Vom Verbot der Interessenvertretung von Arbeitnehmern über Zwangsabgaben und -darlehen bis hin zur Einbehaltung von Ausweisdokumenten, Menschenhandel und lebensbedrohlichen Arbeitsbedingungen – moderne Sklaverei hat viele dunkle Facetten. Selbst 75 Jahre nach der Verabschiedung der UN-Konvention zur Bekämpfung von Menschenhandel und Ausbeutung am 2. Dezember 1949 ist Sklaverei nach wie vor weit verbreitet.
Schätzungen zufolge waren 2021 über 27 Millionen Menschen in Zwangsarbeit gefangen, darunter über 3 Millionen Kinder. Die jährlich erzielten Profite aus diesen Ausbeutungsverhältnissen stiegen 2024 auf 236 Milliarden US-Dollar1. Ausbeutung und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen sind millionenfach in globale Lieferketten eingebettet und finden meist in Entwicklungs- und Schwellenländern statt. Doch die Verantwortung liegt auch bei Unternehmen und Investoren im globalen Norden – darunter deutsche Firmen, die die Situation durch strikte Preisvorgaben und knappe Lieferfristen verschärfen. Zur Bekämpfung dieser Missstände haben viele Staaten weltweit Gesetze und Vorschriften erlassen, die auf die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards abzielen. In Deutschland regelt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz seit 1. Januar 2024 die Verantwortung der Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten und hat aufgrund des bürokratischen Aufwands immer wieder für öffentliche Debatten gesorgt.
Risiken für Unternehmen und Investoren
Spätestens seit in Großbritannien 2015 der Modern Slavery Act in Kraft getreten ist, der Unternehmen dazu verpflichtet, über entsprechende Vorfälle in ihrer Wertschöpfungs- und Lieferkette zu berichten, hat das Thema auch für Investoren Relevanz bekommen. „Es wächst das Bewusstsein, dass keine Investition vor den Risiken der modernen Sklaverei gefeit ist. Es gibt jedoch nur begrenzte Erkenntnisse darüber, wie Investoren mit diesen Risiken umgehen sollten und welche Rolle sie dabei spielen können, denjenigen, die Opfer moderner Sklaverei geworden sind, Zugang zu Abhilfemaßnahmen zu verschaffen oder zu erleichtern“, sagt Serena Grant, Direktorin für Wirtschaft und Menschenrechte bei der internationalen Menschenrechtsgruppe Walk Free. Zusammen mit dem First Sentier MUFG Sustainable Investment Institute hat sich die Nichtregierungsorganisation daher in einem aktuellen Report „Modern Slavery & Remediation – An Investor's Guide“, explizit dem Thema gewidmet.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Investoren
Der Report bietet einen Überblick über den internationalen Rechtsrahmen und nationale Gesetzgebungen und präsentiert konkrete Empfehlungen, wie Investoren Unternehmen präventiv bei der Aufdeckung von Verdachtsfällen und der Aufarbeitung unterstützen können. „Unternehmen haben viele Möglichkeiten, Abhilfe zu schaffen. Investoren können diese Bemühungen verstärken. Unternehmen und Investoren sollten zunehmend gemeinsam danach streben, die Auswirkungen von moderner Sklaverei in der Lieferkette zu mildern, zu verhindern und wiedergutzumachen“, erklärt Kate Turner, Global Head of Responsible Investment bei First Sentier Investors. Bei First Sentier zeigten diese Bemühungen bereits erste Erfolge: Der Anteil der Portfoliounternehmen, die regelmäßige Schulungen zum Thema moderne Sklaverei für Mitarbeiter und Zulieferer anbieten, stieg von rund 30 % im Jahr 2021 auf 55 % im Jahr 2023. Zudem befassten sich im Jahr 2023 rund ein Viertel der First Sentier-Portfoliounternehmen mit tiefgehenden Risiken für moderne Sklaverei über die erste Ebene ihrer Lieferkette hinaus – deutlich mehr als die noch knapp 10 % im Jahr 2021.
Präventiv können auch Investoren eine Beschwerdestelle einrichten und damit eine Anlaufstelle für mögliche Verletzungen der Arbeits- und Sozialstandards schaffen, so der Report. Ebenso sei es wichtig, den Portfoliounternehmen gegenüber klare Erwartungen in Bezug auf Transparenz und Reporting zu äußern. Bei konkreten Verdachtsfällen sollten sie Unterstützung im Ermittlungs- und Aufklärungsprozess anbieten. Die Zusammenarbeit mit anderen Investoren sorge für einen größeren Hebel bei der Bewältigung des Problems.
Schlüsselfaktor Wiedergutmachung
First Sentier Investors ist 2018 mit einem Portfoliounternehmen in den kritischen Dialog bezüglich kontroverser Praktiken bei dessen Zulieferbetrieben getreten, hat das Thema mit anderen Investoren bis zum CFO eskaliert und anschließend den Fortschritt der Wiedergutmachung nachverfolgt. „Die Wiedergutmachung spielt eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung von Menschenrechtsstandards, wird aber oft nicht richtig verstanden“, betont Sudip Hazra, Direktor des First Sentier MUFG Sustainable Investment Institute. Das Spektrum der Handlungsoptionen auf Unternehmensseite reiche von einer offiziellen Entschuldigung, über Kompensationszahlung, psycho-soziale Unterstützung bis hin zu disziplinarischen Maßnahmen gegen die Urheber der Verstöße.
„Die Verantwortung zur Bekämpfung moderner Sklaverei ist breit gestreut, von Unternehmen, die die Arbeitsbedingungen vor Ort beeinflussen, über Investoren, die die Unternehmen und die Lieferkette beeinflussen können, bis hin zu den Konsumenten, die die Kaufentscheidungen treffen“, bilanziert Kate Turner, Global Head of Responsible Investment bei First Sentier Investors.
1 International Labour Organization: https://www.ilo.org/resource/news/annual-profits-forced-labour-amount-us-236-billion-ilo-report-finds