- Wir gehen davon aus, dass die Europäische Zentralbank ihren zurückhaltenden Ansatz hinsichtlich einer ersten Senkung der Zinssätze bekräftigen wird, da die Inflationsrate noch nicht auf einem verlässlichen Weg in Richtung des gesetzten Ziels von 2% ist
- Der Kampf gegen die Inflation ist noch nicht gewonnen, denn die Kerninflation ist im Dezember 2023 im Jahresvergleich um 3,4% weiter gestiegen, und die Lohnerhöhungen könnten in diesem Jahr für weiteren Teuerungsdruck sorgen
- Wir sind der Meinung, dass die vorsichtige Haltung der EZB die anhaltende Korrektur der Anleiherenditen begünstigen dürfte, auch wenn das Aufwärtspotenzial für die langfristigen Zinsen begrenzt bleibt.
Ende des Jahres 2023 sorgte die Erwartung des Marktes, dass die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Phase der Zinserhöhungen abgeschlossen hatten, für eine regelrechte Anleihenrallye, da die Anleger zunehmend von bevorstehenden Zinssenkungen der Zentralbanken ausgingen. Auf dem Höhepunkt dieser Erwartungen Ende Dezember ging der Markt davon aus, dass die EZB im Jahr 2024 mehr als sieben Zinssenkungen um jeweils 25 Basispunkte vornehmen wir. Dabei nahmen die Investoren eine Wahrscheinlichkeit von 72% für eine erste Senkung im März 2024 an.
Seitdem haben sich mehrere EZB-Mitglieder für einen längeren Zeitrahmen für Zinssenkungen ausgesprochen, als es bislang von den Anlegern erwartet wurde. Zu diesen Vertretern gehören eher die Mitglieder des Falken-Segments innerhalb des EZB-Rates, wie die Direktoriumsmitglieder Robert Holzmann und Joachim Nagel, sowie der eher gemäßigte Chefvolkswirt Philip Lane. Die wiederholten Mahnungen haben dazu beigetragen, die Erwartungen der Märkte zu dämpfen. Allerdings sind diese noch immer hoch: Am 19. Januar rechnete der Markt mit fast sechs Zinssenkungen, die Wahrscheinlichkeit einer ersten Zinssenkung im April 2024 lag bei 80%.
Wir gehen davon aus, dass die EZB ihre vorsichtige Haltung auf der geldpolitischen Sitzung am Donnerstag bekräftigen wird. Die EZB sollte wiederholt klarstellen, dass sie nur dann einen Zinssenkungszyklus einleiten wird, wenn sie vollkommen zuversichtlich ist, dass die Inflation nachhaltig zu ihrem Preisstabilitätsziel von 2% zurückkehren wird.
So weit sind wir aber noch nicht, denn:
- Nachdem die Verbraucherpreise Ende November einen Tiefstand von +2,4% im Jahresvergleich erreicht hatten, stiegen sie im Dezember um +2,9%.
- Die Kerninflation lag im Dezember immer noch um 3,4% über dem Vorjahresniveau.
Und die Konjunkturrisiken bleiben bestehen:
- In diesem Jahr sind weitere Lohnerhöhungen zu erwarten, 2023 sind die Löhne in der Eurozone bereits um mehr als 5% gestiegen.
- Geopolitische Spannungen, vor allem im Roten Meer, und zusätzliche Kosten aufgrund von Behinderungen des Seeverkehrs.
Die Einschätzung, dass die EZB eine sehr vorsichtige Haltung einnimmt, dürfte die laufende Korrektur der Anleiherenditen beflügeln, auch wenn das Aufwärtspotenzial für die langfristigen Renditen vor dem Hintergrund eines sehr starken Anlegerinteresses an Anleihen begrenzt bleibt. Das Interesse der Anleger an Anleihen zeigt sich auch in der großen Nachfrage nach Neuemissionen zu Beginn des Jahres 2024. Nachdem wir unser Durationsengagement während der Dezember-Rallye reduziert haben, um zu einer neutralen Position in Bezug auf die Euro-Zinssätzen zurückzukehren, nutzen wir jede Marktschwäche, um die Duration zu erhöhen.
Von Franck Dixmier, Global CIO Fixed Income bei Allianz Global Investors