Risikoaverse Märkte
Die klassischen Zustandsgrößen am Kapitalmarkt weisen auf ein ansteigendes Risiko hinsichtlich Wirtschaft und risikobehaftete Wertpapiere hin. Die Renditeaufschläge für das Kreditrisiko sind angestiegen, der Renditeunterschied zwischen den lang laufenden und kurz laufenden Staatsanleihen ist gesunken und die Volatilitäten sind angestiegen. Zudem sind die einpreisten Inflationsraten gefallen, haben sich der Japanische Yen und der Schweizer Franken gefestigt und ist der Goldpreis angestiegen. Insbesondere die gesunkenen Renditen von kreditsicheren Staatsanleihen erregen Aufmerksamkeit. Immerhin befindet sich die Rendite der deutschen Referenz-Staatsanleihe mit einer zehnjährigen Laufzeit aktuell bei minus drei Basispunkten.
Brexit-Unsicherheit
Vor allem ein Indikator befindet sich auf einem krisenhaften Niveau. Die Volatilität (At-The-Money) von Optionen mit einer einmonatigen Laufzeit des Wechselkurses vom Britischen Pfund zum Euro liegt bei 24%. Dieser Wert wurde zuletzt im Krisenjahr 2008 erreicht. Tatsächlich sind in den vergangene Tagen einige Umfragen zum Referendum im Vereinigten Königreich am 23. Juni veröffentlich worden, die die Befürworter für einen Austritt aus der Europäischen Union leicht in Führung sehen. Im Einklang damit sind die Renditeunterschiede zwischen den höher rentierenden Staatsanleihen im UK und jenen in Deutschland und in Japan gesunken, jener zwischen den Staatsanleihen in den USA und im UK hat sich ausgeweitet. Das deutet darauf hin, dass die Staatsanleihen im Vereinigten Königreich der Treiber für die Renditerückgänge sind.
Vorsichtiges Verhalten der Fed
Nicht nur die Kapitalmärkte werden vom bevorstehenden Brexit-Referendum beeinflusst. Die Vorsitzende des US-amerikanischen Zentralbankensystems Janet Yellen hat im Rahmen der Sitzung des Offenmarktausschusses das Brexit-Referendum als eines der Themen in der Entscheidungsfindung angegeben. Die Bandbreite für den Leitzinssatz wurde wenig überraschend unverändert bei 0,25% – 0,50% belassen.
Gefallene Leitzinsprojektionen
Es gibt jedoch auch andere wichtige Entwicklungen abseits von der Brexit-Unsicherheit. Beim Ausblick für den Leitzinssatz hat eine größere Revision stattgefunden. Die Projektion für den Leitzinssatz für Ende 2016 blieb unverändert bei 0,9%, jene für die Jahre 2017 und 2018 wurden von 1,9% auf 1,6% beziehungsweise von 3,0% auf 2,4% nach unten genommen. Auch die Schätzung für den durchschnittlichen Leitzinssatz wurde reduziert (von 3,3% auf 3,0%). Die Fed zeigt damit weiterhin die Bereitschaft an, den Leitzinssatz anzuheben, wenn es das Umfeld erlaubt. Immerhin wurden die Schätzungen für das Wirtschaftswachstum etwas reduziert und für die Inflation etwas angehoben. Die Daten implizieren, dass Vollbeschäftigung erreicht ist und sich die Produktivität nicht so kräftig verbessern wird wie zuletzt angenommen.
Gefallene Inflationserwartungen
Die Hürden für Leitzinsanhebungen haben allerdings abermals zugenommen. Der wichtigste Satz in der Presseaussendung der Fed war, dass nur noch die meisten Umfragen für die langfristigen Inflationserwartungen unverändert waren. Dahinter steckt wahrscheinlich der letzte Woche veröffentliche Bericht der University of Michigan, wonach im Juni die langfristigen Inflationserwartungen der Konsumenten auf ein Allzeittief von 2,3% gefallen sind. Fest verankerte Inflationserwartungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Vermeidung eines Japan-Szenarios.
Schlussfolgerung
Die Märkte „fürchten“ einen negativen Shock für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte im Fall einer Mehrheit für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Die Unsicherheitsprämie drückt die Renditen von kreditrisikolosen Staatsanleihen nach unten und dämpft die risikobehafteten Wertpapierklassen. Im Fall eines Verbleibs (Bremain) wird diese Prämie etwas sinken und die risikobehafteten Wertpapierklassen zulasten der kreditsicheren Staatsanleihen unterstützen.
Abseits der Brexit-Thematik gibt es Entwicklungen, die für anhaltend niedrige Zins- und Renditeniveaus sprechen. Die Marktkurse stehen immer mehr im Einklang sowohl mit der sogenannten Liquiditätsfalle, in der es auf einem niedrigen Zinsniveau keinen Unterschied zwischen dem Geld- und dem (kreditsicheren) Kapitalmarkt gibt sowie dem Szenario „säkulare Stagnation“, das negative reale Zinsen voraussetzt, damit die Wirtschaft wächst.