Die Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 3. Februar überraschte Beobachter insofern, als dass sich der Ton der Pressemitteilung deutlich von dem der Pressekonferenz unterschied. In letzterer äußerte sich EZB-Präsidentin Christine Lagarde aufgrund der immer höheren Inflationsraten recht „hawkish“. Dabei deutete die sie in Richtung 10. März, in der Hoffnung, zu der nun anstehenden Sitzung mehr Daten und Klarheit zu haben: für den Zeitplan zur Reduktion der Anleihekäufe und für nachfolgende Zinsentscheidungen.
Doch die erhoffte Klarheit gibt es nun nicht. Durch den Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine hat sich die Lage vollkommen verändert. Entwicklung und Dauer des Konfliktes sind genauso schwierig vorherzusagen wie die der Sanktionen, insbesondere mit Blick auf den Kauf russischer Energieträger. Dies sorgt für ein Höchstmaß an Unsicherheit bezüglich der Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und die Inflation im Euroraum. Die EZB wird dazu jedoch neue Prognosen vorlegen.
Die Teuerungsrate hat im Februar erneut überrascht: Sie lag mit 5,8 Prozent über den Erwartungen (5,6 Prozent), gleichzeitig stieg die Kerninflation weiter auf 2,7 Prozent. Zu den bereits bekannten preistreibenden Faktoren kommt nun infolge der militärischen Aggression ein weiterer starker Anstieg der Energiepreise sowie der Rohstoff- und Weizenpreise. Zudem sind Zweitrundeneffekte via Lohnerhöhungen nicht mehr auszuschließen. Verschärfend hinzu kommt eine Abwertung des Euro und die Fakturierung des internationalen Öl- und Gashandels in Dollar. Klar ist, dass der ursprünglich für Mitte 2022 erwartete Höchststand der Inflation nun zeitlich nach hinten verschoben werden muss. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel äußerte kürzlich die Ansicht, dass die Inflation mittelfristig nicht unter 2 Prozent sinken werde. Dies wiederum wäre eine Voraussetzung für eine Zinserhöhung.
Was das Wirtschaftswachstum betrifft, so wirkt der Inflationsanstieg wie eine Steuer auf den Verbrauch. Gleichzeitig dämpft das Klima der Unsicherheit die Investitionstätigkeit und regt zur Vorsichtsersparnis an. Laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane könnte das Wachstum in der Eurozone 2022 bei 0,3 bis 0,4 Prozent liegen – eine recht konservative Schätzung.
Angesichts der Aussichten steigender Inflation und nachlassenden Wachstums, mit einem großen Risiko, in ein Stagflationsszenario zu geraten, befindet sich die EZB in einer schwierigen Situation. Auf einer Pressekonferenz im französischen Wirtschaftsministerium am 25. Februar erklärte Christine Lagarde, sie sei bereit, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Preis- und Finanzstabilität in der Region zu gewährleisten.
In der Tat hat die Risikoaversion zu einer starken Bewegung an den Märkten sowie zu einer Ausweitung der Kredit- und Peripherie-Spreads geführt. Dies kommt einer Verschärfung der finanziellen Bedingungen gleich. Auch die Inflationserwartungen sind infolge des Energiepreisschocks gestiegen: Die 5-Jahres-Inflationserwartungen auf Sicht von fünf Jahren liegen nun bei 2,24 Prozent und die 5-Jahres-Breakeven-Inflationsraten für Bundesanleihen bei 2,97 Prozent – dies ist ein Prozentpunkt höher als Anfang Februar.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir seitens der EZB kein Infragestellen des Willens zur Normalisierung einer nach wie vor ultra-akkommodierenden Geldpolitik. Angesichts der unsicheren Situation dürfte die Notenbank mit Blick auf das Tempo der Normalisierung allerdings flexibel agieren. Unserer Ansicht nach sollte die Bank eine Abkehr von der bisher angekündigten Reihenfolge (erst Beendigung der Wertpapierkäufe, dann Zinsänderungen) ankündigen, sich gleichzeitig aber ein Höchstmaß an Flexibilität bewahren. Sie sollte ihre Wertpapierkäufe im Rahmen des APP ohne Vorgabe eines Endzeitpunkts fortsetzen, um die Länder der Eurozone angesichts des rezessiven Schocks zu unterstützen. Gleichzeitig sollte sie aber eine erste Zinserhöhung für das Jahresende 2022 in Aussicht stellen, um ihren Willen zur Inflationsbekämpfung zu bekräftigen.
Auch wenn jüngste Äußerungen von Notenbankern Zweifel aufkommen ließen: Der sogenannte „Zentralbank-Put“ existiert nach wie vor. Die EZB wird – und sollte – nicht von ihrer Regel abweichen, in einer Krisensituation Wirtschaft und Märkte zu unterstützen.
Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income, AllianzGI