Nach einer beträchtlichen Runde an Zinserhöhungen in den letzten 12 Monaten nimmt die EZB eine Feinabstimmung ihrer Geldpolitik vor. In den kommenden Monaten ist gleichwohl mit weiteren Straffungsmaßnahmen zu rechnen.
Nach 375 Basispunkten an Zinserhöhungen seit Juli 2022 nimmt die Europäische Zentralbank (EZB) nun eine Feinabstimmung ihrer Geldpolitik vor. Die jüngsten Konjunkturdaten belegen klar, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Eurozone verlangsamt. Technisch betrachtet ist die Eurozone sogar bereits in eine Rezession eingetreten. Gleichzeitig hält jedoch der Inflationsdruck an. Auch wenn sich Teuerungsrate im Mai von zuvor 7% auf 6,1% verlangsamt hat, bleibt die Kerninflation (Mai: 5,3%, nach 5,6% im April) weiterhin zu hoch. Daher kann die EZB ihre Wachsamkeit noch nicht aufgeben.
- die Höhe der Kerninflation, d.h. die Preise für Waren und Dienstleistungen ohne die volatilen Komponenten Nahrungsmittel und Energie
- der Verlauf der Kerninflation
- die Übertragung der Geldpolitik, d. h. wie sich die geldpolitischen Änderungen der Zentralbank auf Wirtschaftstätigkeit und Inflation auswirken.
In Bezug auf den letztgenannten Punkt gab es zuletzt gute Nachrichten für die EZB: Die Nachfrage verlangsamt sich, wie die Schwäche der Einzelhandelsumsätze in der Eurozone im April zeigt (unverändert gegenüber Vormonat und -2,6% gegenüber Vorjahr). Der von einem robusten Arbeitsmarkt ausgehende Lohndruck in Verbindung mit einer nach wie vor hohen Preissetzungsmacht der Unternehmen lässt jedoch vermuten, dass sich der unterliegende Inflationstrend nur sehr allmählich abschwächen wird.
Wir gehen daher davon aus, dass die EZB am 15. Juni die Zinsen weiter anheben wird, und zwar um 25 Basispunkte, gefolgt von einem ebenso großen Schritt im Juli. Auch die Märkte rechnen mit einem derartigen Vorgehen.
Längerfristig kann die EZB mit zwei Indikatoren zufrieden sein: Die dreijährigen Inflationserwartungen der Verbraucher in der Eurozone sind nach wie vor äußerst moderat (zuletzt Rückgang von 2,9% auf 2,5%). Zudem sind die marktbasierten Inflationserwartungen solide verankert (5-Jahres-Inflationsswap auf Sicht von 5 Jahren: 2,48%). Die Glaubwürdigkeit der EZB im Kampf gegen steigende Preise ist somit nicht angekratzt. Diese langfristige Glaubwürdigkeit ist jedoch das Ergebnis ihrer kurzfristigen Entschlossenheit, die Geldpolitik weiter zu straffen. In diesem Punkt gibt es keinen Spielraum für Kompromisse.
Angesichts der anhaltend hohen Kerninflation preisen die Märkte unseres Erachtens das Potenzial für weitere Zinserhöhungen im laufenden Straffungszyklus nicht ausreichend ein. Auf dem Anleihemarkt der Eurozone ist es daher für Anleger noch zu früh, um Long-Duration-Positionen aufzubauen.
Von Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income, Allianz Global Investors