India Equities: Fragerunde mit dem Fondsmanager

First Sentier Investors | 24.06.2024 13:53 Uhr

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Was finden Sie spannend bezüglich Indien?

Shivika: Wir fanden Indien schon immer spannend. Wir haben vor 30 Jahren mit dem Investieren in Indien begonnen, sodass wir dieses Jahr unser 30. Jubiläum feiern. Wir haben stets gute Möglichkeiten in diesem Markt gefunden, und zwar unabhängig davon, ob er in der Gunst stand oder beliebt war.

Vinay: In den vergangenen 20 Jahren hat sich in Indien vieles hinsichtlich der Größe des Marktes, der Anzahl der verfügbaren Unternehmen und der Menge institutioneller und ausländischer Beteiligungen verändert. Ich kann mich erinnern, dass ich zu Beginn meiner Karriere eine Präsentation gemacht habe und über Unternehmen mit mehr als 1% ausländischer Anteilseigner in Indien gesprochen habe. Damals lag ihre Anzahl bei ungefähr 70, aber heutzutage ist sie mindestens 10 Mal höher.

Shivika: Die Anzahl der von uns betrachteten Unternehmen ist mit der Zeit größer geworden, da mehr Unternehmen an die Börse gehen und größer werden. Manchmal wurden sehr kleine, vielleicht familiengeführte Unternehmen nicht optimal geführt. Dann kam die nächste Generation, bisweilen mit einer im Westen absolvierten Ausbildung, die wusste, wie man ein börsennotiertes Unternehmen führt und Wertschöpfung für die Anteilseigner generiert. All das bedeutet, dass der Pool investierbarer Unternehmen für uns von Jahr zu Jahr größer wird.

Es gibt für praktisch alle Kategorien ein hohes Wachstumspotenzial. So werden beispielsweise 7 Millionen Klimaanlagen pro Jahr für eine Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen im Vergleich zu 70 Millionen Klimaanlagen in China mit einer Bevölkerung ähnlicher Größe verkauft.1 Fast alle Kategorien, die wir uns angeschaut haben, waren kapitalarm. Daher werden alle diese Kategorien auf einem bestimmten Niveau der Entwicklung Indiens beginnen, um ein Vielfaches zu wachsen.

Sree: Die Governance-Standards in Indien und die Qualität der Unternehmen haben sich kontinuierlich verbessert. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die regulatorischen Standards für Aspekte, wie der Schutz von Minderheitsaktionären, erheblich höher sind als die anderer Märkte. Ebenso sind Bereiche rund um die Qualität der Vorstände in Indien stark reguliert, wie zum Beispiel die Mindestanzahl unabhängiger Direktoren, die Vielfalt des Vorstands, die Amtszeit der verschiedenen Vorstandsmitglieder und die Amtsdauer des Prüfers.

Der Wachstumspfad ist weiterhin lang

Fahrzeuge je 1.000 Menschen 

Verbreitung von Klimaanlagen (% der Haushalte)

Jährliche Pro-Kopf-Ausgaben für Mundpflegeprodukte (USD/Kopf)

Privatkredit zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) (%)

Wie haben sich die Anlagethemen im Laufe der Jahre entwickelt?

Vinay: Vor 20 Jahren war es sehr leicht, eine Unterversorgung in jeder Verbraucherkategorie zu finden. Ob Seife, Reinigungsmittel oder Shampoo – der Pro-Kopf-Verbrauch war in allen Verbraucherkategorien sehr gering. Die Unternehmen waren Marktführer, die riesige Erlöse und hohe Kapitalrenditen generierten und signifikante Wallgräben um sich errichteten. Dieses Versorgungsthema hat sich jedoch für die meisten Kategorien weitgehend erledigt, da die Einkommen gestiegen sind. Ab jetzt wird es eher um Premiumisierung gehen.

Sree: Im Bereich der Finanzprodukte wanderte zuvor ein Großteil der Ersparnisse in Bankguthaben. Jetzt möchten die Menschen in Versicherungsprodukte investieren. Es gibt mehr Vermögensverwaltung und Direktbeteiligung an den Aktienmärkten. Mit anderen Worten, die Menschen bewegen sich von grundlegenden Bankeinlagen zu freieren Finanzprodukten. Wir können in fast allen von uns adressierten Konsumkategorien beobachten, dass die Menschen ihr Konsumverhalten ändern, was sich über das kommende Jahrzehnt hinweg fortsetzen wird.

Vinay: Ich glaube, dass sich in den kommenden 20 Jahren auch der Fertigungsbereich zu einem wichtigen Teil der Wirtschaft und unseres Anlageuniversums entwickeln wird. So sind wir beispielsweise in ein Unternehmen für Klimaanlagen investiert, das derzeit die meisten Bauteile importiert, sie dann montiert und schließlich die Produkte verkauft. Man stellt nicht viel selbst her. Aufgrund des schnellen Wachstums investiert das Unternehmen mehr in die Entwicklung seiner Fertigungskapazitäten. Wenn diese Fertigungsbasis wächst, wird dies angesichts des großen inländischen Marktes das Fertigungsniveau solcher Unternehmen steigern. Und dadurch werden sich die Vorteile der Skalierung für sie auszuzahlen beginnen. Und dann können sie nach Exportmöglichkeiten Ausschau halten.

Ebenfalls günstig ausgewirkt hat sich die Tatsache, dass globale multinationale Unternehmen ihre Versorgungskette von China unabhängiger machen möchten, wobei Indien zu einer Alternative geworden ist. Die indische Regierung hat zudem Maßnahmen ergriffen, um mehr Anreize für eine Produktion in Indien zu setzen, weshalb ich davon ausgehe, dass es in diesem Bereich mehr Möglichkeiten geben wird.

Wie schätzen Sie Indien im Vergleich zu China ein?

Vinay: Ich denke, dass Indien an sich ein sehr gutes Investitionsziel war, wenn man diesem Markt Aufmerksamkeit geschenkt hat. Über die vergangenen 10, 20 oder 30 Jahre hinweg haben die Unternehmen in Indien eine signifikante Wertschöpfung für die Anteilseigner erzielt. Es ist schade, dass man dies nicht bemerkt hat und diesbezüglich hauptsächlich den Vergleich zu China zieht.

Der Bombay Stock Exchange ist der älteste Aktienmarkt in Asien und zudem einer der ältesten weltweit. Die Kultur des Aktienbesitzes ist in Indien viel stärker verwurzelt. Die Unternehmen verstehen, was es bedeutet, börsennotiert zu sein, wohingegen dies in China relativ betrachtet ein neueres Konzept darstellt. Die meisten Unternehmen in China waren bisher in staatlichem Besitz, und erst in den letzten 10–15 Jahren konnten einige davon durch Reformen für Staatsunternehmen (State-Owned Enterprises, SOEs) privatisiert werden. Doch gleichwohl bestanden die Gründungsteams in diesen Unternehmen bei ihrer Bildung tatsächlich aus SOE-Mitarbeitern. Es besteht also eine anhaltende SOE-Kultur, deren Wandel einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Im Gegensatz zu China gibt es in Indien zahlreiche private Unternehmen, aus denen man auswählen kann. Es liegt einfach an der Art der Entwicklung der beiden Märkte.

Wir mögen Familienunternehmen, weil sie über Generationen hinweg planen. Sie denken sehr langfristig im Gegensatz zu vollständig professionell geführten Unternehmen, bei denen man oftmals nur für die nächsten 3–5 Jahre plant. In vielen Fällen werden jene zu Selbstbereicherungsprojekten ohne verantwortungsvolle Verwalter und ohne Beaufsichtigung großer Anteilseigner.

Es gibt in Indien zahlreiche Familien, die ihre Unternehmen seit vielen Jahren führen, bisweilen in der dritten oder sogar vierten, fünften und sechsten Generation. Anhand derartiger Erfolgsbilanzen zeigt sich, wie sie im Laufe der Zeit agiert und sich entwickelt haben, welche Entscheidungen sie insbesondere in schwierigen Zeiten getroffen haben und ob sie Stakeholder benachteiligt haben, als sie wuchsen.

In China hingegen gibt es nur wenige Unternehmen, die derart lange Erfolgsbilanzen vorweisen können.  Das macht die Bewertung ihrer Qualität schwierig für uns, da wir so viel Augenmerk auf die Geschichte und Entwicklung von Unternehmen sowie auf ihr Verhalten in der Vergangenheit legen.

Außerdem war die Entwicklung in China in den vergangenen 20–30 Jahren zwar gut, aber da es in dieser relativ kurzen Zeitspanne für diese Unternehmen nur aufwärts ging, wurden sie nicht wirklich auf die Probe gestellt. Indien durchläuft dagegen jedes Jahr seine Zyklen. Und die indischen Unternehmen agieren in 30 verschiedenen Staaten mit unterschiedlichen Staatsregierungen, sodass sie sich durch die vielfältigen Interessen in verschiedene Richtungen entwickeln. Meine Einschätzung ist, dass dies die indischen Unternehmen und die Managementteams sehr resilient bezüglich des Führens der Unternehmen in schwierigen Zeiten macht, die offenbar alle sechs Monate wiederkehren.

Sree: Was in Indien unverändert geblieben ist, ist das Bewusstsein der Unternehmenseigner bezüglich des Erzielens hoher Kapitalrenditen. Dies stand für die indischen Eigentümer stets im Mittelpunkt, denn in Indien war das Kapital traditionell eingeschränkt. Daher blieben dieses Bewusstsein und diese DNA für das Ziel, hohe Kapitalrenditen zu erreichen, selbst dann erhalten, als die Zinssätze in Indien mit der Zeit sanken und die Kapitalkosten sich abgeschwächt haben.

Vinay: Dies war in China weitgehend nicht der Fall. Es gibt viele Unternehmen, denen die Kapitalrendite wichtig ist. Aber aufgrund der staatlich geleiteten Wirtschaft spielte die Verfügbarkeit von Kapital keine große Rolle, wenn der Staat beschloss, Projekte für Straßen, Infrastruktur oder erneuerbare Energien zu realisieren. Somit war das Bewusstsein für Kapitalrendite im Schnitt geringer, wenn man die beiden Märkte vergleicht.

Wir als Team finden mehr Unternehmen in Indien, die wir für investierbar halten – in Privatbesitz, auf Kapitalrendite fokussiert, mit signifikantem Wachstumspotenzial in der Zukunft und guter Führung. Und weil sie heutzutage in Indien kleiner sind als in China, haben solche Unternehmen in Indien einen größeren Entwicklungsspielraum. Aus diesem Grund war Indien meiner Meinung nach immer ein gutes Investitionsziel, nicht nur weil China eine schwere Phase durchmacht.

Welche Risiken haben Sie im Auge, wenn Sie in Indien investieren?

Shivika: Die indische Währung wird häufig abgewertet, was in den kommenden Jahren wahrscheinlich weiterhin der Fall sein wird. Wir glauben, dass gute Unternehmen über die nötige Preissetzungsmacht verfügen, um diese Währungsabwertung zu überwinden. Die indische Rupie hat zwar in den vergangenen 30 bis 40 Jahren eine Abwertung von 70 bis 80 Prozent erfahren, aber diese Unternehmen haben trotzdem Erträge generiert, attraktive Kapitalrenditen erzielt und ihre Marktführerschaft im Laufe der Zeit gefestigt. Demzufolge macht die Preissetzungsmacht einen riesigen Unterschied, wenn wir versuchen, investierbare Unternehmen zu finden.

Hinsichtlich der Politik hatte Indien mit der Zeit viele verschiedene Regierungen, die zwischen zwei Wochen und mehr als 10 Jahren im Amt waren. Ungeachtet aller politischen Komplexitäten ist das Land weiterhin funktionsfähig. Die qualitativ hochwertigen Unternehmen erzielen eine gute Performance trotz der Politik – nicht dank ihr.

Sree: Erstens wird Indien viele Ressourcen benötigen, wenn es mit der gewünschten Geschwindigkeit wachsen möchte. Leider wird Indien angesichts der heutigen Situation in der Welt und seiner Größe es sich nicht leisten können, die Ressourcen mit derselben Intensität zu verbrauchen, wie es andere in der Vergangenheit getan haben. Daher müssen wir effizientere Wege für Wachstum und diesbezügliche Innovation als Gesellschaft finden. Alle müssen zusammenkommen, damit das erreicht werden kann. Wenn man sich die Liste der Städte mit der größten Verschmutzung anschaut, belegen indische Städte recht hohe Ränge. Wir machen uns darüber Sorgen, weil es das Wachstum beschränken könnte. Wenn diese Städte beispielsweise eine hohe Verschmutzung aufweisen, wird es für die dort agierenden Unternehmen unmöglich, die besten Talente anzuziehen.

Und schließlich ist auch die Wirtschaftskonzentration zu berücksichtigen. Uns gefällt zwar, dass Indien über einen Markt mit derartiger Breite und Tiefe zum Investieren verfügt. Aber wir haben in den vergangenen Jahren einige Gruppen beobachtet, die im Laufe der Zeit einen größeren Teil der Wirtschaft und des Anlageuniversums angesammelt haben. Wenn diese Unternehmen aufgrund ihrer Größe beginnen, den Wettbewerb über viele Branchen hinweg zu unterdrücken, könnte der Investitionsmarkt an Tiefe und Breite verlieren. Diese Unternehmen könnten denken, dass sie systemrelevant sind. Und unterdessen könnte die Wirtschaft zu sehr unter wenigen Unternehmen oder Familien konzentriert werden. 

Was machen wir anders als die Kollegen?

Shivika: Wir verfolgen in unserem Team einen Bottom-up-Ansatz, mit dem wir versuchen, gute Unternehmen zu finden, die von guten Leuten geführt werden. Unser Prozess umfasst viele Debatten und Gespräche, in denen alle Mitglieder unseres Teams zu verstehen versuchen, was schief gehen kann, und diesbezüglich einander hinterfragen.

Sree: Unser Zeithorizont ist tendenziell viel länger.  Wir betrachten bei einem Unternehmen normalerweise einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren – und oft noch viel länger. Die meisten unserer zentralen indischen Bestände in unseren Portfolios dauern bereits über ein Jahrzehnt an.

Durch unsere langfristige Perspektive verschwenden wir keine Zeit mit dem Prognostizieren kurzfristiger Zahlen, wie dem Gewinn je Aktie (Earnings per Share, EPS) des nächsten Quartals oder Jahres. Wir nutzen unsere Zeit zum Identifizieren der richtigen Leute, die wir unterstützen möchten – wer sind die richtigen Familien oder die richtigen Managementteams, wer kann langfristig erfolgreiche Unternehmen aufbauen, und werden wir als Minderheitsaktionäre auf einer Wellenlänge mit ihnen liegen?

Wenn wir uns an Unternehmen beteiligen möchten, müssen diese nicht notwendigerweise mit uns einverstanden sein. Stattdessen versuchen wir, zu eruieren, ob sie der Beteiligung eines Stakeholders offen oder ablehnend gegenüber stehen. Anhand dieser Reaktion können wir erkennen, wie man nicht nur uns, sondern auch andere Minderheits-Stakeholder behandeln würde, sei es ihre Vertriebshändler, ihre Lieferanten, ihre Mitarbeiter oder die Gemeinschaft, in der sie tätig sind.

Wir reisen jedes Jahr sechs bis sieben Mal nach Indien, also alle ein bis zwei Monate. Auf diesen Reisen interagieren wir nicht nur mit den Managementteams, sondern führen auch 360-Grad-Prüfungen bei ihnen durch. Wir treffen uns mit ihren Wettbewerbern, ihren Lieferanten und ihren Vertriebshändlern, um Reputationsprüfungen zu absolvieren. Wenn wir einen Lieferanten fragen, ob er von dem Unternehmen pünktlich bezahlt wird, können wir uns ein besseres Bild von der Finanzqualität des Unternehmens machen als wenn wir uns lediglich Zahlen auf einem Bloomberg-Bildschirm anschauen. Und wenn wir einen Wettbewerber fragen, wen er in der Branche am meisten respektiert, erlangen wir oftmals eine Vorstellung davon, welche Managementteams er als gut einschätzt, und erfahren dadurch, wen wir uns ebenfalls anschauen sollten. Diese channel checks helfen uns dabei, die Menschen hinter dem Unternehmen besser kennenzulernen.

Vinay: Risiko bedeutet für uns, Geld zu verlieren, und nicht die Erwartungen bei einer willkürlichen Zusammenstellung von Unternehmen zu verfehlen. Das hilft uns bei der Bewahrung unserer Philosophie und unseres Prozesses. Und uns ist klar, was wir unter keinen Umständen tun werden.

Quelle: Unternehmensdaten aus den Jahresberichten der Unternehmen oder anderen entsprechenden Investorenberichten. Finanzkennzahlen und Bewertungen stammen von FactSet und Bloomberg. Stand 22. Mai 2024, sofern nichts anderes angegeben ist.

Quelle: Jefferies und Euromonitor, ab Geschäftsjahr 2023

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