„Statt einem Vier-Phasen-Zyklus zu folgen, wie er seit dem 2. Weltkrieg üblich ist (früh, mittel, spät, Rezession), scheint die US-Wirtschaft nach einer späten Phase mit straffer Geldpolitik und steigendem Kostendruck jetzt zu einer mittleren Phase anzusetzen, in der die Unternehmensgewinne in der Regel Höchststände erreichen, die Kreditnachfrage steigt und die Geldpolitik üblicherweise neutral ist“, sagt Franz.
Wie lasse sich das erklären? „Diese ,Benjamin-Button-Wirtschaft‘ ist vor allem aufgrund der pandemiebedingten Verzerrungen am US-Arbeitsmarkt entstanden. Diese hatten signalisiert, dass wir uns in einem späten Konjunkturzyklus befinden“, erläutert der Ökonom. „Allgemeinere Konjunkturdaten, die ich für verlässlicher halte, sprechen jedoch klar für eine mittlere Zyklusphase.“ Sollte dies der Fall sein, die US-Wirtschaft sich also in einer mittleren Zyklusphase befinden, stünde ihr möglicherweise ein mehrjähriger Aufschwung bevor mit einer Rezession frühestens im Jahr 2028. „In der Vergangenheit lagen die Aktienmarkterträge in solchen Phasen bei etwa 14 Prozent p.a., und auch für Anleihen ist ein solches Umfeld günstig gewesen“, sagt Franz.
Der Unemployment Gap
Franz definiert die Konjunkturzyklen nicht wie sonst üblich anhand der Arbeitslosenzahlen, sondern anhand des Unemployment Gap: „Dabei handelt es sich um die Differenz zwischen der jeweils aktuellen Arbeitslosenquote (zurzeit 4,2 Prozent) und der natürlichen Arbeitslosenquote, die häufig ,inflationsneutrale Arbeitslosenquote‘ (NAIRU) genannt wird. Sie liegt in der Regel zwischen 5,0 und 6,0 Prozent. Einfach gesagt, ist dies die niedrigste Quote, die keinen Anstieg der Inflation erwarten lässt“, erklärt der Experte. Diese Art der Bestimmung von Zyklusphasen beruhe auf einem umfassenderen Ansatz, der die Geldpolitik, den Kostendruck, die Gewinnmargen der Unternehmen, die Investitionsausgaben und die Wirtschaftsleistung insgesamt berücksichtige.
Der Unemployment Gap sei eine Kennzahl, die monatlich erhoben werden könne, immer wenn der US-Arbeitsmarktbericht erscheine. „Der Grund dafür, dass sie so gut funktioniert, ist, dass die einzelnen Phasen des Unemployment Gap in der Regel mit den für jede Zyklusphase maßgeblichen Faktoren korrelieren. Wenn beispielsweise der Arbeitsmarkt eng wird, ist der Kostendruck meist hoch, die Unternehmensgewinne gehen zurück und die Konjunktur befindet sich in einer späten Phase“, führt Franz aus.
Schon vor der Pandemie habe dieser Ansatz gut funktioniert und bereits früh die Anfälligkeit der Wirtschaft im Jahr 2019 signalisiert, welche für späte Zyklusphasen typisch sei. Dem sei eine kurze pandemiebedingte Rezession von Februar bis April 2020 gefolgt.
„Wahrscheinlich hat die Pandemie zu strukturellen und zyklischen Verzerrungen am US-Arbeitsmarkt geführt“, sagt Franz. So sei beispielsweise die Partizipationsrate so stark gefallen wie noch nie, weil die Weltwirtschaft quasi stagniert sei. Danach sei sie in der wichtigsten Altersgruppe (25- bis 54-Jährige) deutlich über ihr vorpandemisches Niveau gestiegen.
„Mit anderen Worten: Traditionelle Betrachtungen der Arbeitslosigkeit sind heute weniger hilfreich für die Einschätzung des Konjunkturumfelds“, betont der Volkswirt. „Sie sind weniger eng mit klassischen Zyklen korreliert. Wenn man dies nicht erkennt, besteht die Gefahr einer zu optimistischen oder zu pessimistischen Einschätzung der Konjunktur.“
Folgen für die Märkte: Aktien und Anleihen könnten gute Zeiten bevorstehen
Aus seinen Konjunktureinschätzungen leitet Franz entsprechende Aktienmarktprognosen ab: „In mittleren Phasen erzielen Aktien in der Regel etwa 14 Prozent Ertrag p.a. Small Caps sind meist erfolgreicher als Large Caps, Value schneidet in der Regel besser ab als Growth und die Sektoren Grundstoffe und Immobilien legen am stärksten zu“, erläutert der Experte. „Diese Zahlen beruhen auf einer Auswertung der Markterträge von Dezember 1973 bis August 2024 von Capital Group.“
Zwar seien die Ergebnisse der Vergangenheit kein Garant für künftige Entwicklungen, Franz hält jedoch fest: „Wenn die US-Wirtschaft weiter solide wächst – ich erwarte ein Wachstum um 2,5 bis 3,0 Prozent –, dürften die Aktienkurse steigen. Wenn das Wachstum der US-Wirtschaft bislang über ihrem Potenzialwachstum von 2,0 Prozent lag, haben sich Aktien überdurchschnittlich entwickelt.“
Auch Anleihen seien in mittleren Zyklusphasen meist erfolgreich gewesen. Im oben genannten Zeitraum hätten US-Staatsanleihen 4,7 Prozent Ertrag p.a. erzielt; bei Unternehmensanleihen seien es 5,0 Prozent p.a. gewesen. „Sollte die Fed ihre Zinsen weiter senken, könnte das Umfeld für Anleihen in den nächsten Jahren sogar noch besser werden. Angesichts meiner optimistischen Konjunkturprognose gehe ich aber davon aus, dass die Fed ihre Geldpolitik weniger stark lockern wird, als viele Marktteilnehmer es derzeit erwarten. Denn noch ist die Inflation nicht ganz besiegt. Sie liegt nach wie vor über den von der Fed angestrebten zwei Prozent. Deshalb denke ich, dass die geldpolitischen Entscheider nach der gestrigen Senkung um 25 Basispunkte jetzt vorsichtiger sein werden“, prognostiziert Franz abschließend.
Von Jared Franz, Volkswirt bei Capital Group