Die Turbulenzen an den Aktienmärkten, ausgelöst von Handelszöllen und Durchbrüchen im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) haben auf eindrucksvolle Weise daran erinnert, dass selbst der stärkste Aufschwung ins Stolpern geraten kann, vor allem wenn die Bewertungen bestimmter Aktien eine perfekte Entwicklung widerspiegeln.
Ist die plötzliche Volatilität ein Signal dafür, dass Investoren jetzt vorsichtiger werden sollten? Oder kann sich die starke Hausse fortsetzen?
Die kurze Antwort von Martin Romo, Chief Investment Officer bei Capital Group, lautet „ja“. Und ja.
„Für mich sind Konjunktur und Märkte zurzeit ein Lehrstück zum Thema Gegensätze“, sagt Romo. Während die Aussichten für die US-Wirtschaft nach wie vor gut sind, haben andere Länder zu kämpfen. Die Auswirkungen der von Trump-Administration angekündigten Zölle und anderer politischer Entscheidungen – und die weltpolitischen Spannungen – verstärken die Unsicherheit. Die Aktienmarkterträge waren hoch und die Volatilität niedrig. Hoch sind aber auch die Erwartungen.
„In diesem Umfeld bin ich sowohl zuversichtlich als auch vorsichtig“, fügt Romo hinzu. „Ich halte es für angemessen, Chancen und Risiken abzuwägen und auf die Bewertungen zu achten.“
Hier sind vier Hinweise für Investoren, die weiter auf Aktien setzen, aber auch etwas Vorsicht walten lassen wollen:
1. Die Luft wird dünner
Seit Ende 2022 befinden sich die Aktienmärkte im Höhenflug. Während die Investoren eine Rezession erwarteten, hob der S&P 500 Index ab und legte in den Jahren 2023 und 2024 um 26,2% und 25,0% zu. Erstmals seit der letzten Phase der Dotcom-Blase (1998/1999) ist der S&P 500 in zwei aufeinander folgenden Jahren um über 20% gestiegen.
Aber Vergleiche mit der Technologieblase 1999 sind mit Vorsicht zu genießen. Heute erzielen Technologieriesen ein solides Gewinnwachstum. Beispielsweise hatten sich die Gewinne von NVIDIA, des Herstellers modernster Halbleiter, die für die KI benötigt werden, im 3. Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt – auf 19,3 Milliarden US-Dollar.
Das spricht nicht gerade dafür, dass sich Investoren auf einen Markteinbruch einrichten müssten. Das Konjunkturumfeld bleibt grundsätzlich gut, gestützt von stark steigenden Löhnen, stabilen Zinsen und einer Regierung, die das Wachstum fördern will.
Ein Blick auf die Wertentwicklung des S&P 500 Index seit 1928 zeigt, dass dieser in 73% der Jahre gestiegen ist, also im Durchschnitt in drei von vier Jahren. In nur 27% der Zeiträume verbuchten Aktien Jahresverluste.
Natürlich haben die hohen Erwartungen an die heutigen Marktführer deren Bewertungen in die Höhe getrieben, sowohl am Aktienmarkt insgesamt als auch bei vielen Technologieunternehmen. Am 31. Januar 2025 lag das KGV des S&P 500 bei 27,7. „Bewertung spielt wieder eine Rolle“, sagt Romo. „Ich bin nach wie vor zuversichtlich, aber da die Bewertungen vieler Aktien eine perfekte Entwicklung widerspiegeln, rechne ich ab jetzt mit weniger hohen Erträgen.“
2. Marktüberraschungen gehören einfach dazu
Die hohen Bewertungen in Verbindung mit der starken Konzentration der Marktgewinne auf eine Handvoll US-Technologieriesen könnten das Risiko verstärken.
Der kurzzeitige Kurseinbruch am 27. Januar war die Reaktion auf überraschende Berichte über das chinesische Startup DeepSeek, das einen Chatbot zu einem Bruchteil der Kosten führender US-KI-Tools entwickelt hat. Die Nachricht stellte die Sinnhaftigkeit von milliardenschweren Investitionen in die KI-Infrastruktur in Frage. Mit einem Rückgang von jeweils 17% waren die Aktien von NVIDIA und des Chipherstellers Broadcom mit am stärksten betroffen. Andere Unternehmen aus dem KI-Bereich – von Stromerzeugern bis zu Industrieunternehmen – erlitten ebenfalls schwere Rückschläge.
„Ich bin in einer Welt aufgewachsen, in der das Credo galt, dass Bäume nicht in den Himmel wachsen“, sagt Aktienportfoliomanager Will Robbins. „Davon bin ich zwar noch immer überzeugt, aber ich denke auch, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat.“ Beispielsweise geht es für einige der Innovationsführer aus dem Technologiesektor um alles oder nichts. Ich gehe davon aus, dass eine Reihe von ihnen langfristig erfolgreich sein werden. Bei anderen ist die Ausgangslage aus meiner Sicht aber weniger gut, weil ich sie für zu hoch bewertet halte oder an ihren Wettbewerbsvorteilen zweifle.“
Die von der Trump-Administration verhängten Zölle auf zahlreiche Güter, darunter Agrarprodukte, Autoteile und Smartphones, lösten dann einen weiteren Ausverkauf aus, da man einen Handelskrieg befürchtete. Die Ankündigung von Zöllen auf Importe aus Kanada, Mexiko und China sowie die Gefahr von Gegenzöllen verstärkte die Unsicherheit. Aber dann wurde die Einführung der Zölle gegen Kanada und Mexiko am 4. Februar um 30 Tage verschoben.
Die langfristigen Auswirkungen der Zölle und des Durchbruchs von DeepSeek sind unklar, aber sie erinnern uns auf beeindruckende Weise daran, dass Marktüberraschungen keine Überraschungen sind. Hinzu kommt, dass die Aktienkurse wegen der hohen Bewertungen auf jede kleinste Enttäuschung sensibel reagieren.
3. Marktrückgänge kommen regelmäßig vor
Marktrückgänge sind schmerzhaft, aber man darf nicht vergessen, dass die Märkte zuletzt vergleichsweise stabil waren. Trotz neuer Allzeithochs betrug der größte Rückgang des S&P 500 im Jahr 2024 etwa 8%, gefolgt von einer Erholung innerhalb weniger Tage.
Aber ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Marktrückgänge regelmäßig stattfinden. Korrekturen, also Rückgänge um mindestens 10%, gab es etwa alle 18 Monate, und etwa zwei Mal im Jahr fiel der Index um mindestens 5%.
„Vorsichtige Investoren sollten sich auf eine mögliche Korrektur in diesem Jahr vorbereiten“, sagt Romo.
4. Ausgewogenheit ist das Gebot der Stunde
Vor diesem Hintergrund könnte für Investoren jetzt die Zeit gekommen sein, nicht nur auf Wertzuwachs, sondern in gleichem Maße auf Kapitalerhalt zu achten. Was bedeutet das?
„Wir befinden uns nicht mehr in einem „Entweder-oder-Markt“, sagt Romo. „Man kann sich nicht mehr nur auf einen Sektor, eine Assetklasse oder ein bestimmtes Land konzentrieren. Heute muss man in Wachstums- und Substanzwerte, in den USA und in anderen Ländern sowie in Large Caps und Small Caps investieren.
„Deshalb setze ich sowohl auf die beliebten als auch auf die vergessenen Unternehmen. Ich investiere also in interessante Technologieführer, aber auch in Unternehmen aus den Sektoren Finanzen und Industrie – ja sogar in Energie.“
Robbins, der sich selbst als defensiven Investor sieht, sagt, dass er immer Chancen und Risiken abwägt, genau auf die Bewertung achtet und die Wettbewerbssituation eines Unternehmens im Blick hat.
„Defensives Investieren ist zwar nicht immer in Mode, aber ich halte daran fest“, sagt Robbins. „Wenn der Markt jeden Tag auf neue Allzeithochs steigt, ist ein defensiver Ansatz weniger attraktiv, aber ich weiß, dass er sich früher oder später auszahlt. Zurzeit sehen ich einige interessante stabile Unternehmen, beispielsweise Stromerzeuger oder Beratungsfirmen, deren Bewertungen nicht so atemberaubend hoch sind wie die der Technologieführer.“
Vielleicht noch nicht in diesem Jahr dazu, aber Baissen kommen immer wieder vor. „Und dann werden Investoren vermutlich erkennen, welche Vorteile ein defensiverer, dividendenorientierter Ansatz für ein Portfolio haben kann“, fügt Robbins hinzu.
Fazit: Volatile Marktphasen sind unvermeidlich, aber nicht von Dauer. Wenn die Märkte stark steigen, können sie schon auf nur leicht enttäuschende Nachrichten heftig reagieren. „Geduldige Investoren, die auf ausgewogene Portfolios setzen und langfristig denken, sind unsichere Märkte nicht mehr als ein Hintergrundgeräusch“, sagt Romo.
Von Martin Romo, Chair und Chief Investment Officer und William Robbins, Aktienportfoliomanager bei der Capital Group