Die Märkte sind abhängig vom Stimulus-Tropf der EZB. Bisher sorgten deren massive Ankaufsprogramme sowie die Zinspolitik für Stabilität; die Inflation in der Eurozone war unter Kontrolle. Aber sollte es als Maßnahme zur Abwendung einer drohenden Deflation zu einer Reflation kommen, könnten wir ein noch schlimmeres Szenario erleben, als beim sogenannten Taper Tantrum 2013. Damals kündigte die US-Notenbank im Rahmen ihres Bilanzabbaus das Ende ihrer Anleihenkäufe an und sorgte so für einen starken Anstieg der Renditen von US-Staatsanleihen.
EZB-Einschätzung essenziell für Performance
Aktuell beschäftigt die Debatte um Wachstum, Inflation und ein allmähliches Nachlassen der Stimulierungsmaßnahmen die Märkte. In dem Maße, in dem sich die europäischen Volkswirtschaften erholen und das Wachstum anzieht, muss man aufpassen, ob dies zu einem Anziehen der Inflation führt oder nicht – und wenn ja, ob dies vorübergehender Natur ist (oder nicht). Je nachdem, wie die Antworten auf diese Fragen aus Sicht der EZB ausfallen, wird das ihre Politik prägen. Die Entwicklung der Volatilität und die Chancen an den europäischen Anleihemärkten für den Rest dieses Jahres hängen davon ab, wie hier entschieden wird.
Langsames Ende der neuen Normalität in Sicht
Wir sind sicher, dass die Zentralbank bei jeder Rücknahme der Stimulierungsmaßnahmen bzw. bereits bei jeder Ankündigung sehr vorsichtig vorgehen wird. Es bleibt jedoch die Tatsache, dass die Bewertungen von Anleihen im Moment stark von den Stützungsmaßnahmen beeinflusst sind. Daher wird jede signifikante Änderung dieses Pakets wahrscheinlich zu Marktvolatilität führen. Wir haben in den letzten fünf Jahren der expansiven Geldpolitik der EZB gesehen, dass die Spreads von Unternehmensanleihen stark mit dem Umfang der sogenannten quantitativen Lockerung korrelieren, wahrscheinlich stärker als mit dem Umfang der Käufe. Daher kann jede Änderung in diesem Zusammenhang die Spreads kurz- bis mittelfristig beeinflussen. Die Markterwartung ist derzeit, dass die allmähliche Rückführung der Lockerungen irgendwann im Jahr 2022 beginnen wird. Wir haben keinen Grund, dieser Erwartung nicht zuzustimmen. Allerdings hängt alles von der Entwicklung und der voraussichtlichen Dauer der Inflation ab.
Titelauswahl: Selektion & Blick auf das Detail wichtiger denn je
Die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen auf der Ebene ganzer Sektoren sind im Moment recht gestaucht. Daher gibt es mit Blick auf einzelne Sektoren nur wenige Chancen, es sei denn, die Anleger sind bereit, Risiken einzugehen, für die sie am Ende vielleicht nicht entschädigt werden. Bei Einzeltiteln sieht die Sache schon anders aus: Hier sehen wir ganz klare Investmentmöglichkeiten. Starke Namen zu finden ist essenziell, weil die Märkte enger werden und die Preisgestaltung damit aggressiver. Zwei gute Beispiele dafür kommen mit Rolls Royce oder Ford aus der Gruppe von Marken, die im vergangenen Jahr aus der Liga der Qualitätspapiere herabgestuft worden sind und darum auch als Fallen Angels bezeichnet werden. Oder General Electric: Diese Anleihe wird unserer Meinung nach aufgrund ihrer Komplexität vom Markt missverstanden, kann aber durchaus interessant sein. Anleger sollten allerdings bedenken, dass es bei den meisten dieser Gelegenheiten derzeit wirklich nur um Nuancen geht. Sie müssen daher äußerst sorgfältig in ein Portfolio eingebaut werden, um eventuelle Risiken abzusichern.
Gaurav Chatley, Manager des M&G European Credit Investment Fund, M&G Investments