Dieser Optimismus beruht auf einer Art Selbsthilfe. Der Unternehmenssektor nutzt die derzeit niedrigen Zinsen, um seine Margen zu erhöhen und um Strukturen und Strategien zu optimieren. Uns gefällt diese Selbsthilfe-Story, weil sie keinen starken makroökonomischen Rückenwind erfordert. Aber: In der Tat könnte es zusätzlich einen makroökonomischen Push geben, der die positive Entwicklung weiter vorantreibt. Die Lohndynamik in Japan ändert sich gerade deutlich. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die inländische Wirtschaft in den kommenden Jahren ein Binnenwachstum verzeichnen wird, wenn der Konsum aufgrund höherer Löhne anzieht. Dies scheinen die meisten Anleger und Anlegerinnen aber nicht im Blick zu haben.
Endlich Lohnerhöhungen
Die japanischen Gewerkschaften haben in der diesjährigen Verhandlungsrunde erhebliche Lohnerhöhungen durchgesetzt. Die durchschnittliche Steigerung liegt wohl bei etwa 4 % und damit über den Markterwartungen. Der Arbeitskräftemangel treibt die Löhne in vielen Wirtschaftszweigen nach oben, und zwar sowohl für qualifizierte als auch für ungelernte Arbeitnehmer sowie für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte. Die Arbeitslosenquote dürfte sich wieder auf das Niveau vom Anfang der 90er Jahre – in etwa 2 % – hinbewegen, während die Zahl der neu zu besetzenden Stellen weiter in Richtung der Höchststände vor Corona klettert. Regelmäßige Lohnsteigerungen von 3 bis 5 % in den nächsten Jahren scheinen immer wahrscheinlicher. Verglichen mit dem Wachstum der Nettoeinkünfte in den beiden vorangegangenen Jahrzehnten, das fast bei null lag, ist dies eine erhebliche Veränderung. Zwei wichtige Fragen drängen sich nun auf: Wird dies zu einem höheren Konsum führen, und werden die Gewinnspannen der Unternehmen darunter leiden?
An der Konsumfront entspricht die Lohnrunde von 4 % zwar in etwa der aktuellen Gesamtinflationsrate. Doch lassen sinkende Energiepreise und ein etwas stärkerer Yen darauf schließen, dass der Verbraucherpreisindex 2023 durchschnittlich um die 2 % tendieren wird. In Kombination mit der Wiederbelebung der Wirtschaft kann man sich leicht vorstellen, dass der Anstieg der Realeinkommen hilfreich ist und das Wachstum der Binnennachfrage über die aktuellen Erwartungen hinaus antreibt.
Was die Gewinnspannen angeht, sollten höhere Löhne bei sonst gleichen Bedingungen die Margen eigentlich drücken. Dies setzt jedoch voraus, dass sich die Produktivität nicht ändert. Aber aktuell gibt es erhebliche Produktivitätssteigerungen, zumindest im Bereich der börsennotierten Unternehmen. Außerdem würde es auch voraussetzen, dass die Produktpreise nicht erhöht werden, um die steigenden Inputkosten auszugleichen, was aber ebenfalls passiert.
Während die Volkswirtschaften in anderen Ländern versuchen, die Dynamik der Lohn-Preis-Spirale einzudämmen, wird sie in Japan generell gefördert. Höhere Reallöhne, eine höhere Produktivität, ein höheres reales Wachstum, eine leicht positive Inflation und ein höheres nominales Wachstum können einfach mit flachen oder sogar steigenden Margen erreicht werden. Eine positive Rückkopplung zwischen Preisen und Löhnen ist in Japan also durchaus denkbar. Deshalb meinen wir, dass die bereits überzeugenden Aussichten für das Wachstum der Börsengewinne einen weiteren erheblichen Rückenwind erhalten könnten.
Carl Vine, Fondsmanager des M&G (Lux) Japan Fund und des M&G (Lux) Japan Smaller Companies Fund