Seit der letzten Sitzung der US-Notenbank (Fed) Ende September hat sich einiges geändert. Wie Fed-Chef Jerome Powell kürzlich zugab, ist die seit Monaten vorgebrachte Argumentation eines lediglich vorübergehenden Inflationsanstiegs – eine Beobachtung, die auf steigenden Energiepreisen, Arbeitskräftemangel und Störungen auf der Angebotsseite beruhte – nicht länger aufrecht zu erhalten.
In der Tat lag der Verbraucherpreisanstieg zuletzt bei 5,4 Prozent gegenüber Vorjahr (September), für die Kernrate bei 4 Prozent. Der Anstieg des von der Fed bevorzugten Indikators, der Kerninflationsrate für die privaten Konsumausgaben, lag gleichzeitig bei 3,6 Prozent gegenüber Vorjahr.
Zunehmende Zweifel an einer nur vorübergehenden Natur des Teuerungsanstiegs spiegeln sich auch in den Inflationserwartungen wider. Finanzmarktbasierte mittelfristige Inflationserwartungen liegen derzeit zwischen 2 ½ und 3 Prozent: Breakeven-Inflationsraten für fünf bzw. zehn Jahre bei 2,97 bzw. 2,67 Prozent, 5-Jahres-Swaps auf Sicht von 5 Jahren bei 2,6 Prozent (Stand: 28. Oktober). Dieser Anstieg ging mit einer Anpassung der Zinserhöhungserwartungen an den Märkten einher: Diese liegen nun über dem Median der Projektionen der FOMC-Mitglieder (sog. Fed Dots) für die Jahre 2022 und 2023.
Angesichts dessen muss die Fed reagieren. Die Preisstabilität sollte wieder zum vorrangigen Ziel der Notenbank werden, um ein Überschießen der Inflationserwartungen zu verhindern. Denn bekanntlich können diese zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Für die nun anstehende Sitzung erwarten wir daher die Ankündigung einer sofortigen Verringerung der Wertpapierkäufe („Tapering“), mit dem wahrscheinlichen Ziel, die Wertpapierkäufe bis Mitte 2022 zu beenden. Vor allem aber erwarten wir auch eine Änderung der Forward Guidance der Fed. Da sich die Inflation auf einem hohen Niveau einpendelt, erscheint uns die dem Markt vorgestellte Vorgehensweise, wonach Zinserhöhungen erst nach Ende des Tapering erfolgen, nicht mehr angemessen. Es ist wichtig, dass die Fed einen gewissen Spielraum zurückgewinnt, um die Glaubwürdigkeit ihres Preisstabilitätsziels zu gewährleisten und die Inflationserwartungen auf einem Niveau zu verankern, das hiermit vereinbar ist.
In diesem Zusammenhang könnte der neue geldpolitische Rahmen eines „durchschnittlichen Inflationsziels“ – der im August 2020 in einem völlig anderen Umfeld angekündigt wurde – dem Druck der Umstände nicht länger gewachsen sein. Dies ist zweifellos ein Grund zur Besorgnis für die Fed, und wir warten auf mehr Klarheit hinsichtlich einer adjustierten geldpolitischen Reaktionsfunktion.
Die Fed befindet sich de facto in einer sehr schwierigen Situation. Die Inflationserwartungen sind zweifelsohne hoch. Sie spiegeln derzeit zwar noch nicht das Risiko eines unkontrollierten Preisanstiegs wider. Dies hängt allerdings auch damit zusammen, dass der Markt in letzter Zeit immer mehr Zinserhöhungen eingepreist hat. Unter diesem Druck wächst das Risiko von Politikfehlern. Sollte sich das Inflationsphänomen wirklich nur als vorübergehend erweisen, würde eine zu frühe Zinserhöhung den Aufschwung gefährden. Reagieren die Währungshüter hingegen zu spät, sie gezwungen, die Zinssätze stärker als nötig anzuheben. Die Fed bewegt sich somit auf einem schmalen Grat.
Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income, Allianz Global Investor