- BoJ bleibt insofern Außenseiter unter den weltweiten Zentralbanken, als dass die Bank an ihrer grundsätzlichen Lockerungspolitik festhält.
- Anpassung der Zinsstrukturkurvensteuerung möglich, für Juni aber wenig wahrscheinlich.
Die Bank of Japan (BoJ) bleibt ein Außenseiter unter den weltweiten Zentralbanken. Trotz aggressiver Zinserhöhungskurse in anderen Ländern hat sie bisher keine Änderungen an ihrem Zinssatz vorgenommen. Lediglich im Dezember 2022 wurde einmalig die Renditekurvensteuerung (Yield Curve Control, YCC) angepasst, um die Funktionsweise des Marktes und die Nachhaltigkeit des YCC-Systems zu verbessern. Diese Änderung bedeutete jedoch keine Abkehr von der grundsätzlichen Lockerungspolitik.
Das aktuelle Umfeld könnte die BoJ gleichwohl veranlassen, ihre Position zu überdenken. Die Inflation in Japan befindet sich nach wie vor auf einem Mehrjahrzehnthoch. Der von der Bank bevorzugte Verbraucherpreisindex (CPI ohne frische Lebensmittel und Energie) hat sich im April weiter beschleunigt und lag mit 4,1% gegenüber Vorjahr deutlich über dem Inflationsziel von 2%. Das Funktionieren des japanischen Staatsanleihemarktes wird weiterhin durch die YCC-Politik beeinträchtigt. Darüber hinaus ergaben die Shunto-Frühjahrstarifverhandlungen Lohnerhöhungen von durchschnittlich gut 3,6% - dies ist der höchste Stand seit 1993. Und schließlich sind die Inflationserwartungen der Unternehmen gestiegen: Die Unternehmen sind bereit und in der Lage, Preiserhöhungen auf breiter Front vorzunehmen, was für japanische Verhältnisse ungewöhnlich ist.
Gleichzeitig gibt es allerdings auch Anzeichen dafür, dass der Verbraucherpreisindex und der regionale Verbraucherpreisindex für Tokio ihr Hoch erreicht haben könnten. Kritischer aber ist, dass die BoJ in ihren im April veröffentlichten Wirtschaftsprognosen davon ausgeht, dass die Inflation im Fiskaljahr 2024 auf 1,7% (mittlere Schätzung) sinken wird, womit sie erneut unter ihrem Inflationsziel von 2% bleiben würde. Der Preisauftrieb wird also als eher vorübergehend erachtet. Die BoJ ist weiterhin nicht davon überzeugt, dass die kostentreibende Inflation des vergangenen Jahres zu einer ausreichend nachhaltigen inländischen Inflationsdynamik geführt hat. Die jüngsten Lohnerhöhungen werden als einmaliges Ereignis bewertet. Und schließlich bleibt die Funktionsweise des japanischen Marktes für Staatsanleihen angespannt. Die Lage hat sich allerdings gegenüber dem Jahreswechsel verbessert, wie eine Markt-Umfrage der BoJ und die gute Preisbildung am Markt zeigen, so dass auch hier derzeit keine unmittelbare Dringlichkeit für Anpassungen gegeben ist.
In diesem Umfeld hat der Gouverneur der BoJ, Kazuo Ueda, wiederholt darauf hingewiesen, dass seiner Ansicht nach die Wirtschaft vorerst noch Unterstützung durch Stimulierungsmaßnahmen benötigt. Das Risiko, zu früh zu handeln, könne größer sein als das Risiko, zu spät zu handeln. Außerdem hat Ueda eine umfassende Überprüfung der Geldpolitik eingeleitet, deren Abschluss wahrscheinlich viel Zeit in Anspruch nehmen wird.
Wir gehen daher nicht davon aus, dass die BoJ auf der Juni-Sitzung eine signfikante Änderung ihrer Politik vornehmen wird. Der kurzfristige Leitzins dürfte bei -0,1% bleiben.
Eine Ausnahme könnte die Anpassung der Zinsstrukturkurvensteuerung sein. Laut Gouverneur Ueda können YCC-Anpassungen nur mit geringen Vorankündigungen erfolgen, was die Märkte zwangsläufig überraschen müsse. Die Hauptmotivation für eine etwaige YCC-Anpassung dürfte darin besteht, der BoJ eine größere Flexibilität für die Zukunft zu verschaffen, und nicht darin, die Geldpolitik zu straffen. Dass eine derartige Maßnahme bereits im Juni erfolgt, erscheint uns allerdings wenig wahrscheinlich. Denn der BoJ werden wichtige Daten erst auf der Juli-Sitzung zur Verfügung stehen, etwa zur Entwicklung der Lohnsumme. Außerdem werden auf den Sitzungen im Juli und Oktober neue Wirtschaftsprognosen der BoJ veröffentlicht, was die Begründung geldpolitischer Änderungen auf diesen Sitzungen erleichtern könnte.
Alles in allem bleibt die BoJ daher in der Defensive, sie scheint dem „alten Regime“ des Deflationsrisikos verhaftet zu sein. Angesichts der seinerzeit sehr negativen Auswirkungen auf die japanische Wirtschaft überrascht dies nicht. Es ist aber auch im Hinterkopf zu behalten, dass andere Zentralbanken – allen voran die US-Notenbank – ebenfalls einen vorübergehenden Charakter der Inflation hervorgehoben hatten, nur um später auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Aus diesem Grund ist zum jetzigen Zeitpunkt aus taktischen Gründen eine vorsichtige Haltung gegenüber JGBs anzuempfehlen.
Von Greg Hirt, Global CIO Multi Asset, Allianz Global Investors