Wie kann man die Inflation überwinden? Und wo soll man investieren? Diese Fragen mussten sich Investoren stellen, als die Verbraucherpreise ab 2021 immer schneller stiegen. Damals herrschte das Narrativ des „perfekten Portfolios“ vor. Es lautete etwa so: Mit einer Mischung aus Gold, Immobilien, indexierten Anleihen und Aktien lassen sich Krisen überstehen. Als Beweis wurde auf die Geschichte und den Präzedenzfall der 1970er Jahre verwiesen. Doch im letzten Jahr konnte diese bewährte Strategie die Erwartungen nicht mehr erfüllen.
Das Jahr 2022 zeigte, dass es keine „allgemeingültige“, goldene Anlageregel für einen bestimmten Kontext gibt. Alles hängt von den zusätzlichen Risiken, den Bewertungen, den Erwartungen, dem Verhalten sowie von der genauen Art der Inflation und ihrer Auswirkungen ab.
Analyse der jeweiligen Situation
Unser flexibler Investmentansatz kann seit über 30 Jahren durch die Analyse jeder Situation einen Mehrwert bieten. Ende der 1990er Jahre haben wir unsere Managementphilosophie auf Basis der verhaltensorientierten Finanztheorie („Behavioral Finance“) entwickelt. Durch entsprechende Analysen erkennen wir potenzielle „Bias-Effekte“, also systematische Verzerrungen im Verhalten der Anleger. Die gewonnenen Erkenntnisse setzen wir mit einem dynamischen, taktisch orientierten Ansatz für alle Anlageklassen um.
Niemand kann in eine Kristallkugel blicken, um in die Zukunft zu sehen. Daher ist es schwierig, Veränderungen besser als der Markt vorherzusehen: sei es in der Wirtschaft, in Statistiken oder bei Unternehmensgewinnen. Unser Ansatz ist daher eher reaktiv als vorausschauend. In volatilen Zeiten versuchen wir, Fundamentaldaten von Verhalten und Rationalität von Irrationalität zu unterscheiden.
Übertriebene Verhaltensweisen erkennen
Eine Marktepisode ist eine Phase, in der Menschen Kauf- oder Verkaufspositionen eröffnen. Doch ist ihre Einschätzung des Risikos immer gut begründet? Unsere Analysemethode hat uns geholfen, übertriebene Verhaltensweisen zu erkennen.
Wir können uns Vorurteile zunutze machen: ob sie einfach übertrieben, erfahrungsbasiert oder fundiert sind. Das eingangs erwähnte falsch-positive Beispiel – also das als krisensicher angesehene Anlageportfolio – illustriert solche fundierten Verzerrungen. Diesen liegt eine begrenzte Stichprobe von Ereignissen oder, allgemeiner gesagt, von Elementen zugrunde, die das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Ein solcher kognitiver „Bias“ kann zu übereilten und undifferenzierten Entscheidungen führen.
Eine „Marktepisode“ kann in Phasen relativ stabiler makroökonomischer Fundamentaldaten rasche Preisbewegungen bewirken. Manchmal sehen wir jedoch auch „umgekehrte Marktepisoden“: Die makroökonomischen Fundamentaldaten ändern sich, doch die Vermögenspreise reagieren kaum oder gar nicht. Dies ließ sich Ende 2021 beobachten: Die Inflation stieg, doch die Anleiherenditen bewegten sich kaum. Und Zentralbanken wie die US-Notenbank planten Zinserhöhungen nicht vor 2023-2024!
Auf diese Beobachtung haben wir noch vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine reagiert. Wir haben den Liquiditätsanteil in unseren Portfolios erhöht und sind besonders bei Anleihen sehr vorsichtig geworden. Höhere Cash-Positionen in inflationären Zeiten? Das hat uns zunächst einmal Kritik eingebracht. Doch die folgenden Monate haben uns Recht gegeben.
Wenn beunruhigende Ereignisse eintreten
Wenn die Schlagzeilen von beunruhigenden Ereignissen beherrscht werden, sind übertriebene Veränderungen von Preisen oder Erwartungen nicht ungewöhnlich. Im Laufe des Jahres 2022 etwa setzte sich bei den Anlegern die Erkenntnis durch, dass die Inflation wirklich zurück war. Doch dies schlug bald in eine Überkorrektur um. Nach der Abkehr von der Nullzinspolitik und einer Reihe hoher Inflationszahlen wussten Investoren nicht mehr, zu welchem neuen Leitzins dies führen könnte: 4%? 5%? 6%? Oder gar 7%? Dies bewirkte erhebliche Kursbewegungen bei Staatsanleihen und eine Art Panik im September/Oktober 2022.
In dieser Phase beschlossen wir, Anleihen zu erwerben – auch wenn wir keineswegs sicher waren, wie sich die Inflation entwickeln würde.
Bei Wirtschaftsprognosen neigen wir stets zur Vorsicht, auch in unserer eigenen Denkweise. Wir sind der Ansicht, dass die kollektive Intelligenz des Marktes meistens der individuellen Intelligenz überlegen ist.
Unsere eigenen „Bias-Effekte“
Wir beobachten stets auch unser eigenes Verhalten. Wir fragen uns, ob die meisten Investoren unsere Interpretationen oder Befürchtungen teilen. Wir versuchen, unsere eigenen „natürlichen“ Denkmuster zu hinterfragen. Wir nutzen unsere eigenen Zweifel, anstatt uns von ihnen verunsichern zu lassen.
In unseren Team-Meetings können wir unsere Ängste zum Ausdruck bringen. Wir können feststellen, ob diese Ängste vorübergehender oder struktureller Natur sind und wir können unsere eigenen Vorurteile erkennen. Möchten wir einen (Ver-)Kauf aus einem Wunsch heraus erteilen? Wegen einer Emotion, einer Wahrnehmung oder einem Handlungsmuster? Beispielsweise aus Angst etwas zu verpassen? Solche Überlegungen sind nicht ganz einfach. Doch sie sind in einer Managementphilosophie verwurzelt, die sich in vielen Krisen und Marktereignissen bewährt hat.
Von Christophe Machu, Director Europe Diversified Management bei M&G