Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte die dieswöchige Sitzung dazu nutzen, das Ende ihrer Wertpapierkäufe für Juni zu bestätigen und eine Zinserhöhung für Juli anzukündigen – die erste monetäre Straffung seit elf Jahren. Diese Entscheidungen kämen nicht überraschend und ihre Reihenfolge stünde im Einklang mit der von der EZB-Führung wiederholt kommunizierten Abfolge geldpolitischer Maßnahmen. Die Sitzung am 9. Juni wird daher einen echten Wendepunkt in der Geldpolitik der EZB markieren.
Angesichts des stetigen Anstiegs der Inflationsrate in der Eurozone – im Mai lag die Gesamt-Teuerungsrate bei 8,1 Prozent und die Kerninflation bei 3,8 Prozent gegenüber Vorjahr – steht die EZB unter Druck. Sie muss eine angemessene Antwort finden und sie sollte sich dabei von einem Gefühl der Dringlichkeit leiten lassen, das in ihren Handlungen und Reden bislang fast nicht vorhanden war. In 14 Ländern liegt die Inflation nämlich sogar über 8,1 Prozent, darunter auch in Deutschland mit 8,7 Prozent gegenüber Vorjahr.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde dürfte daher einen „hawkishen“ Ton anschlagen und die Entschlossenheit der EZB bekräftigen, das Mandat zur Preisniveaustabilität zu erfüllen. Darüber hinaus dürfte sie sich auch zu einem weiteren Thema äußern, das die Aufmerksamkeit der Märkte auf sich gezogen hat, nämlich Zeitpunkt, Ausmaß und Tempo der Zinser-höhungen. Die Veröffentlichung der Mai-Inflationszahlen hat im EZB-Rat eine Debatte zwischen den Befürwortern einer ersten Anhebung um 25 Basispunkte und denjenigen einer Anhebung um 50 Basispunkte entfacht. Die Märkte haben begonnen, die Möglichkeit einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte bereits im Juli und gegen Jahresende 2022 einzupreisen, und sie rechnen dazwischen während jeder EZB-Sitzung mit einem Zinsschritt.
Unserer Einschätzung nach wird die EZB jedoch an ihren bisherigen Plänen festhalten und sich zwar notfalls dezidiert zu Wort melden, insgesamt aber einen schrittweisen und moderaten Ansatz verfolgen. Angesichts der sich abzeichnenden Konjunkturabschwächung in der Eurozone – insbesondere in der größten Volkswirtschaft Deutschland – dürfte die Zentralbank vorsichtig bleiben und im Juli nicht zu einem großen Schlag ausholen. Vielmehr dürfte sie für ihren ersten Schritt eine Anhebung um 25 Basispunkte bevorzugen, gleichzeitig aber ihre Bereitschaft signalisieren, bei Bedarf energischer zu handeln.
Indem sie damit die Tür für stärkere Zinserhöhungen offenlässt, würde die EZB dem Wunsch der Hardliner im Rat nach einer Eindämmung der Inflationserwartungen entgegenkommen. Gleichzeitig dürfte der geldpolitische Kurswechsel den allmählichen Anstieg der langfristigen Zinssätze im Euroraum weiter vorantreiben.
Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income, Allianz Global Investors