Wird „Made in the UK“ wieder beliebter? In den vergangenen Jahren ging das Anlegerinteresse an britischen Aktien zurück. Dieser Trend setzte bereits vor dem Brexit-Referendum ein und beschleunigte sich nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union. Zahlreiche Pensions- und Staatsfonds aus aller Welt haben ihr Engagement in Großbritannien reduziert. In einigen Fällen haben sie ihr Kapital sogar vollständig abgezogen. In den vergangenen Monaten haben britische Aktien jedoch deutlich besser abgeschnitten – und damit stehen Anleger, die nicht in den Markt investiert haben, gar nicht so gut da. In jüngster Zeit haben die Auseinandersetzungen in der britischen Politik weltweit Schlagzeilen gemacht. Eventuell ist es aber sinnvoll, dieses Thema außen vor zu lassen und sich stattdessen auf die Chancen des wenig beachteten Markts zu konzentrieren.
Zugang zu globalen Unternehmen – zu einem Preisabschlag
Der britische Aktienmarkt hat ein durchaus beachtliches Volumen: Er macht rund 4% des MSCI All Countries World Index aus1. Damit ist er der größte Markt in Europa und etwa genau so umfangreich wie die chinesischen Aktienmärkte.
Dabei sind britische Aktien derzeit im Vergleich zur übrigen Welt, insbesondere Europa und den USA, preiswert. Die Kluft zwischen der durchschnittlichen Bewertung britischer und europäischer Aktien hat sich seit dem Referendum im Jahr 2016 verbreitert, und dieser Trend hielt auch an, nachdem die Brexit- und Pandemierisiken allmählich geringer wurden. Ende 2021 waren die Kursabschläge für britische Aktien gegenüber europäischen so groß wie seit 40 Jahren nicht mehr (Abbildung 1). Im laufenden Jahr hat sich die Differenz bisher etwas verringert, aber britische Papiere erscheinen nach wie vor attraktiv.
Abbildung 1: Durchschnittl. Bewertungsaufschlag UK vs. Europa
Viele Unternehmen des FTSE 100, der die 100 größten börsennotierten britischen Unternehmen (gemessen an der Marktkapitalisierung) enthält, sind vor allem außerhalb Großbritanniens tätig. Die FTSE-100-Unternehmen erwirtschaften rund 70% ihres Umsatzes im Ausland. Der entsprechende Wert für die im S&P 500 enthaltenen USUnternehmen liegt lediglich bei 29%2. Das bedeutet, dass britische Large Caps3 nicht unbedingt von der Entwicklung der britischen Konjunktur abhängig sind. Diese geringe Korrelation hat einen großen Vorteil: Faktisch haben die Anleger Zugang zu globalen Unternehmen, die aber aufgrund der niedrigen Bewertungen in Großbritannien zu einem beträchtlichen Abschlag gehandelt werden.
Wachstumschancen und Dividenden
Genau wie die Großkonzerne des FTSE 100 handeln auch kleinere britische Unternehmen zu niedrigen Bewertungen und können Wachstumschancen bieten. Small und Mid Caps3 aus Großbritannien sind meist stärker auf die Binnenwirtschaft ausgerichtet und daher auch in höherem Grade von der Entwicklung der britischen Wirtschaft abhängig. Für Großbritannien wird nach der Überwindung der Pandemie für dieses Jahr ein kräftigeres Wachstum prognostiziert als für die meisten anderen entwickelten Länder. Es besteht ein gewisser Nachfragestau, weil das Umfeld für Investitionen und Konsum wegen des Brexit mehrere Jahre lang eher unsicher war. Die Pandemie hat zusätzliche Verwerfungen ausgelöst.
Viele besonders vielversprechende Small und Mid Caps sind in innovativen Technologiesektoren zu finden. In Großbritannien entsteht gerade eine neue Fintech-Industrie, und der Staat hat beträchtliche Summen investiert, um das Land zu einem wichtigen Biotechnologiezentrum in Europa zu machen. Daher sind im Small und Mid Cap-Segment einige sehr wachstumsstarke Unternehmen anzutreffen. Darüber hinaus sind potenzielle Wachstumsunternehmen aus diesen Sektoren auch werthaltig. In der Regel sind sie nämlich preiswerter als ihre US-Pendants.
Britische Unternehmen schütten zudem mit höherer Wahrscheinlichkeit regelmäßige Dividenden aus als ihre Wettbewerber aus anderen Ländern. Die meisten FTSE 100-Unternehmen haben jedes Jahr stetig und verlässlich Dividenden gezahlt (Abbildung 2). Selbst im Jahr 2020 schütteten drei Viertel der Unternehmen trotz der Covid-19- Pandemie eine Dividende an die Anleger aus. Angesichts des dauerhaften Niedrigzinsumfelds können Dividenden eine sinnvolle Einnahmequelle sein.
Mehr Chancen für aktive Anleger
Der britische Markt hat ein beträchtliches Volumen und ist gut diversifiziert. In der Vergangenheit boten die verfügbaren Wachstums- und Value-Titel aus Großbritannien regelmäßig sehr attraktive Chancen für ein aktives Stockpicking. Daten von S& P Dow Jones zufolge haben knapp 60% der Manager, die aktive Strategien auf der Grundlage des S&P UK BMI Index verfolgen, ihre Benchmark in den fünf Jahren bis zum Juni 2021 geschlagen. Aktiven Managern, die auf den globalen Aktienindex S&P Global 1200 zurückgreifen, ist dies nur in 12% der Fälle gelungen4
Abbildung 2: Zahl der Unternehmen, die in den Jahren 2001 – 2021 Dividenden ausschütteten
Starke Governance als Pluspunkt
Großbritannien ist weltweit für seine hohen Corporate Governance-Standards bekannt. Dies schlägt sich auch in unserem Abstimmungsverhalten auf Hauptversammlungen nieder: AllianzGI stimmte in Großbritannien nur in rund 4% der Fälle gegen die Unternehmensvorschläge (Abbildung 3), in den EU-Mitgliedsstaaten dagegen in rund 10 – 20% (in Italien war der Prozentsatz mit 32% am höchsten) und in den USA in 40% der Fälle. Britische Unternehmen erfüllen also tendenziell die höchsten Governance-Standards, sodass die Anleger nicht so häufig eingreifen müssen.
Nicht zuletzt aufgrund der guten Corporate Governance ist der Markt vergleichsweise offen und transparent. Faktoren, die zum Scheitern oder einer unterdurchschnittlichen Entwicklung des Unternehmens beitragen können, werden vom jeweiligen Vorstand mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgedeckt und ausgemerzt.
Abbildung 3: Anteil der von Allianz Global Investors abgelehnten Unternehmensvorschläge bei Hauptversammlungen; nach Standorten im Jahr 2021
Abweichende Regelungen nach dem Brexit?
Es wird durchaus spekuliert, dass Großbritannien nach dem Brexit neue regulatorische Standards aufstellen könnte. Während seiner EU-Mitgliedschaft hat Großbritannien das Governance-Rahmenwerk des Kontinents entscheidend vorangetrieben. Daher dürfte das Land seine hohen Governance-Standards beibehalten. Möglicherweise werden die regulatorischen Anforderungen jedoch flexibler gestaltet. Dadurch könnte ein Rahmenwerk entstehen, das genau auf Großbritanniens Bedürfnisse abgestimmt ist. Davon sollten die Kapitalmärkte des Landes profitieren.
Großbritanniens „Unabhängigkeit“ könnte Früchte tragen
Nach dem Brexit sehen die Anleger Großbritannien zunehmend als gesonderte Anlageklasse und nicht mehr als Teil Europas an. Wenn Großbritannien eigene Handelsverträge mit dem Rest der Welt abschließt, sollte sich diese Differenzierung noch verstärken. Die Möglichkeit, eigene Verträge auszuhandeln, wurde als wichtiger Vorteil eines Austritts aus der Europäischen Union angesehen. Bisher sind die Fortschritte gering. Dennoch sind solche Verträge nach wie vor möglich, und britische Unternehmen könnten davon profitieren.
Wie geht es weiter?
Zuletzt wurde in den Nachrichten aus Großbritannien vor allem über die Zukunft der Regierung von Premierminister Johnson spekuliert. Insgesamt ist das politische Risiko im Land jedoch gering. Auch die Oppositionsparteien sind eher in der politischen Mitte zu verorten und dürften bei einem Machtwechsel nicht in den Aktienmarkt eingreifen.
Kurz, Großbritannien bietet einen breiten, gut diversifizierten Aktienmarkt mit niedrigen Bewertungen für aktive Anleger. Mit vielversprechenden Wachstumstiteln und unterbewerteten Large Caps spricht langfristig vieles für eine Investition. Britische Aktien trafen bei zahlreichen Anlegern im vergangenen Jahrzehnt eher auf geringes Interesse. Die jüngste Wertentwicklung dürfte den Investoren jedoch nicht entgangen sein, und wir gehen davon aus, dass wieder verstärkt Kapital nach Großbritannien fließt.
Es wird durchaus spekuliert, dass Großbritannien nach dem Brexit neue regulatorische Standards aufstellen könnte. Während seiner EU-Mitgliedschaft hat Großbritannien das Governance-Rahmenwerk des Kontinents entscheidend vorangetrieben. Daher dürfte das Land seine hohen Governance-Standards beibehalten. Möglicherweise werden die regulatorischen Anforderungen jedoch flexibler gestaltet. Dadurch könnte ein Rahmenwerk entstehen, das genau auf Großbritanniens Bedürfnisse abgestimmt ist. Davon sollten die Kapitalmärkte des Landes profitieren.
Großbritanniens „Unabhängigkeit“ könnte Früchte tragen
Nach dem Brexit sehen die Anleger Großbritannien zunehmend als gesonderte Anlageklasse und nicht mehr als Teil Europas an. Wenn Großbritannien eigene Handelsverträge mit dem Rest der Welt abschließt, sollte sich diese Differenzierung noch verstärken. Die Möglichkeit, eigene Verträge auszuhandeln, wurde als wichtiger Vorteil eines Austritts aus der Europäischen Union angesehen. Bisher sind die Fortschritte gering. Dennoch sind solche Verträge nach wie vor möglich, und britische Unternehmen könnten davon profitieren.
Wie geht es weiter?
Zuletzt wurde in den Nachrichten aus Großbritannien vor allem über die Zukunft der Regierung von Premierminister Johnson spekuliert. Insgesamt ist das politische Risiko im Land jedoch gering. Auch die Oppositionsparteien sind eher in der politischen Mitte zu verorten und dürften bei einem Machtwechsel nicht in den Aktienmarkt eingreifen.
Kurz, Großbritannien bietet einen breiten, gut diversifizierten Aktienmarkt mit niedrigen Bewertungen für aktive Anleger. Mit vielversprechenden Wachstumstiteln und unterbewerteten Large Caps spricht langfristig vieles für eine Investition. Britische Aktien trafen bei zahlreichen Anlegern im vergangenen Jahrzehnt eher auf geringes Interesse. Die jüngste Wertentwicklung dürfte den Investoren jedoch nicht entgangen sein, und wir gehen davon aus, dass wieder verstärkt Kapital nach Großbritannien fließt.
1. MSCI, 28. Februar 2022
2. S&P Global Market Intelligence, 18. Juni 2020
3. Large Caps, Medium Caps und Small Caps bezeichnen Unternehmen mit einer großen, mittleren oder kleinen Marktkapitalisierung
4. S&P Dow Jones Indices LLC, Morningstar, 30. Juni 2021