In diesen Tagen schaut die Welt auf Brasilien. Am 12. Juni wird die erfolgreichste Fußballnation der Welt die Weltmeisterschaft im eigenen Land mit einem Spiel gegen Kroatien eröffnen. Fünf Titel und einige der größten Stars des internationalen Fußballs hat Brasilien hervorgebracht – und ist damit alleiniger Rekordhalter. Auch beim frühen Pensionsantritt ist Brasilien weltweit vorne: Durchschnittlich gehen Brasilianer mit 55 Jahren in Pension – zehn Jahre vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsantrittsalters von 65. Zum Vergleich: Europameister bei den Frühpensionierungen ist Österreich, wo man im Schnitt bereits mit 58,6 Jahren in Pension geht. Die Deutschen arbeiten im Schnitt bis 63, per Gesetz beginnt der Ruhestand für sie mit 67.
Brasilien: Derzeitige Rahmenbedingungen nicht nachhaltig
Ein weiteres Feature des brasilianischen Pensionssystems stellen spezielle Regelungen bei Witwenpensionen dar: Während Hinterbliebene in vielen Ländern einen Anteil an der Pension eines verstorbenen Partners bekommen, erhalten sie in Brasilien bis an ihr Lebensende fast den kompletten Betrag. Was auf den ersten Blick positiv erscheint, bringt langfristig Schwierigkeiten mit sich: Vor welchen Herausforderungen das Pensionssystem des Landes steht, wurde erst kürzlich wieder deutlich, als das Land zum ersten Mal in den Pension Sustainability Index von Allianz Global Investors einbezogen wurde. Der Index analysiert die Nachhaltigkeit staatlicher Pensionssysteme in 50 Ländern weltweit und zeigt Reformbedarf auf. Brasilien landete auf dem 49. und damit vorletzten Platz im Länderranking.
Voller Pensionsbezug zehn Jahre vor dem gesetzlichen Antrittsalter
Für dieses schlechte Ranking gibt es mehrere Gründe. Mit 65 Jahren hat Brasilien zwar das gleiche gesetzliche Pensionsalter wie viele andere Länder, aber besondere Regeln erlauben es Männern, bereits nach 35 Beitragsjahren in den Ruhestand zu gehen, Frauen brauchen dafür 30. Das tatsächliche Pensionsantrittssalter ist also deutlich niedriger. Zudem ist die Höhe der Pensionszahlungen im internationalen Vergleich beachtlich. Beispiel Witwenrente: In der Gemeinschaft der OECD-Länder geben Nationen im Schnitt ein Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Witwenansprüche aus. In Brasilien belaufen sich diese Zahlungen auf drei Prozent des BIP. 65-jährige Männer oder 60-jährige Frauen haben die vollen Pensionsansprüche, wenn sie 15 Jahre lang eingezahlt haben.
Günstige demografische Situation ändert sich schnell
Einige soziale Gruppen erhalten zusätzlich Nebenleistungen. Fast alle Beamten können mit vollen Ansprüchen in den Ruhestand gehen. Lehrer dürfen fünf Jahre vor allen anderen aufhören zu arbeiten – zu gleichen Bedingungen. Als Ergebnis dieser großzügigen Regelungen erhalten Brasilianer im Alter von 54 Jahren etwa 70 Prozent ihres letzten Gehalts. Das Staatsbudget fließt in zunehmendem Ausmaß in Pensionszahlungen. Noch kann Brasilien die hohen Ausgaben verkraften, da sich die Regierung auf die momentan noch sehr vorteilhafte demografische Situation verlässt – diese wird sich allerdings schnell ändern. Die brasilianische Bevölkerung ist mit 31 Jahren im Schnitt sehr jung – acht Jahre jünger etwa als US-Amerikaner und 11 Jahre jünger als Österreicher. Der Grund: Noch 1970 bekam eine Brasilianerin im Schnitt 5,8 Kinder, heute sind es nur noch 1,8. „Brasilien erlebt einen kurzen, goldenen Moment“, erklärt Dr. Renate Finke, Senior Economist bei Allianz Asset Management. Derzeit liegt das Verhältnis zwischen Über-65-Jährigen und Menschen von 15 bis 64 Jahren bei 10 Prozent. Bis 2050 wird sich dieser Wert auf 36 Prozent mehr als verdreifacht haben. In Deutschland beträgt das Verhältnis aktuell 32 Prozent, in Österreich 28 Prozent. Trotzdem gibt Brasilien schon heute fast 12 Prozent des BIP für staatliche Pensionen aus, in Deutschland sind es 11 Prozent, in Österreich 14,1 Prozent.
Der Pension Sustainability Index (PSI), herausgegeben von Allianz Global Investors, analysiert die aktuellen und zukünftigen Aussichten der Pensionssysteme und betrachtet dabei Variablen wie demografische Entwicklungen, öffentliche Finanzen und das Design des Pensionssystems, um in einem Indikator den Pensionsbedarf festzustellen. Ein PSI von 10 würde bedeuten, dass es in einem Land keinen Reformbedarf gibt, ein Indikator von 1 würde einen akuten Reformbedarf bedeuten. Der PSI wurde erstmals 2004 publiziert und wurde im Vergleich zur letzten Untersuchung im Jahr 2011 von 44 auf 50 Staaten erweitert.