Wir haben schon seit langem die Einschätzung vertreten, dass die Richtung der europäischen Rentenmärkte vor allem durch politische Entwicklungen und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) bestimmt wird.
Die jüngsten Ereignisse in Europa haben wenig dazu beigetragen, uns von diesem Glauben abzubringen.
Die Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, als Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union (CDU) zurückzutreten, hat aus unserer Sicht potenziell erhebliche Auswirkungen auf die politische und geldpolitische Lage in Europa.
Eine neue Richtung für Deutschland?
Die Reaktion der Märkte auf die Meldung ist bislang eher gedämpft ausgefallen. Die aktuelle Amtszeit Merkels als Kanzlerin läuft noch bis 2021, und sie erklärt, diese auch zu Ende bringen zu wollen. Viele Beobachter, darunter auch wir, bezweifeln jedoch, ob dies wirklich machbar sein wird. Wir sind der Ansicht, dass sich die Folgen dieser Entwicklung schon in Kürze abzeichnen könnten.
Das Augenmerk hat sich schnell darauf verlagert, wer an die Spitze der CDU nachrücken wird und wie er oder sie die politische Entwicklung in Deutschland verändern könnte.
Die Wahl zur Nachfolge von Frau Merkel als CDU-Vorsitzende findet im Dezember statt, aber bereits heute haben mehrere – teils mehr, teils weniger bekannte – Parteimitglieder ihre Kandidatur angekündigt.
Wir fragen uns, wie lange ein neu gewählter CDU-Vorsitzender wohl bereit wäre, Frau Merkel als amtierende Kanzlerin zu unterstützen. Somit würde es uns nicht überraschen, wenn Sie ihr Amt schon vor 2021 niederlegen würde.
In Deutschland sehen wir – genau wie in mehreren anderen Ländern auch – eine zunehmende politische Aufspaltung. Die Wähler verlassen die traditionellen Parteien der Mitte und wenden sich vermehrt den extremeren Gruppierungen am rechten und linken Rand des politischen Spektrums zu. Dies dürfte auch die Richtung beeinflussen, die der Nachfolger von Frau Merkel einschlägt.
Veränderte Einstellung gegenüber der EU
Zwei Grundkonzepte, die die Politik Merkels geprägt haben, waren ihre Unterstützung von Immigration sowie ihre Befürwortung einer Integration mit Europa. Meinungsumfragen und die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen deuten jedoch darauf hin, dass diese Ansichten bei deutschen Wählern nicht allzu gut ankommen.
Daher vermuten wir, dass ihr Nachfolger bezüglich einer weiteren europäischen Integration weniger enthusiastisch sein dürfte als es Frau Merkel bislang war. Das bedeutet nicht, dass wir mit einer europafeindlichen politischen Spitze in Deutschland rechnen. Aber vielleicht ist die neue Führung nicht ganz so europafreundlich wie es die jüngsten Regierungen gewesen sind. Diese mögliche Änderung der Haltung hat vor allem Auswirkungen auf die Möglichkeit eines Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union (EU) und Großbritannien im Nachgang des Brexit.
Aufgrund seiner starken Exportorientierung ist Deutschland eines der Länder, die am stärksten vom Brexit betroffen sein dürften. Daher würde man erwarten, dass sich Deutschland für eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU einsetzt.
Die Fähigkeit Deutschlands, andere Länder zu beeinflussen, könnte durch die verminderte Rolle von Frau Merkel jedoch geschwächt werden.
Seit Jahren wird Frau Merkel de facto als die politische Anführerin Europas gesehen, die eine klare Richtung vorgibt. Wenn ihre Position geschwächt wird und niemand anderes mit klarem Führungsanspruch an ihre Stelle tritt, könnte es schwieriger werden, innerhalb des Wirtschaftsblocks eine Einigung zu erzielen. Der französische Präsident Emmanuel Macron arbeitet daran, sich in einer paneuropäischen Führungsrolle zu etablieren, hat jedoch noch ein gutes Stück Weg vor sich.
Wir gehen auch weiterhin davon aus, dass es im Nachgang des Brexit ein Abkommen zwischen Großbritannien und der EU geben wird, erkennen jedoch auch, dass die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Szenarios inzwischen deutlich höher ist als vor der Ankündigung Merkels.
Mögliche Auswirkungen auf die Geldpolitik
Unterdessen könnte das politischen Schicksal Frau Merkels auch indirekte Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Geldpolitik innerhalb der Eurozone haben.
Die Amtszeit des aktuellen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi läuft Ende nächsten Jahres aus, und es wird bereits heute darüber spekuliert, wer seine Nachfolge antreten könnte.
Einer der am häufigsten gehandelten Kandidaten ist der Vorsitzende der Bundesbank Jens Weidmann. Seine Aussichten auf den Spitzenposten waren allerdings gesunken, nachdem gemeldet worden war, dass Frau Merkel seine Kandidatur nicht unterstützen werde. Eine Änderung in der politischen Führungsriege in Berlin könnte die Aussichten für Weidmann nun wieder verbessern.
Wir rechnen nicht mit einer dramatischen Richtungsänderung der EZB, ganz gleich wer als nächstes ihren Vorsitz übernimmt. Wir gehen jedoch davon aus, dass der nächste Präsident versuchen dürfte, der Rolle seinen eigenen Stempel aufzudrücken.
Angesichts des ordentlichen Wachstums und der niedrigen Inflation in der Eurozone rechnen wir damit, dass die Geldpolitik der Region auch weiterhin locker bleiben wird. Wie locker sie genau bleibt, könnte sich jedoch durchaus ändern.
Abwartemodus
Die jüngsten regionalen Wahlergebnisse der Parteien, die die Koalitionsregierung in Deutschland bilden, haben deutlich gemacht, dass eine politische Richtungsänderung in Berlin erforderlich ist. Das dürfte aus unserer Sicht wohl der Grund sein, warum die Ankündigung Merkels keine höheren Wellen geschlagen hat.
Während sich die Lage in den kommenden Monaten jedoch weiterentwickelt, rechnen wir mit sehr viel deutlicheren Konsequenzen. Ob diese letztlich positiv oder negativ ausfallen, wird von der Sichtweise der neuen Regierung abhängen.