Kein Grund für übertriebenen Pessimismus: Die deutsche Wirtschaft dürfte wettbewerbsfähig bleiben

Der anhaltende Abschwung in der deutschen Industrie hat Ängste vor einer unumkehrbaren Deindustrialisierung hervorgerufen. Arne Tölsner, Head of Client Group DACH bei Capital Group, hält jedoch dagegen: „Die Ängste vor einer Deindustrialisierung in Deutschland sind übertrieben. Ein Großteil der aktuellen Schwäche ist nur vorübergehend. Sinkende Energiepreise und eine lockerere Geldpolitik dürften die Erholung vorantreiben.“ Capital Group | 19.02.2025 11:17 Uhr
Arne Tölsner, Head of Client Group DACH bei Capital Group / © e-fundresearch.com / Capital Group
Arne Tölsner, Head of Client Group DACH bei Capital Group / © e-fundresearch.com / Capital Group

Ohne Zweifel sei das deutsche Wirtschaftsmodell aktuell gewissen Belastungen ausgesetzt. Das Lohnwachstum habe sich nach der Pandemie beschleunigt, da sich der Arbeitskräftemangel verschärft habe. Der Verlust des billigen russischen Gases nach 2022 und Chinas Aufstieg in den Bereichen grüne Technologien, Elektrofahrzeuge und Solartechnik hätten Deutschlands Position im verarbeitenden Gewerbe in Frage gestellt. Gleichzeitig habe Chinas Strategie der Importsubstitution seine Abhängigkeit von deutschen Vorprodukten verringert, während seine Überkapazitätsexporte deutsche Unternehmen auf den globalen Märkten unterbieten würden.

Deutschland verfügt aus Sicht von Capital Group jedoch über zwei wesentliche Stärken, so Tölsner: „Zum einen ist der deutsche Mittelstand beweglich und in höchstem Maße wettbewerbsfähig. Es handelt sich im Grunde um ein Hayek'sches Informationssystem, in dem die Bottom-up-Suche der Unternehmen nach neuen Möglichkeiten eine Umverteilung von Ressourcen von schrumpfenden zu wachsenden Branchen ermöglicht. Zum anderen verfügt die Regierung über reichlich fiskalischen Spielraum, um die Industrie zu unterstützen, sofern der politische Wille dazu besteht und die politischen Entscheidungsträger pragmatisch handeln.“

Vorübergehende Schwäche

„Ein Teil der wirtschaftlichen Schwäche, die wir sehen, ist zyklisch bedingt“, sagt Tölsner. „Die energieintensiven Branchen, auf die etwa 10 Prozent der Wertschöpfung in Deutschland entfallen, verzeichneten seit 2019 einen Rückgang um 30 Prozent, weil die Energiekosten in die Höhe schossen. Zudem haben die drastischen Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) das Baugewerbe und die Investitionsgüterproduktion getroffen. Und schließlich haben die deutschen Verbraucher, die durch die Inflation unter Druck geraten sind, ihre Ausgaben eingeschränkt, was die Nachfrage geschwächt hat.“

Dieser Gegenwind dürfte nach Einschätzung des Experten jedoch wieder abflauen: „Die CDU/CSU-Fraktion hat im Falle eines Sieges bei der bevorstehenden Bundestagswahl niedrigere Netzentgelte und Steuersenkungen versprochen. Dies könnte die Strompreise für Haushalte und Unternehmen um 15 bis 20 Prozent senken. Zudem wird die EZB sehr wahrscheinlich ihre Geldpolitik lockern und damit die Nachfrageerholung unterstützen.“ Darüber hinaus könnten die chinesischen Konjunkturprogramme die Nachfrage nach deutschen Exporten stabilisieren.

Längerfristige strukturelle Herausforderungen

Trotz einer möglichen konjunkturellen Erholung stehe Deutschland auch vor tiefergehenden strukturellen Herausforderungen. Erstens würden die Energiekosten und Zinssätze wahrscheinlich auch nach der Krise hoch bleiben und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie einschränken. Zweitens habe die Abkopplung Chinas von deutschen Importen begonnen, die industrielle Nachfrage zu untergraben. Chinesische Unternehmen würden zunehmend auf inländische Alternativen setzen. Drittens habe sich Deutschland nur langsam an disruptive Technologien wie künstliche Intelligenz und Elektrofahrzeuge angepasst, was seine Vorherrschaft in traditionellen Industrien bedrohe. Viertens stelle der sich verschärfende Arbeitskräftemangel eine große Herausforderung dar, da die Hälfte der MINT-Fachkräfte, also der Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, zwischen 45 und 64 Jahren alt sei und die Zahl der Studenten in diesen Fächern schrumpfe. Es fehle also über kurz oder lang der Nachwuchs. Und schließlich würden globale Handelsverschiebungen, einschließlich des zunehmenden Protektionismus in den USA und der aggressiven Subventionen Chinas, Deutschlands traditionell exportorientiertes Modell weiter in Frage stellen.

Deutschlands Wettbewerbsvorteile bleiben bestehen

Tölsner und seine Kollegen bleiben dennoch optimistisch: „Die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird oft unterschätzt.“ In der Vergangenheit habe die deutsche Wirtschaft wiederholt Krisen überstanden, die existenziell zu sein schienen – so zum Beispiel den Wettbewerbsschock durch die Wiedervereinigung im Jahr 1990. Ein wichtiges Element sei dabei der deutsche Mittelstand. Er fördere die schöpferische Zerstörung im Sinne Schumpeters, indem er Ressourcen auf hochwertige Branchen umverteile. Nicht durch Zufall sei Deutschland führend bei den ,Hidden Champions‘ – Unternehmen, die in globalen Nischenmärkten zu den Besten gehören. Und auch die Produktivität sei nach wie vor hoch, selbst im Vergleich zu den USA, wenn man sie um die geleisteten Arbeitsstunden bereinige. „Erfreulicherweise scheint sich die deutsche Industriestrategie erneut zu ändern“, sagt Tölsner. „Die Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe ist trotz sinkender Produktion stabil geblieben, was darauf hindeutet, dass sich die Unternehmen auf Produkte mit höheren Gewinnspannen verlegen, anstatt über das Volumen zu konkurrieren. Pharmazeutika und grüne Technologien sind neue Wachstumsbereiche.“

Politik und der Weg in die Zukunft

Ein pragmatischerer Ansatz in der Politik könne den industriellen Übergang erleichtern. Deutschland verfüge über einen großen finanzpolitischen Spielraum. Die Staatsverschuldung liege bei lediglich 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Reformbedarf gibt es nach Einschätzung von Capital Group an verschiedenen Stellen. So bestehe ein Bedarf für höhere öffentliche Investitionen, Bürokratieabbau und eine stärkere EU-Integration. „Die Verringerung der Abhängigkeit von China und die Stärkung der Beziehungen zwischen der EU und den USA werden für die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit Deutschlands entscheidend sein“, sagt Tölsner.

Fazit

„Die Ängste vor einer Deindustrialisierung Deutschlands sind übertrieben“, fasst Tölsner abschließend zusammen. „Zwar sind einige Schwächen der deutschen Wirtschaft strukturell bedingt, doch die Fähigkeit der deutschen Industrie, sich neu zu erfinden, ist historisch erwiesen. Der industrielle Wandel wird stattfinden – mit oder ohne die Hilfe der Politik. Eine moderate Lockerung der fiskalischen Zwänge, die Modernisierung der Infrastruktur und die Senkung der Energiekosten würden jedoch den Übergang erleichtern und die industrielle Zukunft Deutschlands sichern.“

Von Arne Tölsner, Head of Client Group DACH bei Capital Group

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