- Wir gehen davon aus, dass die US-Notenbank auf ihrer Juni-Sitzung die Zinsen unverändert lassen wird. Das Zielband für den Leitzins dürfte dadurch zum vierten Mal in Folge bei 4,25%-4,50% belassen werden.
- Die Aktien- und Kreditmärkte haben ihre anfänglichen Verluste nach dem „Liberation Day“ vollständig wieder aufgeholt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Märkte angesichts der nach wie vor bestehenden Abwärtsrisiken für die Wachstumsaussichten in den USA (und weltweit) ein wenig zu selbstgefällig werden.
- Kurzfristig wird die Fed wahrscheinlich in einer abwartenden Haltung verharren, während sie die Auswirkungen der Zölle auf die Wirtschaftstätigkeit weiter bewertet. Derzeit geht der Markt von zwei Zinssenkungen der Fed im weiteren Verlauf dieses Jahr aus, unter der Annahme, dass sich die Konjunkturdynamik in den USA angesichts der Auswirkungen der Zölle auf die US-Inlandsnachfrage verlangsamt.
- Das derzeitige makroökonomische und politische Umfeld begünstigt unserer Einschätzung nach eine Versteilerung der US-Renditekurve. An den Währungsmärkten sehen wir den US-Dollar strukturellem Gegenwind ausgesetzt, was unsere Short-Positionierung im US-Dollar in den Portfolios unterstützt.
Der Marktkonsens für das reale BIP-Wachstum der USA im Jahr 2025 ist von 2,2% zu Beginn des Jahres auf nur noch 1,2% gesunken1 . Die 90-tägige Pause bei den Zöllen und die Rückführung auf einen Ausgangswert von 10% haben die Nervosität der Märkte kurzfristig beruhigt. Denn die Hoffnung auf bilaterale Handelsverhandlungen zwischen den USA und ihren wichtigsten Handelspartnern lässt einen geringeren Pessimismus für den Welthandel erwarten, als noch Anfang April befürchtet wurde. In der Zwischenzeit wurden Trumps Zölle auch von den US-Gerichten angefochten.
Die jüngsten US-Makrodaten zeichnen ein gemischtes Bild – ein Ergebnis der angekündigten Zollerhöhungen und ihrer teilweisen Rücknahme. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, inwieweit sich die Schwäche der aktuellen Umfrageergebnisse in den harten Daten niederschlägt; schließlich werden die Realeinkommen der US-Verbraucher nach wie vor durch höhere Preise belastet. Was die Inflation betrifft, so hat sich der von der Fed bevorzugte Inflationsindikator – die PCE-Kerninflationsrate – im Vorfeld der Zollankündigungen in die richtige Richtung bewegt und lag im April bei 2,5% gegenüber Vorjahr. Auch die jüngsten Daten zur VPI-Kerninflation haben einige Sorgen der Marktteilnehmer hinsichtlich des kurzfristigen Inflationsverlaufs zerstreut. Die Inflationserwartungen der Verbraucher liegen hingegen nach wie vor in der Nähe jahrzehntelanger Höchststände. Dies unterstützt den vorsichtigen Ansatz der Fed bei ihrem kurzfristigen geldpolitischen Kurs.
Da die US-Regierung bestrebt ist, einen Teil des Marktinteresses weg von Zöllen und hin zu wachstumsfördernden Maßnahmen wie Steuersenkungen und Deregulierung zu lenken, befassen sich die Anleihemärkte auch mit der Sorge um die langfristige Tragfähigkeit der amerikanischen Finanzen. Im Mai stufte Moody's als dritte große Rating-Agentur die Kreditwürdigkeit der US-Regierung herab, und zwar von der Bestnote Aaa auf die um eine Stufe niedrigere Note Aa1. Gleichzeitig hat ein US-Haushaltsgesetz, das eine Reihe nicht gegenfinanzierter Steuersenkungen vorsieht, die erste Hürde im Repräsentantenhaus genommen. Obwohl das Gesetz wahrscheinlich im Senat noch einige Änderungen erfahren wird, bevor es von Präsident Trump unterzeichnet werden kann, verdeutlicht es die wachsende Besorgnis der Anleger über die fiskalischen Aussichten in einem der wichtigsten Märkte.
Die Fed bleibt angesichts des makroökonomischen Umfelds in einer abwartenden Haltung. Jüngste Stellungnahmen von Fed-Mitgliedern haben deutlich gemacht, dass die Zentralbank angesichts der erhöhten Unsicherheit über den Wachstums- und Inflationspfad zögert, ihren politischen Kurs in nächster Zeit zu ändern. Gleichzeitig wirft der politische Druck auf die Fed, ihre Geldpolitik zu lockern, weiterhin Fragen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der US-Politik auf.
Wir sind weiterhin der Ansicht, dass diese Makro- und Marktrisiken am ehesten durch eine Versteilerung der US-Renditekurve zum Ausdruck kommen, und wir bevorzugen eine Short-Position im US-Dollar.
Von Michael Krautzberger, Global Cio Fixed Income bei Allianz Global Investors
1 Alle Daten basierend auf Bloomberg, 12. Juni 2025