmensfreundliche Reformen und ein digitales Identifizierungssystem eingeführt, die das Wachstum beschleunigt haben, indem sie die Ausweitung der Kreditvergabe erleichtert und große Teile der Wirtschaft in den formellen Sektor gebracht haben“, sagt Becker. „Indonesien wiederum hat mehr Flughäfen, Straßen und Seehäfen gebaut, mehr Industriezweige für ausländische Investitionen geöffnet und versucht, durch Änderungen des Arbeits- und Steuerrechts Bürokratie abzubauen.“
China ist der Elefant im Raum
Der rasante Aufstieg der chinesischen Wirtschaft hätte seinen Höhepunkt im Jahr 2020 erreicht. Die Wachstumsraten dürften sich in den nächsten Jahren verringern und China müsse in höhere Stufen der Wertschöpfungskette in Produktion und Technologie aufsteigen. In Bereichen wie der Robotik und der Batterietechnologie für Elektrofahrzeuge beweise China bereits seine Fähigkeiten als High-End-Hersteller. Der Aufstieg der chinesischen Elektroauto-Industrie könne sogar die Dominanz der deutschen Autohersteller gefährden, was jedoch auch davon abhängig sei, wie sich der chinesische Konsumentenmarkt entwickele. „Das Vertrauen der Verbraucher ist durch die strengen COVID-Sperren und die Probleme im Immobiliensektor erschüttert worden und wird sowohl Zeit als auch staatliche Maßnahmen benötigen, um wiederhergestellt zu werden. Dennoch bleiben wir optimistisch, dass dies mit der Zeit geschehen wird", so Becker.
China wird laut Becker weiter eine zentrale Rolle in den globalen Handelsbeziehungen spielen, trotz aller Bemühungen von Europa, den USA, Japan, Indien und anderer Länder sich unabhängiger von China zu machen. In den letzten Jahren hätten sich viele Investoren von China abgewandt. Der Ausverkauf chinesischer Aktien seit 2021 habe Anleger anfällig für Volatilität gemacht, insbesondere diejenigen, die über ein passives Indexvehikel in China investiert gewesen seien. Peter Becker sieht darin eine gute Gelegenheit für aktive Manager: „Es ist die Aufgabe von Vermögensverwaltern und anderen Anlegern, aus erster Hand zu untersuchen und zu kalibrieren, welche Bereiche, Branchen und Unternehmen am besten positioniert sind, um von diesen säkularen Verschiebungen und Trends zu profitieren."
EMs könnten von geopolitischen Spannungen profitieren
Länder wie Indonesien, Indien, oder Mexiko seien nicht mehr abhängig von einer ökonomischen Supermacht, sondern könnten sowohl mit den führenden westlichen Industrienationen als auch mit China handeln. Der Wunsch nach einer Diversifikation der Lieferketten bei vielen multinationalen Unternehmen komme den Emerging Markets ebenfalls zugute. „Wenn ein multinationales Unternehmen eine Produktionsstätte baut, zieht dies häufig Investitionen anderer Unternehmen aus dem Ökosystem der Zulieferer nach sich, die ebenfalls eine physische Präsenz in dieser bestimmten Region aufbauen”, erklärt Becker.
Indonesien versuche sich als wichtiger Nickelverarbeiter zu einem integralen Bestandteil der Lieferketten für Elektroauto-Batterien zu entwickeln. Das locke bereits Milliarden an Investitionen aus China in den Inselstaat und habe Vereinbarungen über Beteiligungen an der Nickelverarbeitung mit multinationalen Unternehmen wie dem südkoreanische Autokonzern Hyundai, dem deutschen Chemiekonzern BASF und dem US-Automobilhersteller Ford gebracht.
Mexiko habe vor Kurzem China als größten Handelspartner der USA verdrängt. Die Investitionen in das Land würden sich heute nicht mehr weitestgehend auf die Automobilbranche und die Herstellung von kleinen Elektrogeräten beschränken, sondern hätten sich auf medizinische Geräte, komplexere Elektronik, Möbel und allgemeine Industriegüter erweitert. Ausländische Direktinvestitionen von Autoherstellern wie Tesla oder BMW und Herstellern von elektronischen Bauteilen wie Bosch oder Continental hätten stark zugenommen.
Indien habe seine Produktionskapazitäten für Mobiltelefone, Haushaltsgeräte, Computer und Telekommunikationsgeräte ausgebaut. Im Ausland habe Indien einige große Unternehmen davon überzeugen können, in diese Kapazitäten zu investieren, darunter Apple, Foxconn, Daikin und Mitsubishi Electric. Die indische Strategie sei zweigleisig: Zunächst sollen die Kapazitäten zur Versorgung der eigenen Bevölkerung ausgebaut werden, um über einen längeren Zeitraum auch ein größerer Akteur auf den Exportmärkten zu werden. Der groß angelegte Ausbau der Infrastruktur solle die Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums fördern.
Die Energiewende könne ein weiterer Rückenwind für das Wachstum sein. „Mit dem weltweiten Bestreben, energieeffiziente Fahrzeuge, Stromnetze und Gebäude zu bauen, steigt die Nachfrage nach Kupfer, Nickel, Eisenerz und Lithium. Wir gehen davon aus, dass dies zu größeren Investitionen in neue Bergbauprojekte in Teilen Afrikas, Südamerikas und Asiens führen wird", prognostiziert Becker.