Auf den ersten Blick wäre eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte am 21. September rational sinnvoll: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) prognostiziert für 2024 einen Verbraucherpreisanstieg um 2,1 Prozent, was außerhalb des Zielkorridors von 0-2 Prozent liegt. In den nächsten vier Monaten wird es Preissteigerungen bei Mieten, der Mehrwertsteuer, Elektrizität und SBB-Tickets geben. Und auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat am 14. September die Leitzinsen um 25 Basispunkte auf 4 Prozent angehoben.
Im Unterschied zur Eurozone liegt die Inflationsrate in der Schweiz derzeit jedoch bei komfortablen 1,6 Prozent, gegenüber 5,3 Prozent in der Währungsunion. Der Schweizer Franken liegt bei einem festen Niveau von 0,95 gegenüber dem Euro, was die Wirtschaft vor importierter Inflation schützt. Zudem führen höhere Zinssätze aufgrund der Art der Mietpreisberechnung (sogenannter „Referenzzinssatz“) im Allgemeinen zu höheren Mieten. Eine weitere Anhebung der Leitzinsen wird somit immer weniger wirksam. Und schließlich hat die EZB nach vorne schauend eine Zinspause signalisiert, was den Handlungsdruck für die SNB verringert.
Zu berücksichtigen ist ferner die Schwäche der Schweizer Wirtschaft und ihrer europäischen Pendants. Das Schweizer BIP stagnierte zuletzt im Quartalsvergleich und die kürzlich veröffentlichte EU-Wirtschaftsprognose wurde sowohl für 2023 als auch für 2024 nach unten korrigiert. Am stärksten besorgniserregend ist vielleicht der Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe in der Schweiz, der im August mit 39,9 deutlich unter der Wachstumsschwelle von 50 lag. Auch Deutschland – die größte europäische Volkswirtschaft – verzeichnete zuletzt einen enttäuschenden industriellen PMI von 39,1. Zudem deuten auch andere Schweizer Frühindikatoren wie das KOF Konjunkturbarometer und der Konsumklimaindex des SECO auf eine konjunkturelle Abkühlung hin. Und schließlich leidet China, das traditionell für wirtschaftlichen Rückenwind in Form von Schweizer Exporten und Tourismuseinnahmen sorgt, derzeit unter einer inländischen Immobilienkrise.
Last but not least verfügt die SNB über eine Bilanz von 750 Mrd. CHF, die verringert werden kann, um eine Schwäche des Schweizer Frankens zu verhindern. Die SNB könnte EUR/USD/JPY-Anlagen verkaufen und Schweizer Franken kaufen. Die Verringerung der Bilanz zur Unterstützung der Stärke des Schweizer Franken wäre weniger schädlich für die Wirtschaft als eine Zinserhöhung. Dieses Instrument wurde bereits in der Vergangenheit wirksam eingesetzt.
Fazit: Angesichts der niedrigen Inflationsrate, des starken Franken und der Abkühlung der Wirtschaftstätigkeit im In- und Ausland – warum sollte die SNB die Leitzinsen erhöhen? Mitte September preist der Markt (CHF OIS-Kurve) eine etwas über 60 Prozent liegende Wahrscheinlichkeit für eine Zinserhöhung am 21. September ein. Unseres Erachtens wird die SNB jedoch mit einer weiteren Zinserhöhung warten, zumal sie über die alternative Möglichkeit verfügt, den Wert des Schweizer Frankens durch eine Bilanzverkürzung zu steuern.
Von Martina Honegger-Romahn, Lead Portfolio Manager Fixed Income in der Schweiz, Allianz Global Investors