Heute hui, morgen pfui – und andersherum. Dieser Eindruck drängt sich alljährlich beim Blick auf die Wertentwicklung der verschiedenen Anlageklassen auf. Eher selten stehen Vorjahressieger zweimal hintereinander ganz oben auf dem Treppchen, und beim grafischen Mehrjahresvergleich wirkt das von Jahr zu Jahr unterschiedliche Ranking der Assetklassen derart stark durcheinandergewürfelt, dass Allianz Global Investors die nachfolgende Grafik intern „Flickenteppich“ getauft hat.
Was fällt für 2022 auf? Auf den ersten Blick scheint sich Diversifikation aus Anlegersicht letztes Jahr weniger ausgezahlt zu haben als gewöhnlich. Die meisten Assetklassen lagen im Minus, notabene rauschten Aktien und Anleihen quasi Seit an Seit nach unten. Rententitel konnten ihrem Status als Portfoliostabilisator in Krisenzeiten somit letztlich nicht gerecht werden. Der Grund hierfür war die Null- und Negativzinsfalle – ein ex post erkennbarer Grenzbereich, in dem Anleihen nicht mehr so reagieren konnten wie in vergangenen Krisen. Positiv schnitten lediglich Rohstoffe ab, deren Preise aufgrund kriegs- und pandemiebedingter Angebotsdisruptionen und damit einhergehender Lieferengpässe nach oben schossen, sowie Gold und Immobilien. Im Falle des Edelmetalls erscheint das intuitiv logisch, gilt Gold doch als „Krisenwährung“. Das Plus ergab sich jedoch ausschließlich durch den festeren US-Dollar.
Was ist nun für 2023 zu erwarten? Nach vorne schauend erscheint aus Investorensicht am wichtigsten, dass Diversifikation wieder besser wirken dürfte. Der Kampf der Notenbanken weltweit gegen die hohe Inflation hatte nämlich die Wiederauferstehung des Zinses zur Folge. Gerade Anleihen können daher künftig wieder normaler auf zyklische Schwankungen reagieren. Wichtig darüber hinaus mit Blick auf Aktieninvestments: Die Vergangenheit lehrt, dass Kalenderjahre vor einer Rezession zwar schlechte Aktienjahre sind – wie 2022. Kalenderjahre mit negativen Wirtschaftswachstumsraten – wie für 2023 erwartet – waren hingegen in der Regel positive Börsenjahre. Denn die Finanzmärkte antizipierten eine künftige Konjunkturerholung meist um die Mitte des Abschwungs herum.
Über die lange Frist betrachtet zeigt der „Flickenteppich“ eindrucksvoll, dass reale Werte wie vor allem Aktien ihre Performancestärke ausspielen können. In Krisenzeiten hingegen demonstrieren zumeist Anleihen und Gold ihre Vorteile als „sichere Häfen“: Beispiele sind 2008, 2011 und 2018 – das vergangene Jahr 2022 gilt hier wohl als Ausnahme, die die Regel bestätigt. Anders als in der Fußball-Bundesliga gibt es dabei aber keinen Dauerabonnement auf den Spitzenplatz. Vielmehr findet sich bei den Vermögensklassen der Meister des einen Jahres im Folgejahr mitunter auf einem Abstiegsplatz wieder.
Daher ist der „Flickenteppich“ insgesamt ein flammendes Plädoyer für Diversifikation und aktives Management: Wer streut, rutscht weniger! Das Streuen des Kapitals über und innerhalb verschiedener Assetklassen und Regionen ist ein Fundament für stabile Anlageergebnisse. Wohlgemerkt ist dies die notwendige, aber nicht die hinreichende Bedingung. Mit anderen Worten: Diversifikation ist nicht alles, aber ohne Diversifikation ist vieles nichts.
Von Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors