Sollten Anleger abwarten, bis sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament geklärt haben?
Der zweite Wahlgang in Frankreich brachte ein überraschendes Ergebnis: Die rechtsextreme Rassemblement National wurde auf den dritten Platz verwiesen. Dies wird tage-, wenn nicht wochenlange Verhandlungen zwischen den Parteien über die Regierungsbildung zur Folge haben.
Mit den meisten Sitzen ist nun das französische Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) in der Pole Position. Doch das für die Märkte schlimmste Szenario – eine absolute Mehrheit für die NFP – ist nicht eingetreten. Ihr Programm hoher Steuern und Ausgaben – darunter eine Vermögenssteuer und das Einfrieren der Preise für Grundnahrungsmittel und Energie – wurde als Gefahr für die Finanzstabilität angesehen.
Ein Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse dürfte sich daher kurzfristig insofern positiv auf die Märkte auswirken, als dass sowohl den rechts- als auch den linksextremen Parteien die Sitze fehlen, um eine extreme Politik umzusetzen.
Insgesamt war die Marktreaktion verhalten, die Anleger warten ab. Der Spread zwischen 10-jährigen französischen und deutschen Staatsanleihen (OAT-Bund-Spread) weitete sich am Montagmorgen leicht auf 71 Basispunkte aus, bevor er wieder auf 65 Basispunkte zurückging. Die Bildung einer neuen Regierung könnte einige Zeit in Anspruch nehmen und es ist noch nicht absehbar, welche Koalitionen sich bilden werden. Der Rückgang könnte sich daher als nur vorübergehend erweisen.
Defizitsorgen
Aufgrund der sich verschlechternden Staatsfinanzen und des Reformbedarfs dürfte der Risikoaufschlag für Frankreich an den Märkten bestehen bleiben. Angesichts eines Haushaltsdefizits von 5,5 Prozent und einer Staatsverschuldung von 110 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) könnte ein handlungsunfähiges Parlament zu einer politischen Stagnation führen – dies käme für die Beziehungen Frankreichs zur Europäischen Union zu einem kritischen Zeitpunkt. Es ist nicht davon auszugehen, dass das französische Defizit innerhalb der nächsten fünf Jahre die EU-Obergrenze von drei Prozent des BIP unterschreiten wird.
Die Anleger werden daher genau darauf achten, wie die neue Regierung – unabhängig von ihrer Zusammensetzung – die Beziehungen zur EU handhaben wird und wie durchsetzungsfähig sie bei der Umsetzung ihrer Wahlversprechen sein wird.
Für die Zukunft erwarten wir einen weiteren Anstieg der französischen Schuldenquote. Allein um diese Quote zu stabilisieren, müsste der Haushalt gegenüber dem aktuellen Basisszenario um rund zwei Prozentpunkte des BIP pro Jahr zurückgeführt werden. Angesichts des Wahlergebnisses erscheint eine Umsetzung derartiger Sparmaßnahmen allerdings als wenig realistisch.
Auswirkungen auf OATs
Im Vergleich zur Zeit vor den Europawahlen dürften die OAT-Spreads strukturell auf einem erhöhten Niveau bleiben. Für den Euro und europäische Aktien bedeutet dies Gegenwind. Zusätzlicher Druck auf den Euro resultiert aus der politischen Schwächung von Präsident Macron.
Französische Staatsanleihen sind aufgrund des hohen Anteils ausländischer Investoren anfällig. Japanischen Anlegern etwa bieten sich aktuell attraktive Renditemöglichkeiten im eigenen Land, insbesondere am langen Ende der Kurve. Sie könnten daher versucht sein umzuschichten.
Etwas anders hingegen sieht die Situation für französische Aktien aus. Französische Unternehmen sind vielfach recht solide aufgestellt und nur 19 Prozent des CAC 40 hängen von der französischen Wirtschaft ab. Auch wenn der schlimmste Fall für die Märkte nicht eingetreten ist, sollten sich Anleger aber auch hier dennoch auf eine erhöhte Risikoprämie und eine höhere Marktvolatilität einstellen.
Von Matthieu de Clermont, Head of Insurance and Regulatory Strategies, Allianz Global Investors