Was leisten Qualitätssiegel im ESG-Segment
Die Komplexität nachhaltiger Finanzprodukte übersteigt den Kenntnisstand der meisten privaten, aber z.T. auch institutionellen Investoren. ESG Produkte haben, zusätzlich zur finanztechnischen Dimension, auch besondere inhaltliche und prozessbezogene ökologische und soziale Eigenschaften. Qualitätsauszeichnungen – z.B. in Form von Labels, Marken oder Ratings – dienen der Reduktion einer komplexen Qualität auf eine stark verdichtete Aussage. Aus Sicht der (potentiellen) Kunden senkt dies den Informationsaufwand signifikant, setzt jedoch gleichzeitig eine entsprechende Methodik sowie eine ausgeprägte Vertrauenswürdigkeit der Qualitätsauszeichnung und der dahinterstehenden Institution voraus. Dies gilt in besonderem Maße für das „Vertrauensprodukt“ Nachhaltiges Investment.
Das Umweltzeichen als eines der ersten Label für ESG-Fonds
Eines der international ersten Label für Nachhaltigkeitsfonds war und ist das „Österreichische Umweltzeichen für Nachhaltige Finanzprodukte“. Die 2004 ins Leben gerufene Qualitätsauszeichnung ist Teil der Umweltzeichenfamilie, dem staatlichen Österreichischen Öko-Zeichen für den Non-Food-Bereich, das für mehrere Dutzend Produktkategorien vergeben wird.
Träger ist das Österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, verantwortlich für die Administration ist der VKI (Verein für Konsumenteninformation). Als Prüfer fungieren akkreditierte Experten, die die Prüfgutachten im Auftrag der jeweils Antragsteller – meist Fondsgesellschaften – erstellen. Die rfu ist mit drei zugelassenen Prüfern und mehreren Hundert seit 2004 erstellten Prüfgutachten der diesbezüglich erfahrenste Anbieter.
Eine Antragstellung ist jederzeit möglich. Ist das Label auf Basis eines positiven Gutachtens erteilt, so gilt es für vier Jahre. In diesem Zeitraum sind nur kurze jährliche Update-Prüfungen vorgesehen. Da-nach ist eine volle Re-Zertifizierung erforderlich.
Die Anforderungen des Umweltzeichens
Das Umweltzeichen ist nicht, wie der Name vielleicht suggeriert, ein Ökogütesiegel. Die Bezeichnung ist der langen Historie der Labelfamilie geschuldet, die bis ins Jahr 1991 zurückreicht. Um diese Orientierung an Nachhaltigkeit in seiner vollen Breite zum Ausdruck zu bringen, lautet die vollständige Bezeichnung „Österreichisches Umweltzeichen für Nachhaltige Finanzprodukte“.
Die Anforderungen für Investmentfonds umfassen die Bereiche (1) Anlagekriterien (Ausschluss- und Positivkriterien, Methodik), (2) Research-Prozess, (3) Transparenz, (4) Investment-Qualitätsstandard und (5) Legal Compliance.
Unter (1) fallen Pflicht-Ausschlusskriterien, die der Fonds jedenfalls implementiert haben muss. Für Aktien und Unternehmensanleihen sind dies die Ausschlüsse von Rüstung, Atomenergie, roter und grüner Gentechnik, fossiler Energie (jeweils mit maximal 5% Umsatztoleranz) sowie Menschenrechtsverletzungen. Investiert der Fonds auch in Staatsanleihen, sind auch folgende Ausschlusskriterien an-zuwenden: Verletzung von Grundrechten betreffend Demokratie und Menschenrechte, Anwendung der Todesstrafe, Militärbudgets über 4% des BIP, expansive Politik hinsichtlich Atomenergie sowie keine Teilnahme am Pariser Klimaabkommen und der UN-Biodiversitätskonvention. Jenseits der Ausschlusskriterien hat das Umweltzeichen den Anspruch, dass ein umfassender positiver Auswahlprozess existiert, in den alle wichtigen Umwelt- und Sozialaspekte eingehen. Hier ist der Gestaltungsspielraum der Antragsteller groß und es werden sowohl breite Best in Class Ansätze gewürdigt wie auch thematische fokussierte Strategien, z.B. in Erneuerbare Energie oder Gesundheit. Wichtig ist da-bei jedoch, dass die daraus gewonnenen Ratings zu einer ambitionierten Titelauswahl führen, z.B. in dem nur die überdurchschnittlich bewerteten Emittenten ins Portfolio gelangen oder auf Portfolioebene ein anspruchsvolles Durchschnittsrating definiert ist.
Die Anforderungen an (2) den Research-Prozess sind durch Nachweis eines State of the Art Qualitätsmanagements der internen oder externen Research-Organisation zu erfüllen. Die (3) Transparenzkriterien umfassen eine Publikation gemäß dem Eurosif-Transparenzkodex, eine monatliche Veröffentlichung der gesamten Fondsbestände sowie die Publikation von ESG-Profilen ausgewählter Emittenten. Hinsichtlich (4) Investment-Qualität ist die Verpflichtung gegenüber dem Code of Conduct des Österreichischen Fondsverbandes VÖIG oder gegenüber einem adäquaten ausländischen Kodex nach-zuweisen. Hinsichtlich (5) Legal Compliance ist nachzuweisen, dass das antragstellende Unternehmen in seiner Geschäftsgebarung die Prinzipien der Nachhaltigkeit nicht durch Rechtsbrüche konter-kariert.
In 17 Jahren von 0 auf 200
Die Entwicklung des Österreichischen Umweltzeichens spiegelt die Entwicklung des ESG-Marktes ins-gesamt gut wider. Einem eher stagnierenden Zuspruch bis 2011 folgte in den letzten 10 Jahren ein rasanter Anstieg. Nach dem 100. Produkt Anfang 2019 folgt bereits im August 2021 das Finanzprodukt Nummer 200.
Finanzprodukte mit Umweltzeichen 2004 bis 2021, Quellen: VKI, rfu © 2021
Mehr als nur ein Österreichisches Label für Privatanleger
Aus Sicht der Produktanbieter ist das Umweltzeichen auch kein Label für Österreich allein. Rund ein Drittel aller ausgezeichneten Wertpapierfonds ist im Ausland domiziliert – vor allem in Deutschland, Luxemburg und Frankreich. Eine ursprüngliche nicht erwartete Bedeutung hat das Label bei institutionellen Investoren, insbesondere bei Vorsorgeeinrichtung, erlangt. Diese nutzen die Umweltzeichenprüfung als Anforderung und ESG Due Diligence gegenüber externen Managern ihrer Spezialfonds und als KPI für die Nachhaltigkeitsqualität ihrer Portfolios (z.B. durch Messung und aktive Erhöhung der Quote von Anlagebausteinen mit Umweltzeichen).
Erweiterung um neuen Produktkategorien: Konten, FLV, Green Bonds, etc.
Während das Label ursprünglich nur für Wertpapierfonds erlangbar war, wurde – der Marktnachfrage folgend – die Umweltzeichen-Richtlinie im Laufe der Zeit sukzessive um Prüfkriterien für weitere Produktgruppen ergänzt. Auch wenn heute immer noch Aktien-, Anleihen- und Mischfonds dominieren, waren zuletzt vor allem Giro- und Sparprodukte sowie fondsgebundene Lebensversicherungen stark im Kommen.
Was steht hinter der Erfolgsgeschichte
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die das Umweltzeichen, obwohl aus einem kleinen nationalen Markt herauskommend, zu einem der erfolgreichsten ESG-Auszeichnungen Europas gemacht haben.
· Dazu zählen sicher die staatliche Trägerschaft, mit dem damit verbundenen hohen Vertrauensgrad und der Sicherstellung einer hohen Qualität.
· Auch die Zugehörigkeit zu einer großen Label-Familie ist vorteilhaft, da der Bekanntheitsgrad durch die Bewerbung anderer Produkte mittransportiert wird.
· Auf organisatorischer Seite sprechen die lange Laufzeit von 4 Jahren und die Möglichkeit einer jederzeitigen Antragstellung eine wichtige Rolle. Viele Fonds scheuen repetitive jährliche Prüfprozesse in festen Terminkorsetts.
· Aus Marktsicht ist durch die oft sehr unmittelbare Übersetzung der Label-Erlangung in eine zusätzliche institutionelle Anlegernachfrage ein meist rasches und vielfaches Payback der Prüf- und Labelnutzungsgebühren gegeben.
· Das Umweltzeichen ist offen für verschiedene Finanzprodukte - vom Fonds über die fondsgebundene Lebensversicherung bis zum Sparbuch. Die Anregungen der Anbieter werden aufgegriffen und gehen in neue Sub-Richtlinien ein.
Die Zukunft des Umweltzeichens im europäischen Labelkonzert
Eine vielfach kritisierte Labelflut ist in der Welt der ESG-Fondsauszeichnungen eindeutig nicht gegeben. (Vieles wie z.B. ESG-Ratings von Finanzdatenprovidern sind keine Label, sondern nur Moment-aufnahmen von Portfolios). Auch wenn europaweit eine wachsende Anzahl an Fondsauszeichnungen existiert, so sind doch nur zwei davon – neben dem Umweltzeichen das FNG-Siegel – für den deutschsprachigen Markt von Relevanz.
Und auch ein im Entstehen begriffenes EU Ecolabel für Fonds raubt dem Österreichischen Umweltzeichen nicht seine Vorzüge oder gar die Existenzberechtigung. Die thematisch vielfältige und praxisnahe Ausrichtung und die besondere Berücksichtigung eines anspruchsvollen mittel- und nordeuropäischen Verständnisses von Nachhaltigkeit werden durch eine europaweite, und aus der Regulatorik abgeleitete Konzeption, kaum erreicht werden.
Reinhard Friesenbichler, Geschäftsleitung und Gründer, rfu
Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds. Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at Über die Artikelserie "GOING GREEN":
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.