Die Europäische Zentralbank (EZB) steht unter Druck. Im März unternahm sie einen Schritt zur Normalisierung ihrer akkommodierenden Politik: Sie beschleunigte das Tempo der Reduzierung ihres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten, ohne jedoch die Tür für eine Zinserhöhung im dritten Quartal zu öffnen. Seitdem haben sich aber die Bedingungen geändert:
- Die Inflation steigt weiter an und überrascht mit einem Aufwärtstrend. Mit einer Jahresrate von 7,5 % im März gegenüber 5,9 % im Februar und erwarteten 6,7 % auf Jahressicht hat die Inflation nun ein Allzeithoch erreicht und liegt fast beim Vierfachen des EZB-Ziels.*
- Die Inflationserwartungen haben begonnen, nach oben zu driften, wobei die 5-Jahres/5-Jahres-Swap-Inflation (ein Maß für die mittelfristige Inflationserwartung) bei 2,3 % liegt, verglichen mit 1,9 % zu Beginn des Jahres.* Sie liegt damit ebenfalls über dem mittelfristigen Ziel der EZB von 2 %. Zwar gibt es in der Eurozone derzeit keine Preis-Lohn-Spirale, denn die Lohnanstiege halten sich in Grenzen, doch hat sich das Risiko einer Verschiebung der Erwartungen und von Zweitrundeneffekten erhöht.
- Der internationale Kontext ist durch eine straffere Geldpolitik gekennzeichnet. Insbesondere die US-Notenbank (Fed) ist sehr entschlossen, die Zinssätze schnell und deutlich anzuheben, und bereit ist, ihre Bilanz rasch zu verkürzen.
- Schließlich führt der unsichere wirtschaftliche und finanzielle Kontext – der durch den Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine noch volatiler geworden ist – zu einem zusätzlichen Inflationsschock, insbesondere bei den Energie- und Lebensmittelpreisen.
Unter diesen Bedingungen wird es für die EZB schwieriger, ihre sehr akkommodierende Geldpolitik zu rechtfertigen. Auf der nächsten Sitzung sollte sie daher – wie es die Fed deutlich getan hat – eine Rückkehr zu den Grundlagen ihres Mandats ankündigen, nämlich der Gewährleistung von Preisstabilität, unabhängig davon, wie sich die Inflation in den kommenden Monaten entwickeln wird. Denn selbst wenn eine Verlangsamung sehr wahrscheinlich ist (wie kürzlich von mehreren Mitgliedern des Direktoriums betont wurde), ist es für die Zentralbank undenkbar, angesichts des derzeitigen Preisniveaus passiv zu bleiben. Zumal die Finanzstabilität – die oft als sekundäres Mandat der EZB bezeichnet wird – angesichts der Höhe der Spreads und der Indizes des verarbeitenden Gewerbes (z. B. des Einkaufsmanagerindex, PMI) derzeit nicht gefährdet zu sein scheint.
Das Protokoll der EZB-Ratssitzung vom 10. März bestätigte, dass dieses Thema in den Diskussionen zunehmend präsent ist. Die Divergenz zwischen den Mitgliedern der EZB hat sich vergrößert, aber das Kräfteverhältnis spricht zunehmend für eine rasche Straffung. Lediglich die Ungewissheit über den Konflikt in der Ukraine bremst nach wie vor ein entschlosseneres und schnelleres Handeln.
Unserer Meinung nach sollte die EZB daher das Ende des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) für das dritte Quartal bestätigen und vielleicht sogar ein konkretes Enddatum bekannt geben. Es wird erwartet, dass die EZB auch ihre Bereitschaft bekräftigen wird, die Zinssätze nach dem Ende der Ankäufe von Vermögenswerten anzuheben. Die Märkte rechnen mit zwei Zinserhöhungen um jeweils 25 Basispunkte vor Jahresende. Es wird nicht erwartet, dass die EZB einen Zeitplan für diese Anhebungen bekannt gibt, aber sie könnte ihre Bereitschaft zu weiteren Anhebungen bekunden, wenn die Inflation stärker und anhaltender als erwartet ausfällt, was die Aufwärtskorrektur der Zinssätze in der Eurozone weiter anheizen würde.
Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income, Allianz Global Investors
*Quelle für alle Daten: Bloomberg, Stand: 8. April 2022.