AllianzGI-Experte Russell: "China sollte nicht mehr als Schwellenland betrachtet werden"

Das Jahr 2020 war für China in mehrfacher Hinsicht bedeutsam – insbesondere, weil das Land auch in der Krise ein kräftiges Wachstum erzielen konnte. In einem Interview erläutert William Russell, Global Head of Product Specialists Equity bei Allianz Global Investors, wie China seine langfristige Strategie umsetzt und welche Chancen sich daraus für die Anleger ergeben. Allianz Global Investors | 05.05.2021 17:24 Uhr
William Russell, Global Head of Product Specialists Equity, Allianz Global Investors / © Allianz Global Investors
William Russell, Global Head of Product Specialists Equity, Allianz Global Investors / © Allianz Global Investors
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Herr Russell, China nimmt wieder Fahrt auf, während der Westen noch mit der Coronaviruskrise beschäftigt ist. Warum ist Chinas Wirtschaft so stark?

William Russell: Covid-19 stellt weltweit zweifelsohne das größte Wachstumsrisiko dar – und das gilt auch für China. Im ersten Quartal 2020 war das Land ernsthaft von der Pandemie betroffen, und das Wachstum wurde beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen. In den meisten westlichen Ländern, einschließlich der USA und der Europäischen Union, fällt es bisher schwer, die Pandemie in den Griff zu bekommen. China und zahlreiche andere asiatische Länder scheinen sich da in einer besseren Position zu befinden. China hat große Erfolge bei der Eindämmung des Virus erzielt, was dazu beigetragen hat, die Voraussetzung für ein robustes Wachstum zu legen. Und die langfristige Erfolgsgeschichte dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen.

China sollte nicht mehr als Schwellenland betrachtet werden. Das Land ist vielmehr auf dem Weg, sich zu einer weltführenden Volkswirtschaft zu entwickeln

Was macht Sie da so sicher?

William Russell: Chinas Erfolg ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen. Zum einen verfügt China über ausgezeichnete strukturelle Voraussetzungen wie z.B. eine günstige demografische Entwicklung, eine große Konsumbereitschaft und steigende Einkommen. Beispielsweise haben die Millennials in China heutzutage eine ganz andere Kaufkraft, weil sie immer wohlhabender werden. Zum anderen konzentriert sich China auf Wirtschaftsbereiche, die ein enormes Wachstumspotenzial aufweisen. So wird die Robotik intensiv gefördert, und erneuerbare Energien werden ausgebaut. China möchte im Hightechbereich eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen und die Regierung plant umfangreiche Investitionen in Bereichen wie 5G-Infrastruktur, Digitalisierung, Halbleiter und künstliche Intelligenz. Diese werden künftig das Rückgrat des Wachstums bilden. Angesichts dieser Entwicklungen sollte China nicht mehr als Schwellenland betrachtet werden. Das Land ist vielmehr auf dem Weg zu einer weltweit führenden Volkswirtschaft.

Staatliche Investitionsprogramme sind also nach wie vor eine treibende Kraft für die Erholung?

William Russell: Auch künftig wird der Staat natürlich großen Einfluss auf Chinas Wirtschaftspolitik und Investitionsvorhaben nehmen. Mit Blick auf das vergangene Jahr ist jedoch ein Punkt hervorzuheben: China hat eine sehr viel traditionellere Wirtschaftspolitik verfolgt als zahlreiche westliche Länder. Grund dafür sind die Erfahrungen aus dem Jahr 2009. Nach der globalen Finanzkrise hatte China ein umfangreiches Fiskalpaket aufgelegt, aufgrund dessen die Verschuldung stark anstieg. Dies wird in China inzwischen weithin als Fehler angesehen. Daher wird die Regierung die politischen Unterstützungsmaßnahmen und die Investitionsausgaben mit hoher Wahrscheinlichkeit umsichtig reduzieren, sobald Chinas Konjunktur Fahrt aufnimmt, um einen weiteren Schuldenaufbau zu vermeiden.

Gute Handelsbeziehungen mit anderen Ländern sind eine wichtige Voraussetzung für künftiges Wachstum. Sehen Sie an dieser Front positive Anzeichen?

William Russell: In den vergangenen Jahren war Chinas Verhältnis zu den USA problematisch. Diese Spannungen werden unseres Erachtens wohl nicht nennenswert abklingen, auch wenn der Tonfall weniger aggressiv sein dürfte. Ein hartes Auftreten gegenüber China war schließlich einer der wenigen Punkte, über die sich US-Politiker im vergangenen Wahlkampf einig waren. Nicht zuletzt aus diesem Grund versucht China zunehmend, autonom zu werden, seine Lieferketten zu stärken, moderne Fertigungsstätten zu entwickeln und neue Allianzen zu schmieden. Die neue Regional Comprehensive Economic Partnership („RCEP“) schafft z.B. einen neuen Wirtschaftsblock aus Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum, in denen etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt. Darüber hinaus haben die EU und China nach siebenjährigen Verhandlungen kürzlich ein umfangreiches Investitionsabkommen unterzeichnet: das Comprehensive Investment Agreement (CAI). Dies stellt einen strategischen Durchbruch für China dar und könnte dem Land helfen, neue internationale Partnerschaften einzugehen.

Nachhaltigkeit wird international ein immer wichtigeres Thema. Was bedeutet das für China?

William Russell: Das Interesse am Thema Nachhaltigkeit wächst in China rasch. Das Land kündigte kürzlich an, bis zum Jahr 2060 CO2-neutral werden zu wollen. Das Zieldatum scheint zwar auf den ersten Blick noch weit in der Zukunft zu liegen, in der Praxis geraten jedoch zahlreiche Unternehmen (vor allem diejenigen mit einem hohen CO2-Ausstoß) bereits jetzt unter Druck und müssen die geplante Reduzierung ihres CO2-Fußabdrucks beschleunigen. So werden z.B. beträchtliche Investitionen in erneuerbare Energiequellen, Elektrofahrzeuge, Wasserstofftechnologie und andere „saubere“ Technologien getätigt. China ist jetzt schon der größte Markt für Elektrofahrzeuge weltweit und liegt auch bei Solaranlagen vorn. Ganz allgemein macht China auch in Bereichen wie Corporate Governance und Reporting große Fortschritte. Zahlreiche Unternehmen haben inzwischen Belegschaftsaktienprogramme aufgelegt, sodass die Interessen der Anteilseigner an Bedeutung gewinnen. Natürlich bleibt noch viel zu tun, und insbesondere muss die Transparenz für die Anleger verbessert werden. Die Richtung ist jedoch sehr ermutigend.

Wie können also die Anleger von Chinas anhaltendem Aufstieg profitieren?

William Russell: Investitionen an den chinesischen Aktienmärkten wären natürlich der direkteste Weg. In den vergangenen 20 Jahren, also bis zum 31. Dezember 2020, ist der als Benchmark dienende MSCI China Index um 521% angestiegen, der MSCI Europe dagegen um 98%. In der Vergangenheit haben sich die meisten globalen Anleger nur in relativ geringem Umfang direkt in chinesischen Aktien, insbesondere an den inländischen Märkten für A-Aktien, engagiert. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass China im Vergleich zur Größe seiner Volkswirtschaft und seiner Finanzmärkte in zahlreichen Indizes unterrepräsentiert war und ist. Ausschließlich benchmarkorientierte Anleger investieren daher vergleichsweise zu wenig Kapital in China. Schätzungen des Internationalen Währungsfonds zufolge war Chinas Anteil am globalen BIP im Jahr 2019 mit über 16% höher als derjenige der EU (15,4%). Chinas Gewicht im MSCI All Country World Index (MSCI ACWI), dem wichtigsten Benchmark-Index für globale Aktien, liegt jedoch lediglich bei rund 5%.

Heißt das, dass der chinesische Aktienmarkt immer noch als „schlafender Riese“ anzusehen ist?

William Russell: Ganz klar. Es gibt gute Gründe dafür, dass China in globalen Indizes bisher unterrepräsentiert ist. Zum Beispiel sind die sogenannten A-Aktien, die an den Märkten in Festlandchina gehandelt werden, erst seit kurzer Zeit problemlos für ausländische Anleger zugänglich. Mit der fortschreitenden Öffnung dieser Märkte sollte sich jedoch Chinas Gewicht in den Indizes erhöhen. Daher hat der chinesische Markt das Potential, seinen Anteil am MSCI ACWI zu verdoppeln und damit etwa so groß zu werden wie der Anteil des Euroraums. Im Zeitablauf werden die Anleger unserer Meinung nach China wahrscheinlich als eigene Anlageklasse betrachten, ähnlich wie die USA oder Japan. Außerdem investieren die Chinesen selbst einen immer größeren Teil ihres Vermögens an den inländischen Aktienmärkten. Dieser Trend sollte sich ebenfalls fortsetzen, wenn sich die Sparkultur des Landes entwickelt.

Welche Risiken sehen Sie?

William Russell: Kurzfristig wäre es nicht überraschend, wenn es an den chinesischen Aktienmärkten zu einer Konsolidierung käme. Die Kurse sind im vergangenen Jahr kräftig angestiegen, sodass damit zu rechnen ist, dass Investoren ihre Anteile verkaufen, um Gewinne zu realisieren. Wenn China zudem seine Geldpolitik vorsichtig normalisiert, könnte sich die äußerst hohe Liquidität verringern. Ein gewisser Rücksetzer wäre unseres Erachtens durchaus gesund und würde eine solidere Basis für die Zukunft schaffen. Längerfristig sehen wir weiterhin gute Gründe, um in China zu investieren. Allerdings ist die Anlageklasse vergleichsweise volatil, sodass die Anleger einen langfristigen Horizont haben sollten und sich überlegen müssen, wie gut sie Kapitalverluste verkraften.

Was erhoffen Sie sich von China im Jahr 2021?

William Russell: In den vergangenen Jahren wurden in China wirklich bemerkenswerte Innovationen vorgenommen, z.B. der Einsatz künstlicher Intelligenz in der medizinischen Diagnose, um der akuten Knappheit an medizinischem Personal entgegenzuwirken. Auch in der Genetik und in der Krebsmedikamente-Forschung wurden beträchtliche Fortschritte erzielt. Im Solarenergiesektor haben die neuesten technischen Entwicklungen es ermöglicht, die Erzeugungskosten unter diejenigen für fossile Brennstoffe zu drücken. Ich hoffe, dass wir in diesen und anderen Bereichen weitere Fortschritte sehen und dass diese auch zum Nutzen der übrigen Welt weitergegeben und nicht im Zuge der allgemeinen Tendenz zur Deglobalisierung zurückgehalten werden.

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